Auf Nimmerwiedersehen
Mit der letzten Telefonzelle in der Neuburger Innenstadt stirbt mehr als ein schlichtes Häuschen. Sie macht Platz für eine neue Welt. Was bleibt, sind Erinnerungen und Geschichte
Im April wird die letzte Telefonzelle in der Neuburger Innenstadt abgebaut. Mit ihr verschwindet mehr als ein schlichtes Häuschen. Dafür bleiben Erinnerungen.
Neuburg Sie setzt der Winterkälte vier schlichte Wände entgegen. Die Sonne fällt durch ihre Scheiben, im Inneren fühlt es sich warm an. Zuflucht auf rund einem Quadratmeter. Die Einrichtung ist spartanisch, aber zweckmäßig: ein pinkfarbener Hörer, solide Metalltasten und ein Schlitz für Münzen oder eine Telefonkarte. Mehr braucht es nicht zum Telefonieren. Eher weniger. Heute genügt ein Handy, Ruhe vermissen die wenigsten. In der Vergangenheit haben sich nur noch selten Gäste in Neuburgs letzte Telefonzelle in der Innenstadt direkt gegenüber dem Bahnhof verirrt, davon zeugt das Herbstlaub am Boden. Wenn nicht an einem der frequentiertesten Orte der Stadt, wo dann? Diese Frage stellte sich auch der Betreiber, die Deutsche Telekom. Die Folge: Im April wird das Häuschen abgebaut, dann fällt der Hörer zum letzten Mal in die Gabel.
Die Telefonzelle ist nicht einfach nur ein Häuschen, das verschwindet, es verschwindet mehr: Ein quadratisches Stück Kulturgut, ein Anker in der Landschaft, ein Ort, mit dem fast jeder, der kein Digital Native, also niemand ist, der in der digitalen Welt aufgewachsen ist, Geschichten und Erinnerungen verbindet. Heimliche Anrufe bei der Angebeteten, Lausbubenstreiche, die Leute aus dem Telefonbuch zu Zufallsopfern machten oder dramatische Rettungsaktionen: In einer Zeit, in der Kommunikationsmittel noch stationäre Inseln und keine omnipräsenten Alltagsbegleiter waren, hing nach Unfällen nicht selten das Leben an einer Telefonzelle.
Heute scheint kaum mehr etwas von Telefonzellen abzuhängen. Auf eine Anfrage der Neuburger Rundschau antwortete die Deutsche Telekom, sie würde Städte und Gemeinden wegen eines Abbaus ansprechen, „wenn auf deren Gebiet extrem unwirtschaftliche öffentliche Fernsprecher mit einem Umsatz von weniger als 50 Euro pro Monat stehen.“Der Umsatz sei ein klares Indiz dafür, dass der Wunsch nach einer Grundversorgung durch die Bevölkerung an dieser Stelle offensichtlich nicht mehr bestünde, heißt es von Unternehmensseite. Außerdem kostet der Unterhalt einer Telefonzelle die Telekom Geld – etwa für Strom, Standortmiete und Wartung.
Will die Stadt trotzdem an einem Standort festhalten, könne ein sogenanntes Basistelefon ohne Wetterschutz und Beleuchtung – besser bekannt als Telefonsäule – installiert werden. Durch „konsequente Vereinfachung“wie es im Unternehmensjargon heißt, seien sie beson- ders kostengünstig im Betrieb. Ob eine solche Säule als Ersatz kommt, sei aber noch offen, sagt Dominik Weiss, Pressesprecher der Stadt. „Heutzutage hat jeder ein Handy, da stellt sich die Frage, ob ein öffentliches Telefon überhaupt noch notwendig ist.“
Der Abbau der letzten Telefonzelle in der Neuburger Innenstadt markiert den Endpunkt einer langen Phase des schleichenden Niedergangs. Wären Telefonzellen Tiere, die Liste, auf der sie stünden, wäre dunkelrot. Lebende Exemplare in freier Wildbahn, also funktionierende Häuschen im öffentlichen Raum, sind längst zur Seltenheit geworden. Vor allem die Gelben, die noch aus Zeiten der Bundespost stammen, machen sich rar. Sie sind Exoten, deren Signalfarbe und nostalgische Rundungen ein Blickfang sind. Lange Zeit prägten sie mit ihrer originären Optik nicht nur das Bild öffentlicher Plätze in Städten und Gemeinden, sondern stellten einen direkten Draht zwischen Menschen her. Neben Briefen waren sie das Kommunikationsmittel Nummer eins. Vor 20 Jahren, zur Blütezeit der Telefonhäuschen, gab es bundesweit noch 160000 von ihnen. Erst mit der flächendeckenden Einführung privater Hausanschlüsse sank ihre Bedeutung als Kontaktpunkte quer über die Bundesrepublik verteilt. Mit der Privatisierung im wiedervereinigten Deutschland schließlich änderte sich auch die Corporate Identity und die neu geschaffene Deutsche Telekom ersetzte die gelben Telefonzellen nach und nach durch grau-weiß-magentafarbene. Heute betreibt die Telekom noch knapp 20000 Telefonzellen, vor allem an Orten mit großer Nachfrage wie Flughäfen oder Bahnhöfen. Daneben wurden viele durch Telefonsäulen ersetzt.
Telefonzellen standen für einen Raum, den es nach ihnen nicht mehr geben wird. Einen Zwischenraum, den zwischen Privatheit und Öffentlichkeit. Wer eine Telefonzelle betrat, die Tür hinter sich schloss, befand sich in einer Teilöffentlichkeit mit einem Stück Privatsphäre. Was in diesem Raum gesprochen wurde, war nur für die eigenen Ohren und die des Gegenübers bestimmt. Gleichzeitig war die Telefonzelle für jedermann zugänglich, mit allem, was dazugehört. Verschmierte Scheiben, zerknäuelte Taschentücher, kalter Zigarettenrauch – die Menschen brachten eben auch ihre Vorlieben mit ins Häuschen. Es soll sogar Kinder gegeben haben, die nicht der Storch, sondern die Post gebracht hatte.
Die gelben Telefonzellen aus Bundespostzeiten haben inzwischen Kultstatus erreicht. Zum Ruhm ihrer großen roten Schwestern aus Großbritannien – die in Kinofilmen, auf T-Shirts und in Museen zu sehen und zu einem identitätsstiftenden Symbol des Vereinigten Königreichs geworden sind – haben sie es nicht gebracht, aber immerhin. Viele Menschen haben sich in die Box verliebt, eine erstanden und neu interpretiert. Es gibt sie mit Duschkopf, umfunktioniert zur Gartendusche, als Mini-Tonstudio für Musiker, die seine schallschützende Funktion schätzen oder als Teil einer Bibliothek, die sie als Bücherschrank im Freien nutzt, der 24 Stunden geöffnet hat.
Übrigens: Wer möchte, kann eine alte Telefonzelle kaufen. Informationen über Preise und Konditionen gibt es schriftlich unter info@telekom.de. Je nach Typ und Zustand kostet sie ab 600 Euro, die gelben Häuschen sind bereits vergriffen. Vielleicht findet auf diesem Weg auch die letzte Telefonzelle Neuburgs eine neue Heimat. Andernfalls werde sie „fachgerecht entsorgt“und es heißt für immer: Kein Anschluss unter dieser Nummer.