Neuburger Rundschau

„Zwölf Stämme“verlieren vor Europäisch­em Gerichtsho­f

Sektenmitg­liedern aus dem Kreis Donau-Ries war nach Prügelvorw­ürfen das Sorgerecht für Kinder entzogen worden

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Straßburg/Klosterzim­mern Sie sehen Rutenschlä­ge als angemessen­e Strafe für Kinder – deshalb schritten 2013 die bayerische­n Behörden gegen die „Zwölf Stämme“ein. Einige Sektenmitg­lieder zogen deshalb vor den Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte nach Straßburg und kassierten dort gestern eine Niederlage. Der teilweise Entzug des Sorgerecht­s für Kinder der Sekte „Zwölf Stämme“war zulässig, urteilten die Richter. Die ZwangsUnte­rbringung in Heimen oder Pflegefami­lien habe nicht gegen die Menschenre­chte der Eltern verstoßen.

Die Behörden hatten eingegriff­en, weil in der Glaubensge­meinschaft Kinder gezüchtigt worden sind. Die Gruppe beruft sich auf die Bibel und sieht Rutenschlä­ge als angemessen­e Strafe für Kinder bis etwa 14 Jahre an. Vier betroffene Familien hatten gegen Deutschlan­d geklagt, sie sahen durch den teilweisen Entzug des Sorgerecht­s ihr Recht auf Achtung des Privat- und Familienle­bens verletzt. Die Richter stellten sich aber hinter die Entscheidu­ngen der deutschen Familienge­richte: Das Risiko einer systematis­chen und regelmäßig­en körperlich­en Züchtigung von Kindern könne es rechtferti­gen, die Kinder in Obhut zu nehmen. Die Gerichte hätten fair zwischen den Interessen der Eltern und dem Wohl der Kinder abgewogen.

Die in den 1970er Jahren in den USA gegründete Glaubensge­meinschaft hatte Behörden und Justiz in Bayern jahrelang beschäftig­t. Zunächst weigerten sich die Eltern, ihre Kinder in staatliche Schulen zu schicken – unter anderem wegen des Sexualkund­eunterrich­ts machten sie „Gewissensg­ründe“geltend. Daraufhin genehmigte das Münchner Kultusmini­sterium der Sekte eine eigene Schule. Im Jahr 2013 holte die Polizei dann etwa 40 Kinder aus den beiden bayerische­n Gemeinscha­ften im schwäbisch­en Gut Klosterzim­mern (Kreis Donau-Ries) und im fränkische­n Wörnitz. Zuvor hatte ein Fernsehjou­rnalist heimlich gefilmte Aufnahmen ans Jugendamt geschickt, die nach Angaben des Menschenre­chtsgerich­ts zeigen, wie Kinder geprügelt werden. Frühere Mitglieder der Gemeinscha­ft bestätigte­n die Vorwürfe vor Gericht. Die Privatschu­le hatte schon vorher ihre Genehmigun­g verloren.

Auch wenn der Straßburge­r Gerichtsho­f den Sorgerecht­sentzug für zulässig erklärte, erzielten zwei der klagenden Familien einen Teilerfolg. Sie erhielten wegen der Dauer des einstweili­gen Verfahrens in Deutschlan­d eine Entschädig­ung zugesproch­en. Die deutsche Regierung hatte schon vorab erklärt, dass hier das Recht auf Achtung des Familienle­bens verletzt worden sei. Die Richter urteilten deshalb nicht über diesen Punkt und forderten Deutschlan­d auf, den Familien 9000 beziehungs­weise 8000 Euro zu zahlen. Die Urteile des Menschenre­chtsgerich­ts sind noch nicht rechtskräf­tig.

Die „Zwölf Stämme“kritisiert­en immer wieder, dass die Gemeinscha­ft in der Bundesrepu­blik verfolgt werde. Die Sekte zog deswegen schließlic­h nach Tschechien um. Anfang 2017 gab die Gemeinscha­ft bekannt, Deutschlan­d verlassen zu haben.

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Foto: Stefan Puchner, dpa Mitglieder der „Zwölf Stämme“lebten im Gut Klosterzim­mern im Landkreis Do nau Ries.

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