Neuaufguss
Gewöhnlich kleiden Akteure und Beobachter im politischen Raum, die eine Veränderung anmahnen, ihre Botschaft ja in diese bewährte Floskel: „Ein Weiter so darf es nicht geben.“Das war dem Bundespräsidenten dann wohl doch zu abgenudelt und phrasenhaft, weshalb er sich diese Woche gegenüber der neuen alten Großen Koalition und ihrer Regierung Merkel eines anderen Ausdrucks befleißigte. Frank-Walter Steinmeier sprach: „Um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen, wird ein schlichter Neuaufguss des Alten nicht genügen.“Neuaufguss: Da war das Wort in der Welt und die Zeitungen und Nachrichten saugten es auf. Neuaufguss: Dieser Dreisilber hat keinen guten Leumund.
Das Wort gehört in eine Ecke mit Abklatsch, Bodensatz und Wiederkäuen und ist, auch wenn das „auf“in seiner Mitte ruht, meilenwert entfernt vom Aufbruch. Allenfalls sehr guter Grüntee, das wissen die Kenner, eignet sich für einen zweiten, gar dritten Neuaufguss. Danach wird’s fad und dünn wie „Scream 4“im Kino, nach Ansicht von Kritikern „ein peinlich vermasselter Neuaufguss.“Auch ein Remake von „Merkel“könnte ohne zündende Regieeinfälle als „Merkel 4“floppen, fürchtet offenbar der Bundespräsident.
Anders als die Neuauflage schwimmt ein Neuaufguss in unserer Vorstellung arg im abgestandenen Sud – auch wenn Theodor Fontane ihn in seinem nachgelassenen Roman „Mathilde Möhring“als schicklich lobt. Darf’s also noch ein Tässchen Merkel-Groko sein? Steinmeier, der im Amt gewachsene Rhetoriker, tadelte ausdrücklich nur den Neuaufguss der schlichten Art. Gegen einen raffinierten Neuaufguss ist nichts zu sagen – er ist vielleicht sogar bekömmlicher als alter Wein in neuen Schläuchen.