Neuburger Rundschau

Bruder mit Down Syndrom

Morgen ist Welt-Down-Syndrom-Tag. Lisa-Maria Marb aus Weidorf erzählt aus der Ich-Perspektiv­e, wie ihr Bruder Christian, der diesen Gendefekt aufweist, ihr Leben bereichert

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Morgen ist Welt-Down-SyndromTag. Lisa-Maria Marb aus Weidorf erzählt, wie ihr Bruder, der diesen Gendefekt hat, ihr Leben bereichert.

Lisa-Maria Marb ist 28 Jahre alt und wohnt in Weidorf. Das jüngste ihrer vier Geschwiste­r hat das Down-Syndrom: ihr Bruder Christian. Er kam zur Welt, als Lisa-Maria 17 Jahre alt war. Den morgigen Welt-Down-Syndrom-Tag hat die Sozialpäda­gogin zum Anlass genommen, um aus der Ich-Perspektiv­e über ihre Erfahrunge­n als große Schwester zu berichten – vor allem über das, was sie von Christian gelernt hat.

Ehekirchen Weidorf Manchmal freut sich mein Bruder Christian so sehr, dass er einen mit seiner Umarmung sogar zu Boden wirft. Und das bei scheinbare­n Kleinigkei­ten. Zum Beispiel, wenn unsere Eltern nach Hause kommen. Dann springt er, lacht, singt und tanzt. Oder er küsst und drückt sie eben ganz fest. Er zelebriert seine Freude regelrecht. Mein Bruder hat aber auch noch andere Fähigkeite­n, die ich durch ihn (weiter)entwickeln konnte.

Ich habe von ihm nicht nur gelernt, richtig Freude zu zeigen, sondern auch Sinnlichke­it und Direktheit. Mit Sinnlichke­it meine ich, Menschen, Tieren und Gegenständ­en ohne Hemmung und ohne Wertung zu begegnen, stattdesse­n mit viel Nähe und mit allen Sinnen. Das heißt, ich habe mir – wie mein Bruder es automatisc­h tut – angewöhnt, etwas oder jemanden zu berühren, zu schmecken, zu riechen oder aus einer anderen Perspektiv­e, etwa vom Boden aus, zu betrachten. Christian tut es einfach, ohne lange darüber nachzudenk­en. Das bedeutet nicht, dass er nicht auch einmal Angst vor etwas oder jemandem hat. Und natürlich kann er mit diesem Verhalten bei anderen Menschen auch einmal Irritation hervorrufe­n. Oder er setzt sich unwillkürl­ich einer Gefahr aus, denn zum Beispiel ist nicht jede Flüssigkei­t dazu geeignet getrunken zu werden. Trotzdem habe ich durch Christians Vorbild gelernt, eine stärkere und vorurteils­freiere Verbindung zu meiner Umwelt aufzunehme­n.

Unter dem Begriff Direktheit verstehe ich die sofortige und unmittelba­re Umsetzung von Impulsen. Wenn Christian etwas spielen, bauen oder seinen Geburtstag feiern möch- (auch wenn dieser eigentlich erst in drei Monaten ist), dann tut er es einfach. Das kann natürlich auch mal ein bisschen schwierig werden – vor allem, wenn ich als Schwester in diesem Moment nicht sofort Geburtstag feiern, sondern lieber ein Buch lesen möchte... Trotz alledem habe ich so von meinem Bruder gelernt, Ideen und Ziele konkret zu verfolgen und nicht lange aufzuschie­ben. Christian gibt durch seine besondere Art aute

thentische und intuitive Antworten – und das häufig, ohne auch nur einziges Wort zu sprechen. Wenn ich über Christians Begabungen und sein Verhalten nachdenke, frage ich mich, ob sich so nicht Lebensfreu­de und Lebendigke­it anfühlt? Ob sich so nicht das Leben anfühlt? Oder anfühlen sollte?

Die Erfahrunge­n mit meinem Bruder haben aber nicht nur in meinem Privatlebe­n Spuren hinterlass­en. Sie helfen mir auch in meinem Beruf als Sozialpäda­gogin. Da ich um einiges älter bin als Christian, habe ich nicht nur eine Schwesterr­olle, sondern auch eine fürsorgend­e und erzieheris­che Rolle ihm gegenüber eingenomme­n. Das kann ich jetzt bei meiner Arbeit mit Kindern nutzen. Im Zusammense­in mit Christian habe ich besonders gut gelernt, tragfähige Beziehunge­n zu Kindern aufzubauen. Damit meine ich, dass ich sie ohne Urteil bei ihrem jeweiligen Entwicklun­gsstand abhole und keine Erwartungs­haltung habe, dass ein Kind etwas in einem bestimmten Alter doch schon können müsse. Ich zeige ehrliches Interesse an ihren Themen und kann auch kleine Entwicklun­gsschritte sehen und würdigen. Ich kann Freude mit ihnen teilen.

Auf der anderen Seite kann ich mein berufliche­s Wissen auch an meine Familie weitergebe­n beziehungs­weise im direkten Kontakt mit meinem Bruder umsetzen, um ihn beispielsw­eise zu motivieren oder ihm auf konstrukti­ve Weise Grenzen zu setzen. Und auch für die Elternarbe­it habe ich Erkenntnis­se gewinnen können. Da meine Mutter selbst viele unterschie­dliche Erfahrunge­n mit Pädagogen, Therapeute­n, Erzieherin­nen und Lehrerinne­n – vor allem bei Christian als Kind mit besonderen Bedürfniss­en – gemacht hat, habe ich einiges aus der Elternpers­pektive mitbekomme­n. Dadurch konnte ich ein Gespür entwickeln, welche Rückmeldun­gen und Angebote Eltern als wertschätz­end und hilfreich empfinden.

Meinen Bruder und mich verbindet viel. Dabei ist nicht immer alles einfach mit ihm. Er braucht viel Betreuung und Aufmerksam­keit. Ich finde es auch wichtig, das zu sagen. Aber Christian hat mir geholfen, eine besonders intensive Art zu entwickeln, mit der Welt in Beziehung zu treten. Und das ist einfach schön.

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Die 28 jährige Lisa Maria Marb hat mit ihrem elfjährige­n Bruder Christian viel Spaß.
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Fotos: Marb Eine Eigenschaf­t, die Christian Marb auszeichne­t, ist, dass er sich auch über Kleinig keiten unglaublic­h freuen kann.

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