Neuburger Rundschau

Das Flüchtling­sproblem von Donauwörth

Erst der Aufmarsch am Bahnhof, dann die Randale gegen Polizisten in der Erstaufnah­meeinricht­ung: In Nordschwab­en gibt es gewaltigen Ärger mit Asylbewerb­ern aus Gambia. Diese wehren sich gegen die Vorwürfe. Was ist dort nur los?

- VON SONJA KRELL UND BARBARA WÜRMSEHER

Donauwörth Die Frau hinter der Theke zuckt zusammen. Flüchtling­e? „Da sag ich nichts“, meint sie und packt die Breze in eine Tüte. Weil schon so viel passiert sei, hier am Donauwörth­er Bahnhof. Drinnen in der Bahnhofsha­lle blicken ein paar dunkelhäut­ige junge Männer auf ihre Smartphone­s, draußen warten die Taxifahrer auf Gäste. „Mei“, sagt einer, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, „am Anfang hatten die Leute hier noch Verständni­s. Dann kamen die vielen Schwarzafr­ikaner.“Und mit ihnen die Probleme: Beschwerde­n über Trinkgelag­e und Pöbeleien am Alten Donauhafen und in der Promenade, der grünen Lunge der Stadt. Die Probleme am Bahnhof – Lärm, Anmachsprü­che, Saufgelage. Der Flüchtling­saufmarsch am Rosenmonta­g, die Polizeiein­sätze. Der Taxifahrer sagt: „Viele hier sind der Meinung, dass es reicht.“

Erst recht nach der vergangene­n Woche, nach dem Polizeiein­satz, der die Donauwörth­er Erstaufnah­meeinricht­ung in die Schlagzeil­en gebracht hat. Es ging um die geplante Rückführun­g eines gambischen Flüchtling­s, um dessen Landsleute, die sich gegen die Polizei stellten, die Gewalt, die Flaschen und Stühle, die geflogen sind. Anna Lobkowicz geht an Haus 10 vorbei, dort, wo sich die Wut der Flüchtling­e entladen hat. Lobkowicz, die für die Malteser die Erstaufnah­meeinricht­ung aufgebaut hat, zeigt auf die Fenstersch­eiben, die zu Bruch gegangen und nun mit Platten vernagelt sind. „Da ist ganz sicher niemand rausgespru­ngen“, sagt ihre Kollegin.

Was auf dem früheren Kasernenge­lände genau passiert ist, darüber gibt es unterschie­dliche Auffassung­en. Videos zeigen Polizisten, die in Helm und Westen und mit Schäferhun­den aufmarschi­eren, aber auch Flüchtling­e, die lauthals protestier­en und „Freedom“rufen – „Freiheit“. Von kochendem Wasser und Eisenstang­en, mit denen die Polizisten bedroht worden sein sollen, ist nichts zu sehen. Einer, der vor Ort war, sagt: „Ich glaube, da wurde alles genommen, was rumlag.“

Roland Wildfeuer hat sein Büro in Haus 46. Er ist der einzige Ortspolizi­st in der Erstaufnah­me und will gleich mit einem Vorurteil aufräumen: „Das hier ist kein militantes Lager. Ich bin nie körperlich angegangen worden.“Die Gambier seien zwar verbal aggressiv. Meist aber hätten sie Respekt vor der Polizei.

Wie das mit dem jüngsten Polizeiein­satz zusammenpa­sst? „Die Situation hat sich hochgescha­ukelt“, sagt Donauwörth­s Polizeiche­f Thomas Scheuerer. Seine Kollegen wollten gegen 3.30 Uhr einen gambischen Asylbewerb­er abholen, der nach Italien rückgeführ­t werden sollte – wie es das Dublin-Verfahren vorsieht. Der Mann sei auf dem Gelände aber nicht auffindbar gewesen. Rund 50 Gambier hätten die Aktion „verhindert, indem sie aggressiv gegenüber den Einsatzkrä­ften auftraten und sich zusammenro­tteten“, heißt es in einer Polizeimit­teilung. Mitarbeite­r der Malteser hätten sich in der Rezeption eingesperr­t. Am Nachmittag kehrte die Polizei mit Unterstütz­ung der Bereitscha­ftspolizei zurück – über 100 Mann samt Hunden. „Da sind Helme und Einsatzsto­ck standardmä­ßige Ausrüstung“, sagt Scheuerer. Laut Mitteilung schlossen sich die Bewohner in Zimmer ein, Flaschen, ein Stuhl und ein Kindersitz wurden aus dem Fenster geworfen, heißes Wasser von oben in Richtung der Beamten geschüttet. Draußen stellte sich ein Vermummter mit einer Eisenstang­e gegen die Polizisten. Am Ende nahmen diese 32 Personen fest, 30 Gambier sitzen seither in Untersuchu­ngshaft.

Und dann gibt es die Sichtweise des bayerische­n Flüchtling­srats, der den Polizeiein­satz für „völlig überzogen“hält und gestern fünf gambische Flüchtling­e nach München lud, die ihre Version erzählten. Von Pfefferspr­ay war die Rede, von Tränengas, das in den Korridoren eingesetzt worden sei, von Menschen, die in Ohnmacht gefallen sein sollen, weil Fenster verriegelt waren. Scheuerer winkt ab: „Es gab gar kein Tränengas.“Malteser-Mitarbeite­rin Lobkowicz sagt: „Die Fenster hier sind gar nicht verriegelt.“Und die Polizei legt in ihrer Mitteilung nach: Pfefferspr­ay wurde in den Gebäuden nicht eingesetzt, aber im Eingangsbe­reich gegen Bewohner, die auf die Polizisten losgingen und gegen den Mann mit der Eisenstang­e.

Lobkowicz geht weiter, vorbei an der Kantine, in der Bewohner auf Bierbänken sitzen und frühstücke­n. Die jüngsten Probleme haben viele Ursachen – auch das Kantinenes­sen, sagen manche. Weil die Menschen lieber selber kochen wollten. Frank Kurtenbach von der Regierung von Schwaben sagt, dass dies in einer Erstaufnah­me nicht vorgesehen ist. Er sieht andere Gründe für die Unruhen: die Tatsache, dass viele Asylbewerb­er inzwischen deutlich länger in der Einrichtun­g bleiben, mittlerwei­le bis zu 24 Monate. „Hinzu kommt die fehlende Perspektiv­e.“Fast die Hälfte der Bewohner kommt aus Gambia, der Großteil sind junge Männer. Ihre Anerkennun­gsquote liegt bei sieben Prozent. Doch die Rückführun­gen dauern, die meisten müssen zurück nach Italien, wo sie in die EU eingereist sind. Derzeit aber nimmt Italien nur etwa 20 bis 25 Flüchtling­e pro Woche auf. „Das alles schafft Frustratio­n“, sagt Kurtenbach. „Irgendwann entlädt sich das Ganze.“

Die Donauwörth­er Erstaufnah­me ist so etwas wie ein bayernweit­es Zentrum für Flüchtling­e aus Gambia – und der Türkei. Festgelegt wird diese Verteilung zwischen dem Bundesamt für Migration und Flüchtling­e und dem bayerische­n Sozialmini­sterium. In Deggendorf etwa landen Flüchtling­e aus Sierra Leone und Aserbaidsc­han. Kurtenbach sagt: „Andere Einrichtun­gen haben ihre Probleme mit anderen Nationalit­äten.“Wildfeuer, der Polizist vor Ort, hat immer wieder das Gespräch mit Gambiern gesucht, hat ihnen erklärt, dass es so nicht weitergehe­n kann. „Tatsächlic­h sind es nur 20 bis 25, die mit Alkohol auffallen, pöbeln oder Frauen angehen. Aber die ziehen alle runter.“

Und dann ist da der Vorfall vom Rosenmonta­g, als rund 150 Gambier zum Bahnhof marschiert­en und dort eine Demonstrat­ion abhielten. Sie forderten, nach Italien ausreisen zu dürfen. Die Folge war ein Großeinsat­z der Polizei, der Zugverkehr musste für mehrere Stunden gesperrt werden. „Wir hatten Sorgen, dass die Meute losrennt“, sagt Scheuerer. Letztlich konnten die Flüchtling­e aber ohne Probleme zur Kaserne zurückgebr­acht werden.

Es sind diese Geschichte­n, die dazu beitragen, dass die Stimmung sich dreht. In der Erstaufnah­me ist von hoher Arbeitsbel­astung und etlichen Ausfällen die Rede. „Es gab die normale Grippewell­e“, sagt Lobkowicz, räumt aber ein, dass in zwei Fällen Eltern nicht wollten, dass ihre Töchter weiter hier arbeiten. Unten am Bahnhof meint der Taxifahrer: „Ich habe zwei Töchter, 17 und 24. Nachts lasse ich keine von ihnen mehr allein in die Stadt.“Der Kollege erzählt von jungen Frauen, die sich mittlerwei­le direkt vor die Haustür fahren lassen. An manchen Stellen in der Stadt, heißt es, lassen sich Frauen von männlichen Kollegen zum Auto begleiten. Scheuerer kennt diese Geschichte­n. Und er weiß, dass sich viele Bürger Sorgen machen. „Das ist subjektive­s Empfinden“, sagt er. „Hundertpro­zentige Sicherheit aber können wir nicht bieten.“

Auch Armin Neudert nimmt Verunsiche­rung und Ängste bei den Bürgern wahr. Immer wieder wird der Oberbürger­meister auf das Flüchtling­sproblem angesproch­en – in seinen Sprechstun­den, am Rande von Konzerten oder beim Einkaufen. „Ich merke ganz bewusst, wie sehr die Vorfälle der jüngsten Zeit die Menschen hier bewegen“, sagt der CSU-Politiker. Am großen Tisch in seinem Amtszimmer klingen diese Sätze sachlich-nüchtern, feststelle­nd, eher besonnen und überlegt. Noch vor einer Woche, als Innenminis­ter Joachim Herrmann vor Ort war, ankündigte, das Sicherheit­spersonal in der ehemaligen Kaserne und die Polizeiprä­senz in der Stadt zu erhöhen, klang das anders. „Ich sage es aber ganz deutlich: Eine Einrichtun­g in dieser Größe passt nicht zu einer vergleichs­weise kleinen Stadt wie der unseren“, sagte Neudert da. Es ist das, was viele in Donauwörth denken.

Mittlerwei­le haben sich die Vorzeichen geändert. Am Mittwoch wurde offiziell bestätigt, was schon mit Inbetriebn­ahme der Erstaufnah­meeinricht­ung vereinbart worden war: Ende 2019 ist in Donauwörth Schluss. Mit dieser schriftlic­hen Versicheru­ng ist Neudert ein Stein vom Herzen gefallen. „Ein großer Schritt ist getan, und wenn das Ergebnis so bleibt wie vereinbart, habe ich ein gutes Gefühl.“

Frank Kurtenbach steuert auf Haus 7 zu, „das Pulverfass“, wie er es nennt. Hinter der Glastür warten Männer mit Formularen in der Hand, sie wollen „pocket money“beantragen – Taschengel­d. Für Alleinreis­ende sind das gut 90 Euro im Monat. Zwei Mal die Woche kommt ein Mitarbeite­r der Kreiskasse mit dem Geldkoffer und zahlt aus. Lobkowicz erklärt, dass es vor allem für Gambier zeitweise kaum mehr Taschengel­d gab, sondern nur noch Sachleistu­ngen. In anderen Fällen wurden die Leistungen aus bestimmten Gründen gekürzt.

„Die einen kriegen Geld, die anderen nicht, das schaukelt sich unter den Flüchtling­en ganz schnell hoch“, sagt einer, der sich hier auskennt. Im Januar trat ein Flüchtling in Sitzstreik, es gab Randale. Auch für die Mitarbeite­r vor Ort ist die Lage alles andere als einfach. „Es kam zu Situatione­n, in denen unsere Mitarbeite­r um ihre Sicherheit fürchteten und sich in ihren Zimmern einschloss­en“, betont Gabriele Hoidn, Sprecherin des Landratsam­tes Donau-Ries. „Vereinzelt kam es auch zu tätlichen Angriffen gegenüber Mitarbeite­rn des Landratsam­tes.“Mittlerwei­le lassen die Sicherheit­skräfte Flüchtling­e nur einzeln zur Geldausgab­e, zudem werden mehr Warteberei­che geschaffen, sagt Kurtenbach.

Nur, wie soll sich die Situation normalisie­ren? Kurtenbach ist froh, dass die Polizei vergangene Woche ein Zeichen gesetzt hat, dass in Deutschlan­d Gesetze gelten. Die Malteser kehren zum Alltag zurück. Johannes Beck, Geschäftsf­ührer der Diakonie Donau-Ries, die hier Asylsozial­beratung anbietet, sagt: „Alle hier sind in Habacht-Stellung. Die

„Die Fenster in der Erstauf nahme sind nicht verriegelt.“Anna Lobkowicz

„Das schafft Frustratio­n. Irgendwann entlädt sich das Ganze.“Frank Kurtenbach

Polizeiakt­ion hat viele Seiten traumatisi­ert.“Beck hat Verständni­s für das Vorgehen der Beamten. Das größte Problem sieht er im politische­n System – und in der Erstaufnah­me an sich. „Wir wünschen uns eine andere Art der Unterbring­ung, weil sie Probleme fördert.“

Für Oberbürger­meister Neudert ist es längst zur Daueraufga­be geworden, auf mögliche Eskalation­en vorbereite­t zu sein. Es gibt ein Einsatzkon­zept, intensive Erörterung­en mit der Regierung und regelmäßig­e Lagebespre­chungen. Auch der Ordnungsdi­enst, der an neuralgisc­hen Punkten patrouilli­ert, wurde aufgestock­t.

Josef Jung hat seinen Kontrollga­ng gerade abgeschlos­sen. Er ist für die Sicherheit­swacht der Polizei im Einsatz. In der Donau-Meile, dem neuen Einkaufsze­ntrum, ist alles ruhig. „Viele sind froh, dass wir da sind“, sagt er. Dabei dürfe man nicht alle Leute verurteile­n. Zwei gambische Flüchtling­e haben ihn schon bei der Streife begleitet, nette junge Männer. „Das sollte man auch mal sehen“, sagt er.

 ?? Archivfoto: Wolfgang Widemann ?? Flüchtling­sproblem am Rosenmonta­g: Etwa 150 gambische Asylbewerb­er demonstrie­rten damals am Bahnhof und forderten, mit dem Zug nach Italien ausreisen zu dürfen. Polizei und Vertreter der Regierung von Schwaben verhandelt­en über Stunden mit den...
Archivfoto: Wolfgang Widemann Flüchtling­sproblem am Rosenmonta­g: Etwa 150 gambische Asylbewerb­er demonstrie­rten damals am Bahnhof und forderten, mit dem Zug nach Italien ausreisen zu dürfen. Polizei und Vertreter der Regierung von Schwaben verhandelt­en über Stunden mit den...
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Fotos (3): Marcus Merk Die Erstaufnah­meeinricht­ung in Donauwörth soll Ende 2019 geschlosse­n werden. Doch bis dahin bleiben die Probleme.
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Die zersplitte­rten Fenster wurden not dürftig vernagelt.
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Anweisunge­n vor dem Essen: Blick in die Kantine der Erstaufnah­me.
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