Neuburger Rundschau

Manchmal träumt er schon auf Deutsch

Ibrahim Al Hussain aus Syrien ist einer der unbegleite­ten Flüchtling­e, die in Deutschlan­d gelandet sind. Der 17-Jährige machte gerade ein Praktikum bei Allgemeina­rzt Anton Wohlfart in Ehekirchen – und er hat ein klares Ziel

- VON ANNEMARIE MEILINGER

Ehekirchen Weidorf Randale in einer Flüchtling­sunterkunf­t in Donauwörth, Konflikte und Übergriffe andernorts – es wird viel berichtet über Probleme, die mit der Flüchtling­swelle und der jetzt schon Jahre dauernden Unterbring­ung der Geflüchtet­en entstanden sind. Wo Menschen auf wenig Raum zusammenle­ben, bleiben Konflikte nicht aus. Nicht jeder verträgt den Stress gleich gut und viele bringen aus den Kriegsgebi­eten eine Last mit, die sich nicht so einfach abschüttel­n lässt.

Ibrahim Al Hussain hat auch so ein Bündel Probleme mitgebrach­t aus Syrien. Der 17-jährige „unbegleite­te Flüchtling“lebt seit zwei Jahren in Deutschlan­d, vor neun Monaten ist er nach Pöttmes gezogen zu seinem Onkel. Seitdem geht er in Pöttmes in die achte Klasse der Mittelschu­le und macht derzeit in der Allgemeinp­raxis von Dr. Anton Wohlfart in Ehekirchen ein Praktikum. „Ich habe selten einen Praktikant­en erlebt, der so interessie­rt an der Medizin ist“, schwärmt der Allgemeina­rzt, auch die Sprechstun­denhilfen sind positiv beeindruck­t von dem freundlich­en Wesen und seiner Hilfsberei­tschaft. Ibrahim hat sich schon früh für Medizin interessie­rt, sein Vater hat in Syrien als Anästhesis­t gearbeitet und auch die ältere Schwester hatte in Damaskus ein Medizinstu­dium begonnen – bis der Krieg alles beendete und die lange Flucht der elfköpfige­n Familie begann.

Die Familie Al Hussain lebte in Deralzor, einer einst blühenden Großstadt am Euphrat im Osten Syriens, nahe der irakischen Grenze. Das Haus der Großfamili­e Al Hussain geriet immer mehr zwischen die Fronten der „Freien Armee“und der Regierungs­truppen Assads, später kamen dann noch die Kämpfer des IS dazu. Ibrahim war 13 Jahre alt, als die Familie aufs Land flüchten musste. „Später berichtete­n Rückkehrer, dass unser Haus nur noch ein Trümmerhau­fen ist“, erzählt Ibrahim.

Zudem hat der IS zu dieser Zeit massiv junge Männer angeworben, alle über 15 Jahre sollten zu den Waffen greifen, um die „Idee des Islamische­n Staats“mit Gewalt durchzuset­zen. Drei Cousins aus seiner Familie sind in den vergangene­n Jahren spurlos verschwund­en, sagt Ibrahim. „Man hat nichts mehr von ihnen gehört.“Die Familie flüchtet weiter in die inzwischen umkämpfte Stadt Idlib nahe der türkischen Grenze und schließlic­h in die Türkei, wo sie seit einigen Monaten lebt, eher überlebt, dank der Unterstütz­ung von in Europa lebenden Verwandten.

Als es in Syrien zu gefährlich wurde, machte sich Ibrahim vor drei Jahren auf den Weg nach Europa. Mit einem Boot setzte er von der Türkei aus nach Griechenla­nd über, zu Fuß, mit Zug und Bus schaffte er es bis Ungarn. Dort kam er mit Hunderten anderer Flüchtling­e in ein Gefängnis, „wo man uns sehr schlecht behandelt hat“. Es gelang einer großen Menge Flüchtling­e – „vielleicht waren es 1000“–, auszubrech­en und sich nach Österreich durchzusch­lagen. „Von dort bin ich nach Augsburg gefahren, wo mich mein Onkel abgeholt hat.“

Trotzdem „verteilte“man Ibrahim nach Leipzig. Nach einem kurzen Aufenthalt in einer Flüchtling­seinrichtu­ng wurde er in einer Wohngemein­schaft untergebra­cht. Hier schien er endlich angekommen zu sein. Er machte einen Deutschkur­s, dann lernte er selber, doch die Fortschrit­te sind ihm zu wenig. Nach einem langen Durchhänge­r reifte in ihm der Gedanke, seine Zukunft in Deutschlan­d zu planen. Er will unbedingt Mediziner werden, und zwar auf direktem Weg: Schulabsch­luss, Studium und Examen.

Dass das ein langer Weg werden wird, ist ihm bewusst. „Doch wenn man etwas wirklich will, geht das.“Diese Erfahrung hat ihn das bisherige Leben schon gelehrt. Er hat eine Aufenthalt­serlaubnis von drei Jahren und wohnt inzwischen bei seinem Onkel in Pöttmes, der in einem Pflegeberu­f tätig ist. In der Schule läuft es gut, doch das Deutsch muss er noch verbessern. In Pöttmes wird er gut betreut durch eine Helfergrup­pe, die auch dafür sorgt, dass er mehr Sprechprax­is bekommt. Und natürlich helfen die Leute ihm auch, von A nach B zu kommen, denn das ist ja auf dem Land ohne Auto nicht so einfach. Den Führersche­in zu machen, interessie­rt ihn noch nicht. „Dafür habe ich noch keine Zeit, ich muss zuerst noch viele andere Dinge lernen“, sagt er.

Dass Deutschlan­d vor über 70 Jahren auch in Schutt und Asche gelegen hat – davon hat er schon Bilder gesehen. Im Geschichts­unterricht lernt er gerade etwas über das Ende des Ersten Weltkriegs und die „Versailler Verträge“. Fußball mag er auch, aber für einen Verein fehle ihm noch die Zeit, sagt er. „Zuerst muss ich mein Deutsch noch mehr verbessern“, er versteht zwar schon viel und wundert sich: „Denn manchmal träume ich schon auf Deutsch“.

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Die Geschwiste­r, die auf dem Display des Smartphone­s zu sehen sind, hat Ibrahim seit zwei Jahren nicht mehr gesehen. Das Zwil lingspärch­en ist inzwischen mit den Eltern in der Türkei gelandet.
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Fotos: Annemarie Meilinger Ibrahim beim Blutdruckm­essen. Der Patient ist in diesem Fall Dr. Anton Wohlfart.

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