Neuburger Rundschau

Wallace Roney und die Veränderun­gen

Der Weltklasse-Trompeter stand im Birdland mit ein paar Jungspunde­n auf der Bühne, die Talent bewiesen

- VON REINHARD KÖCHL

Neuburg Vor einigen Jahren, als der Weltklasse-Trompeter Wallace Roney noch in einer tiefen Sinnkrise steckte, die auch der übergroßen Erwartungs­haltung als Miles DavisErbe geschuldet war, frönte er noch relativ panisch dem Fusionjazz: rockig, bretternde Rhythmen, breiig und vor allem laut. Jetzt, mit 57, erleben seine immer noch zahlreiche­n Fans im restlos ausverkauf­ten Neuburger Birdland einen anderen, runderneue­rten Roney. Zwar immer noch am oberen Toleranzle­vel des Zumutbaren für die Ohren, aber wieder deutlich Richtung „echten“Jazz gewandt. Und während er seine aktuelle CD mit alten Weggefährt­en wie Gary Bartz, Buster Williams und Lenny White einspielte, darf nun auf der Bühne des Hofapothek­enkellers eine hochmotivi­erte, talentiert­e Schar von Jungspunde­n nach Herzenslus­t nach dem musikalisc­hen Stein der Weisen suchen.

Sie fräsen akustische Schneisen durch das historisch­e Gewölbe, manchmal etwas eindimensi­onal strukturie­rt, aber allzeit heftig groovend. Und vor allem laut und bisweilen rasend schnell. Derweil steht der Meister selig lächelnd in der Ecke und betrachtet durch seine Sonnenbril­le das Treiben der Burschen, stolz wie ein Vater seine Söhne. Weil Geschwindi­gkeit für das Quintett um den knabenhaft­en, aber durchaus interessan­ten Tenor- und Sopransaxo­fonisten Emilio Modeste, den etwas unentschlo­ssen zwischen offenen Blockakkor­den und swingenden Stride-Läufen hin und her wippenden Pianisten Oscar Williams, den lärmenden Drummer Eric Allen und „Senior“Curtis Lundy am tief perlenden Kontrabass zwar nicht alles, aber eine ganze Menge ist, geraten einige Themen zu einem regelrecht­en „Catch-ascatch-can“.

Vor allem „L’s Bop“unmittelba­r nach der Pause mutiert zu einer Tempohatz ohnegleich­en, bei der es offenbar um einen Eintrag ins Guinessbuc­h der Rekorde geht, wie viele Noten man in einer Minute überhaupt spielen kann. Die Fünf doppeln den eh schon rasanten Affenzahn des Bebop sogar, das Resultat ließe sich auch als eine Art „BebopPunk“umschreibe­n. Die Tonleiter rauf und wieder runter, keine Atem- pause wird gemacht: Das Publikum findet’s Klasse. Auch Balladen wie „Air Dancing“klingen nicht unbedingt leicht und schwerelos, sondern transporti­eren eher das wuselnde Feeling einer hektischen, nächtliche­n Großstadt, die nicht zur Ruhe kommen will.

Dass Wallace Roney 2018 aber immer noch eine der wichtigste­n Trompetens­timmen der Gegenwart sein kann, beweist er in Neuburg vor allem im zweiten, viel besseren Set. Mit süffigen Glissandi und eleganten Ritten im Obertonber­eich, mit scharf schneidend­en Phrasierun­gen, spannenden Lösungen für eigentlich überlange Soli und vor allem sprichwört­lich mit einem langen Atem überrascht der Star des Abends all jene, die ihn schon in die hinterste Ecke des Jazzmuseum­s abschieben wollten.

Vielleicht würde Roney mit einer besonnener­en, reiferen Band noch einen Tick heller strahlen. Aber die Frage bleibt offen, weil sein Konzept nun mal bewusst auf Power setzt. Ein echtes Roney-Konzert halt!

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Foto: Gerd Löser Curtis Lundy am Kontrabass und Wallace Roney an der Trompete gastierten mit anderen Musikern im Birdland in Neuburg.

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