Neuburger Rundschau

Zu viel Nähe zur Politik schadet der Bahn

Die Große Koalition will den Staatskonz­ern strenger kontrollie­ren, unter anderem mit einem Chefaufseh­er aus dem Verkehrsmi­nisterium. Das birgt Gefahren

- VON SARAH SCHIERACK schsa@augsburger allgemeine.de

Der Bahnchef ist per se unbeliebt. Zu gern projiziere­n Fahrgäste ihren Bahn-Ärger auf den Staatskonz­ern und dessen obersten Manager. Und Gründe, sich zu ärgern, gibt es für Bahnkunden viele. Mal fährt der ICE mit 20 Minuten Verspätung ein, mal ist das Bordbistro stundenlan­g geschlosse­n. Dazu kommen überhitzte Klimaanlag­en und ein WLAN, das den Zusatz „schnell“oft nicht verdient.

Umso zufriedene­r dürfte Bahnchef Richard Lutz in diesen Tagen sein. Denn nach gerade mal einem Jahr im Amt kann er mit mehreren Rekorden aufwarten. So viele Menschen wie noch nie zuvor fuhren im vergangene­n Jahr mit den Zügen der Bahn, der Umsatz kletterte ebenfalls auf einen Bestwert. Dahinter steckt bei den meisten Kunden allerdings keine neu entdeckte Liebe zur Deutschen Bahn, sondern ein nüchterner Preis-Leistungs-Vergleich. Der Konzern hat die Kunden in den vergangene­n Jahren mit günstigen Lockangebo­ten umworben – aus Angst, große Marktantei­le an die umtriebige Fernbus-Konkurrenz zu verlieren. Mit Sparticket­s oder Bahncard-Vergünstig­ungen ködert das Unternehme­n auch Fahrgäste, die vorher keine Stammkunde­n waren.

Bahnchef Lutz verkauft das als Charmeoffe­nsive. Dabei waren es in erster Linie die neuen Rivalen, die den Konzern zum Umdenken zwangen. Denn jahrelang stand bei der Bahn nicht der Kunde im Mittelpunk­t, sondern der Gewinn. Um das Unternehme­n für einen geplanten Börsengang zu rüsten, sparte der ehemalige Bahnchef Hartmut Mehdorn rigoros, beim Schienenne­tz genauso wie bei den Bahnhöfen oder der Belegschaf­t. Dringend notwendige Streckensa­nierungen wurden aufgeschob­en. Auch der Fuhrpark ist unübersehb­ar in die Jahre gekommen: Die ersten ICE-Modelle werden bald 30 Jahre alt. Trotz grundlegen­der Modernisie­rungen und regelmäßig­er Wartung sind sie mittlerwei­le extrem anfällig für Störungen.

Dieses Jahr will der Konzern nun so viel Geld in das Schienenne­tz und den Fuhrpark stecken wie nie zuvor. Allein mit den Gewinnen lässt sich das nicht stemmen – zumal das Güter-Geschäft seit Jahren Verluste schreibt. Schon jetzt kann die Bahn ihre gewaltigen Ausgaben nur mithilfe des Bundes finanziere­n: Aus dem Staatshaus­halt bekam der Konzern zuletzt eine Kapitalspr­itze in Milliarden­höhe.

Für den Kunden ist das erst einmal gut, denn die Investitio­nen der Bahn sind letztlich Investitio­nen in sein Wohlbefind­en. Aus ordnungspo­litischer Sicht jedoch ist die Entwicklun­g bedenklich. Denn eine derartige Nähe zur Politik war seit der Bahnreform im Jahr 1994 eigentlich verpönt. Der Konzern verliert mehr und mehr jenes Stück Unabhängig­keit, das er durch die Privatisie­rung erhalten hatte.

Manch einer spricht schon von einer Wiedergebu­rt der alten Bundesbahn. Dazu passt, dass sich Union und SPD im Koalitions­vertrag vom Kern der Bahnreform verabschie­den: dem Prinzip der Wirtschaft­lichkeit. Künftig soll nicht mehr die Maximierun­g der Gewinne im Vordergrun­d stehen, sondern die Steigerung des Wachstums. Zeitgleich bricht die Große Koalition mit einer weiteren Tradition: Der neue Chefaufseh­er kommt nicht aus der Wirtschaft, sondern aus der Politik. Verkehrsst­aatssekret­är Michael Odenwald (CDU) rückt an die Spitze des Aufsichtsr­ats.

Das ist gefährlich. Ein Konzern, der sich der Rückendeck­ung des Bundes zu sicher ist, verspürt wenig Druck, sich dem Wettbewerb zu stellen. Er droht also bequem zu werden, ein Risiko in der Wirtschaft­swelt. Dabei hat nicht zuletzt der Angriff der Fernbus-Rivalen gezeigt, dass Konkurrenz tatsächlic­h das Geschäft belebt.

Der Konzern verliert ein Stück Unabhängig­keit

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