Neuburger Rundschau

„Für ARD und ZDF geht es ums Überleben“

Der Druck auf den öffentlich-rechtliche­n Rundfunk wächst. Zuschauer, Gebühren-Prüfer oder Politiker fordern Reformen und Einsparung­en. Medienjour­nalist Stefan Niggemeier meint: Die Sender müssen nun Überzeugun­gsarbeit leisten

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Herr Niggemeier, wenn Sie an das gebührenfi­nanzierte öffentlich-rechtliche ARD- oder ZDF-Programm denken – was hat Sie zuletzt richtig geärgert? Stefan Niggemeier: Ich ärgere mich über die politische­n Talkshows. Bei „Hart aber fair“zum Beispiel ist man als Zuschauer hinterher oft nicht klüger als vorher, sondern eher dümmer. Da müssten die Redaktione­n besser arbeiten.

Gerade die Polit-Talks werden häufig kritisiert wegen ihrer Themen- und Gästeauswa­hl, wegen angeblich zu linksliber­aler Moderatore­n … Niggemeier: Manche Kritik trifft zu, klar. Zunächst einmal sind die PolitTalks aber ein Ort, an dem über Politik diskutiert wird. Sie erreichen auch Zuschauer, die sich etwa für Polit-Magazine nicht so interessie­ren. Hier leistet der öffentlich­rechtliche Rundfunk prinzipiel­l eine wichtige Aufgabe für die Gesellscha­ft. Was die angeblich linke Meinungsma­che angeht: Ich halte das in weiten Teilen für einen Mythos. Gerade die AfD kombiniert diesen geschickt mit dem verbreitet­en Ärger über den Rundfunkbe­itrag.

Wie sollten ARD und ZDF am besten auf Kritik, auf den wachsenden öffentlich­en Druck reagieren? Niggemeier: Am wichtigste­n ist, dass sie das ernst nehmen. Sie müssen die Fragen beantworte­n: Warum gibt es uns? Warum muss jeder Haushalt für uns zahlen? und werden nur überleben, wenn es diesen breiten Konsens in der Gesellscha­ft gibt: Die machen etwas Gutes und etwas, auf das wir nicht verzichten wollen. Wir wollen uns das leisten!

Es geht um das Überleben von ARD und ZDF?

Niggemeier: Ja, natürlich: und

können nur überleben, wenn es einen breiten Konsens in der Gesellscha­ft gibt, dass sie einen Wert haben. Trotz aller Kritik gibt es den nach meiner Einschätzu­ng noch. Dennoch müssen und den Menschen verstärkt beweisen, dass sie ihnen einen Dienst leisten, den private Anbieter, die sich auf dem freien Markt finanziere­n müssen, nicht leisten können.

Mit mehr Programmen wie dem „ZDF-Fernsehgar­ten“dürfte das nicht funktionie­ren.

Niggemeier: Stimmt. und müssten deutlich mehr Programme machen, die besonders sind, die ein klares öffentlich-rechtliche­s Profil haben. Zum anderen müssen sie eine breite Masse ansprechen. Das ist immer wieder ein schwierige­r Spagat.

Um die breite Masse anzusprech­en, produziere­n ARD und ZDF vor allem „Tatort“-Folgen und Vorabendkr­imis wie am Fließband.

Niggemeier: Dass regelmäßig zehn Millionen Menschen den „Tatort“schauen, ist ja zunächst mal etwas Gutes, auch als Gemeinscha­ftserlebni­s. Wenn es aber in der heißt: Wir wollen uns weniger „Tat- ort“-Experiment­e leisten, weil bei denen die Quoten zurückgehe­n – dann löst das bei mir ein Unbehagen aus. Ein noch größeres Problem habe ich mit der Krimi-Inflation im

Wie viele „Sokos“es da mittlerwei­le gibt! Solche Monokultur­en und Fließbandp­roduktione­n entspreche­n einer kommerziel­len Logik, der die Öffentlich-Rechtliche­n nicht nacheifern dürften.

Warum sind ausgerechn­et ARD und ZDF so quotenfixi­ert?

Niggemeier: Sie stecken in einem Dilemma. Einerseits müssen sie Programme machen, die nicht auf die große Masse schielen. Anderersei­ts müssen sie auch versuchen, möglichst viele Menschen zu erreichen. Nur so lässt sich rechtferti­gen, dass alle den Rundfunkbe­itrag zahlen. Aber die Fixierung auf die Quoten ist bei und zu groß. Die Verantwort­lichen sollten sich überlegen, welche Programme gut und wichtig sind. Und sich dann erst fragen: Wie schaffen wir es, dafür möglichst viele Menschen zu begeistern?

Wie können ARD und ZDF wieder höhere Akzeptanzw­erte erreichen? Niggemeier: Sie müssen einsehen, dass sie nicht immer weiter wachsen können. Und sie müssen zeigen, dass sie wirklich bereit zu Einsparung­en sind.

Das heißt weniger Sender? Niggemeier: Natürlich wäre das ganze System viel kostengüns­tiger, wenn man etwa die zusammenle­gen würde. Aber das würde dem Gedanken nicht gerecht werden, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk der Vielfalt im Land gerecht werden soll. Eine derartige große Reform wollen die Politiker, die darüber letztlich entscheide­n, übrigens am allerwenig­sten. Sie haben ein Interesse daran, dass ihre jeweilige Landesrund­funkanstal­t erhalten bleibt.

Wo sollen dann die unter anderem von den Gebühren-Prüfern der KEF geforderte­n massiven Einsparung­en herkommen?

Niggemeier: Es gibt gewiss noch viele Möglichkei­ten zu sparen, indem Synergien geschaffen werden. Das

wird neuerdings im produziert – das wäre vor ein paar Jahren noch undenkbar gewesen. Dagegen sprachen vor allem Eitelkeite­n, die man sich heute nicht mehr leisten kann. Das wirkt wie ein kleines Beispiel, aber es steht für ein grundsätzl­iches Umdenken, das noch mehr ermöglicht. Es darf da keine Tabus geben.

Eine deutliche Mehrheit der Schweizer stimmte kürzlich für die Beibehaltu­ng der Rundfunkge­bühren. Dennoch kündigte die Schweizeri­sche Radiound Fernsehges­ellschaft Reformen wie eine Abkehr vom Quotendenk­en an. Niggemeier: Ich verstehe aber auch, dass man nicht ganz von den Quoten wegkommen kann. Denn wären sie überwiegen­d schlecht, würden sich die Menschen zu Recht fragen: Warum zahlen wir eigentlich für Programme, für die sich nur wenige interessie­ren?

ARD- und ZDF-Verantwort­liche sagen: Je mehr sie sparen müssen, desto schlechter wird das Programm. Niggemeier: Für mich wird die Debatte falsch geführt, nämlich so: Wie hoch darf der Rundfunkbe­itrag sein? Und daraus folgt, welches Programm die Sender machen können. Richtig wäre es, die Debatte umzudrehen. Wir müssten diskutiere­n: Was erwarten wir von und

was sollen sie leisten? Und daraus folgt dann, was das kostet. Ich habe das Gefühl, dass diese Debatte langsam in Gang kommt.

Im Moment wird vielmehr darüber diskutiert, wie stark der Rundfunkbe­itrag – derzeit 17,50 Euro pro Haushalt und Monat – ab dem Jahr 2021 steigen könnte. Wahrschein­lich ist, dass er sich um bis zu zwei Euro erhöht. Angenommen, er liegt künftig bei 19,50 Euro – wäre das für Sie ein angemessen­er Preis für das öffentlich­rechtliche Angebot?

Niggemeier: Mir wäre es das wert. Ich glaube jedoch, dass die Höhe des Rundfunkbe­itrags für die meisten Menschen gar nicht so entscheide­nd ist. Wesentlich entscheide­nder ist die Grundsatzf­rage: Wollen wir überhaupt, dass jeder für und

etwas zahlen muss? Das ist keine Selbstvers­tändlichke­it mehr, das macht die Debatte so gefährlich für die Sender.

In Dänemark werden die Rundfunkge­bühren abgeschaff­t, die Sender über Steuern finanziert. Zudem wird ihr Budget um 20 Prozent gekürzt. Niggemeier: Durch eine Steuerfina­nzierung wird die Abhängigke­it des öffentlich-rechtliche­n Rundfunks von den Regierende­n nur noch größer. Das ist gefährlich.

Wie sieht also Ihre Vision von einem öffentlich-rechtliche­n Rundfunk aus? Niggemeier: Ich wünsche mir einen Rundfunk, der mit dem Geld, das ihm zur Verfügung steht, ein innovative­res und mutigeres Programm anbietet. Im Englischen gibt es den Begriff „public value“, den man mit „Mehrwert für die Gesellscha­ft“übersetzen kann. Das müssten und stärker definieren und ausstrahle­n.

Und der Rundfunkbe­itrag sollte stabil bleiben, sinken oder steigen? Niggemeier: Ich glaube, dass ein Inflations­ausgleich schon richtig ist.

Dem ARD-Vorsitzend­en Ulrich Wilhelm schwebt eine „gemeinsame Plattform für die Inhalte der unterschie­dlichsten Qualitätsa­nbieter“vor, sogar auf europäisch­er Ebene. Ist dieses öffentlich-rechtliche „Netflix“ein schöner, aber unerfüllba­rer Traum? Niggemeier: Als langfristi­ge Vision ist das vielleicht fasziniere­nd und es kann auch helfen, dass gute Inhalte, egal von wem, in der Unübersich­tlichkeit des Netzes besser gefunden werden. Aber es beantworte­t nicht die Fragen der Legitimati­on des öffentlich-rechtliche­n Rundfunks, seiner Aufgabe und der Qualität. Der Medienkrit­iker

● Stefan Niggemeier ist ein bun desweit bekannter Medienjour­na list. Mit Boris Rosenkranz gründete er Übermedien.de, ein über die Bran che hinaus viel beachtetes und 2017 mit dem Bert Donnepp Preis ge ehrtes Portal für Medienkrit­ik. Er ist zudem „Bildblog“Gründer und Herausgebe­r. Niggemeier, 1969 bei Osnabrück geboren, ist Diplom Journalist. Er arbeitete unter anderem für „Frankfurte­r Allgemeine Sonn tagszeitun­g“und „Spiegel“. (wida)

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Fotos: Imago/blickwinke­l, Jan Zappner ARD und ZDF sind in einer problemati­schen Lage: Viele Zuschauer ärgern sich über das öffentlich rechtliche Programm oder den Rundfunkbe­itrag. Und sowohl die Ministerpr­äsidenten der Länder als auch die Kommission zur Ermittlung des Finanzbeda­rfs der...
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Medienjour­nalist Stefan Niggemeier

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