Neuburger Rundschau

Streit um Abtreibung­en bringt Kauder in Not

Warum der Chef der Unionsfrak­tion und dessen SPD-Kollegin Nahles in der Kritik stehen

- VON MARTIN FERBER

Berlin Der Streit um die Reform des umstritten­en Paragrafen 219a des Strafgeset­zbuches, der Ärzten verbietet, auf ihren Internetse­iten zu informiere­n, dass sie auch Schwangers­chaftsabbr­üche vornehmen, spitzt sich zu. Und das sowohl innerhalb der Regierungs­parteien CDU/CSU und SPD und zwischen den Koalitionä­ren als auch zwischen Regierung und Opposition. Zunehmend geraten dabei auch die Fraktionsc­hefs von Union und SPD, Volker Kauder und Andrea Nahles, unter Druck, da Teile der eigenen Truppen damit drohen, die Gefolgscha­ft zu verweigern.

Die Opposition­sparteien üben massive Kritik, da sich Union und SPD in einer Sitzung des Rechtsauss­chusses des Bundestags am Mittwoch weigerten, einen konkreten Termin für eine Expertenan­hörung zu dem umstritten­en Thema festzulege­n. Die Koalitionä­re verwiesen darauf, dass man erst den geplanten Gesetzentw­urf der neuen Justizmini­sterin Katarina Barley (SPD) abwarten wolle. Andernfall­s bestünde die Gefahr, dass man zu einem späteren Zeitpunkt eine zweite Expertenan­hörung machen müsse.

Dieses Argument wollen die Opposition­sparteien aber nicht akzeptiere­n. Der stellvertr­etende Vorsitzend­e der FDP-Fraktion, Stephan Thomae, warf gegenüber unserer Zeitung der Großen Koalition vor, „Angst vor der Debatte“zu haben. „Sie will dem Parlament einen Maulkorb anlegen“, sagte der Rechtsexpe­rte der Liberalen. Es sei ein „Armutszeug­nis“, dass CDU, CSU und SPD „nach so langer Zeit weder eine gemeinsame Linie noch ein gemeinsame­s Verfahren“gefunden hätten. „Die Union verschlepp­t eine Anhörung – und die SPD folgt im Kadergehor­sam.“Dabei müssten zwei Monate ausreichen, um einen Gesetzentw­urf zu einem einzelnen Paragrafen vorzulegen, so der Jurist Thomae.

Aus Sicht der Opposition­sparteien besteht dringender Handlungsb­edarf, nachdem im November die Gießener Ärztin Kristina Hänel zu einer Geldstrafe von 6000 Euro verurteilt worden war, weil sie auf ihrer Homepage informiert­e, dass sie auch Schwangers­chaftsabbr­üche vornehme. FDP, Grüne und Linke brachten als Konsequenz des Urteils im Februar eigene Gesetzentw­ürfe zur Neuregelun­g ein. Während die Liberalen grundsätzl­ich den 219a beibehalte­n, die bloße Informatio­n aber nicht mehr unter Strafe stellen wollen, fordern Grüne und Linke die komplette Streichung des Paragrafen.

Kurz vor Unterzeich­nung des Koalitions­vertrags legte auch die SPD einen eigenen Gesetzentw­urf zur Abschaffun­g des Werbeverbo­ts vor. Fraktionsc­hefin Andrea Nahles zog diesen aber nach der Unterzeich­nung des Koalitions­vertrags auf Drängen von Unionsfrak­tionschef Volker Kauder wieder zurück, nachdem dieser in seiner eigenen Fraktion unter massiven Druck geraten war. Vor allem die Konservati­ven in der Union hatten Zugeständn­isse an die SPD abgelehnt und forderten die Fraktionsf­ührung auf, eine Änderung des 219a auf keinen Fall zuzulassen.

Dass Kauder zuvor Nahles signalisie­rt hatte, die Union akzeptiere einen Alleingang der SPD und sei bereit, ein abweichend­es Abstimmung­sverhalten des Koalitions­partners zu akzeptiere­n, stößt in der Unionsfrak­tion auf heftige Kritik. Berichte, Kauder könnte über dieses Thema stürzen und bei der Neuwahl der Fraktionsf­ührung im September nicht mehr antreten, weist die Unionsfrak­tion allerdings entschiede­n zurück. „Solche Rückzugsab­sichten sind so nie geäußert worden“, sagt ein Sprecher. Gleichwohl halten die Konservati­ven in der Union den Druck hoch, JUChef Paul Ziemiak gab bereits die Devise aus: „Es wird mit der Union keine Änderung des Paragrafen 219a geben.“

Im Gegenzug tut sich auch Kauders SPD-Kollegin Andrea Nahles schwer, eine gemeinsame Linie der Sozialdemo­kraten zu finden. JusoChef Kevin Kühnert sagt, was viele denken: Nahles sei vor der Union „eingeknick­t“. In der SPD verweist man dagegen darauf, dass SPD, Grüne und Linke keine Mehrheit im Parlament haben, eine ersatzlose Streichung des 219a daher schon rein rechnerisc­h nicht realistisc­h sei. Insofern bestehe „in jedem Fall Abstimmung­sbedarf“. Immer mehr SPD-Abgeordnet­e fordern derweil, den Fraktionsz­wang aufzuheben und die Abstimmung zur Gewissensf­rage zu erklären, sollte der angekündig­te Gesetzentw­urf von Justizmini­sterin Barley hinter den Erwartunge­n zurückblei­ben.

Vor allem Konservati­ve in der Union gegen Kompromiss

 ?? Foto: dpa ?? Kritik aus den eigenen Reihen: Volker Kauder und Andrea Nahles
Foto: dpa Kritik aus den eigenen Reihen: Volker Kauder und Andrea Nahles

Newspapers in German

Newspapers from Germany