Ein Unfall der besonderen Art
Im Forschungszentrum Carissma der Technischen Hochschule lassen sie Autos gegeneinander fahren. Bei einem Kongress konnte man zuschauen. Worum es den Wissenschaftlern dabei geht und was es für die Zukunft bringt
Ingolstadt Eine ziemlich alltägliche Unfallsituation: Auf der Autobahn staut sich der Verkehr. Alle bremsen ab. Nur der Fahrer des VW Passat erkennt die Situation zu spät. Die Vollbremsung reicht nicht mehr, aber auf der Nebenspur ist noch Platz. Der Fahrer weicht nach links aus, kann aber auch dort einen Aufprall nicht vermeiden. Es kracht. Auch unter Laborbedingungen. Denn dieser in der Realität allzu oft passierende Unfall wird gerade im Forschungszentrum Carissma an der Technischen Hochschule Ingolstadt (THI) nachgestellt. Besonders ist außerdem: Der „Fahrer“ist kein Mensch, sondern ein Fahrroboter.
Wieso ein solcher Aufwand für einen Crashtest getrieben wird, erklärt Versuchsleiter Jan Christopher Kolb bei einem „crash.tech“-Kongress im Carissma. Das Forschungsund Testzentrum ist als wissenschaftliches Leitzentrum für Fahrzeugsicherheit in Deutschland konzipiert. Der 123 Meter lange Forschungsbau wurde im Frühsommer 2016 in Betrieb genommen. Und bei dem Kongress diese Woche, konnte man den Forschern bei der Arbeit zuschauen. Auch Ingenieur Kolb arbeitet im Carissma. Er sagt: „Wir wollen nicht nur die Folgen des Aufpralls selbst analysieren, sondern die Entstehung und Abfolge der Unfallsituation erfassen.“Jeder Aufprall habe eine Vorgeschichte, die sich maßgeblich auf die Folgen auswirke. Die Fahrzeugdynamik ist eine andere, wenn das Fahrzeug selbst fährt und lenkt, anstatt – wie sonst üblich – auf einem Schlitten gezogen auf ein Hindernis zu prallen.
Kolb erläuterte auch, dass mit solchen Versuchen die virtuellen Tests im Carissma verifiziert werden. „Wir haben hier inzwischen sehr umfangreiche Verkehrsmodelle im Rechner. Die müssen aber immer wieder mit der Realität verglichen werden.“
Damit ist die THI auf einem Weg, der zu Tests mit aktiven und passiven Fahrsystemen führt. Denn wenn das autonome Fahren kommt, muss es auch getestet werden. Und dafür ist Carissma prädestiniert. Was tun zum Beispiel, wenn eine Sonnenreflexion die Arbeit eines Sensors beeinträchtigt? Im THI-Laboren können für solche Situationen auswertbare Bedingungen geschaffen. Mit verschiedenem Wetter: blendende Sonne, Regen oder Nebel. Was auch immer. Der Clou ist, dass die variierenden Außenbedingungen kontrolliert vorgegeben und damit auswertbar gemacht werden können.
Der Crashtest selbst dauert nur etwa vier Sekunden – vom Anfahren bis zum Auffahren auf das Hindernis. Die Vorbereitungszeit für diese wenigen Augenblicke kann Kolb gar nicht so genau beziffern. „Der Fahrroboter wurde speziell für Carissma entwickelt. Rund ein halbes Jahr hat das gedauert.“Der Versuch dann sei mit einer Versuchsmannschaft, die aus zwölf Ingenieuren besteht rund acht Wochen aufgebaut worden. Und die vielen Gigabyte der neu erfassten Daten würden sicherlich noch über Wochen ausgewertet, zählt Kolb auf.
Der Crashtest mit dem Passat hat übrigens erst beim zweiten Versuch funktioniert. Bei der ersten Fahrt stoppte ein Notbremssystem, das nur zur Sicherheit eingebaut wurde, den Wagen. Aber so ist das in der Forschung. Wenn alles beim ersten Mal funktionieren würde, bräuchte man diese ja gar nicht.