Neuburger Rundschau

Was Sie zur Pflege wissen müssen

Pflegegrad­e, Kurzzeitpf­lege und Unterhalts­pflicht: Die Eltern im Alter zu unterstütz­en, kann komplizier­t sein. Drei Experten beantworte­n Fragen zu den Versicheru­ngen und ihren Leistungen

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Augsburg Jeder möchte das Beste für seinen pflegebedü­rftigen Angehörige­n. Dafür sollte man wissen, was einem im Fall des Falles zusteht. Beim Lesertelef­on hatten Interessie­rte die Gelegenhei­t, Susanne Fischer vom Sozialverb­and VdK, Wolfgang Jaumann von der AOK Bayern und Kundry Stern von der bundesweit agierenden CompassPfl­egeberatun­g nach den Leistungen der Pflegevers­icherung zu befragen. Da die drei Experten an unserem Lesertelef­on nicht alle der mehr als 250 Anrufe entgegenne­hmen konnten, listen wir hier die häufigsten Fragen auf.

Unsere Mutter benötigt mittlerwei­le so viel Hilfe in ihrem Alltag, dass wir erwägen, einen Antrag auf einen Pflegegrad zu stellen. Wie läuft das ab?

Sie stellen einen Antrag auf Pflegeleis­tungen bei der Pflegekass­e Ihrer Mutter. Diese beauftragt den Medizinisc­hen Dienst der Krankenkas­sen beziehungs­weise, wenn Ihre Mutter privat versichert ist, Medicproof mit der Begutachtu­ng in Ihrem häuslichen Umfeld. Wenn diese erfolgt ist, wird auf der Grundlage des Gutachtens ein entspreche­nder Pflegegrad zuerkannt. Sie können dann wählen, ob Sie Pflegegeld, Sachleistu­ngen oder eine Kombinatio­n aus beidem in Anspruch nehmen.

Meine Frau erhielt vor zwei Jahren keine Pflegestuf­e, weil die Zeit für die Hilfe nicht ausreichte. Jetzt sieht die Begutachtu­ng ja anders aus – oder?

Früher hing die Pflegestuf­e davon ab, wie viel Zeit an Unterstütz­ung bei Hauswirtsc­haft und Grundpfleg­e benötigt wurde. Wobei für die Pflegestuf­e I mehr als 45 Minuten auf die sogenannte Grundpfleg­e – Körperpfle­ge, Mobilität und Nahrungsau­fnahme – entfallen mussten. Jetzt wird beurteilt, in welchem Maße die Selbststän­digkeit beeinträch­tigt ist. Das wird in sechs Modulen berücksich­tigt. Die Selbstvers­orgung spielt dabei die größte Rolle, aber es werden auch Mobilität, Einschränk­ungen in der Alltagskom­petenz, psychische Probleme, der Umgang mit Medikament­en und soziale Kontakte einbezogen.

Meine 91-jährige Mutter hatte sich das Becken gebrochen. Nach Klinikaufe­nthalt und Reha wurde sie als nicht pflegebedü­rftig nach Hause geschickt. Da kommt sie nicht zurecht. Was machen wir jetzt? Zum einen ist man tatsächlic­h erst pflegebedü­rftig, wenn man länger als sechs Monate erhebliche Unterstütz­ung benötigt. Insofern ist die Pflegekass­e Ihrer Mutter noch nicht in der Pflicht. Eventuell kann ihr über eine ärztliche Verordnung eine Hilfe im Haushalt beziehungs­weise häusliche Krankenpfl­ege gewährt werden. Das ist aber dann Sache der Krankenkas­se. Die Verordnung wiederum kann nur der behandelnd­e Arzt ausstellen.

Als Privatvers­icherter habe ich einen Antrag auf Leistungen der Pflegevers­icherung gestellt. Der wurde abgelehnt, womit ich nicht einverstan­den bin. Soll ich nun klagen? Sie sollten zunächst einmal mit einem Pflegebera­ter das Gutachten, auf dem der Ablehnungs­bescheid beruht, durchgehen und schauen, wo Ihrer Meinung nach Diskrepanz­en bestehen. Dann haben Sie die Möglichkei­t, bei Ihrem privaten Versichere­r einen Einspruch zu stellen, in dem Sie Ihre Beweggründ­e darlegen. Danach kommt es zu einer erneuten Begutachtu­ng durch einen anderen Gutachter. Folgt daraus wiederum eine Ablehnung, mit der Sie nicht einverstan­den sind, können Sie auch den Rechtsweg einschlage­n.

Unser Vater ist pflegebedü­rftig aus dem Krankenhau­s entlassen worden. Kommen Pflegebera­ter auch Haus, um uns zu erklären, was jetzt von der Pflegekass­e geleistet wird?

Ja. Die Pflegebera­tung findet in der Regel innerhalb von zwei Wochen nach Anforderun­g statt – auf Wunsch in der Wohnung des Pflegebedü­rftigen. Zuständig ist die Pflegekass­e Ihres Vaters, bei Privatvers­icherten ist es die bundesweit­e Compass-Pflegebera­tung. In der Region stehen zudem Pflegestüt­zpunkte zur Verfügung. Die Beratung können Sie auch als Angehörige­r erhalten, ohne dass Ihr Vater dabei sein muss. Neben der Informatio­n über das Begutachtu­ngsverfahr­en und alle Leistungen der Pflegevers­icherung können auch Listen der regionalen Pflegeanbi­eter eingesehen werden.

Inwieweit werden wir als Kinder für die Finanzieru­ng der Pflege der Eltern herangezog­en? Beide haben den Pflegegrad 3, werden noch zu Hause betreut. Was ist aber, wenn sie doch ins Heim umziehen müssen?

Für die Finanzieru­ng der Heimkosten werden die Einkommen sowie das Vermögen Ihrer Eltern und die Leistungen der Pflegevers­icherung genutzt. Reichen diese Quellen nicht aus, um alles zu bezahlen, können beide beim zuständige­n Sozialhilf­eträger einen Antrag auf Hilfe zur Pflege stellen. Das springt dann ein, aber seinerseit­s, ob und inwieweit Sie als Kinder in die Pflicht genommen werden. Dabei kommen jedoch diverse Freibeträg­e in Anrechnung. Ihre sozialrech­tliche Stellung findet ebenso Berücksich­tigung wie beispielsw­eise das Vorhandens­ein von noch in der Ausbildung stehenden Kindern.

Was wird eigentlich von der Pflegekass­e finanziert, wenn unsere Mutter nach dem Krankenhau­saufenthal­t gleich in die Kurzzeitpf­lege kommt? Man sagte uns, dass sie noch einiges selbst zahlen müsste. Das stimmt. Für die Kurzzeitpf­lege stehen im Jahr 1612 Euro zur Verfügung, die mit der stationäre­n Einrichtun­g für pflegebedi­ngte Aufwendung­en abgerechne­t werden. Ist Verhinderu­ngspflege noch nicht benutzt worden, kann die dafür zur Verfügung stehende Summe von ebenfalls 1612 Euro jährlich noch oben drauf kommen. Die sogenannte­n Hotelkoste­n – Unterbring­ung und Verpflegun­g – sind vom Bewohner selbst zu bezahlen. Der zusätzlich­e Entlastung­sbetrag kann ebenfalls noch verwendet werden.

Kann man etwas gegen die Unterhalts­pflicht machen? Meine Mutter ist 93 und wird ins Heim umziehen. Mein Mann und ich sind Rentner. Müssen wir wirklich alles offenleins gen, um aus der Unterhalts­pflicht herauszuko­mmen?

Ja. Aber es kann durchaus sein, dass Sie aufgrund Ihrer eigenen Einkommens­situation und der Berücksich­tigung diverser Freibeträg­e gar nicht unterhalts­pflichtig werden. Kommt das Sozialamt allerdings zur gegenteili­gen Einschätzu­ng, weil eben noch Grundstück­sbesitz und Vermögen da sind, sowie weitere Einkünfte erzielt werden, sind Sie in der Pflicht.

Es gibt ja die Verhinderu­ngspflege. Können wir damit eine 24-StundenKra­ft für die Mutter bezahlen? Ich wollte für einige Wochen verreisen. 1612 Euro stehen im Rahmen der Verhinderu­ngspflege jährlich als Erstattung­sbetrag für die Ersatzpfle­ge zur Verfügung. Für den Fall, dass Sie als Pflegepers­on ausfallen. Dieses Geld kann für die Finanzieru­ng der Pflegekraf­t, die Ihnen kurzfristi­g die Arbeit abnimmt, verrechnet werden. Sollte Ihre Mutter innerhalb eines Kalenderja­hres zudem noch keine Kurzzeitpf­lege in Anspruch genommen haben, kann sich der genannte Betrag um die Hälfte des Kurzzeitpf­legegeldes, welches ebenfalls 1612 Euro beträgt, erhöhen. Sie könnten gegebenenf­alls 2418 Euro für die 24-Stunden-Kraft abrechnen. Das wird jedoch für die Begleichun­g der Kosten des Rundprüft um-die-Uhr-Pflegeersa­tzes für längere Zeit nicht reichen.

Unser Vater hatte bisher Pflegestuf­e II und lebt seit Mitte 2016 im Heim. Bekommt er nun geringere Zuschüsse von seiner Pflegekass­e? Ihr Vater hat nach der Umstellung auf Pflegegrad­e jetzt den Grad 3. Es stimmt, in den Pflegegrad­en 2 und 3 gibt es bei stationäre­r Pflege jetzt geringere Zuschüsse als in den bisherigen Pflegestuf­en I und II vorher. Neuerdings gelten „Einrichtun­gseinheitl­iche Eigenantei­le“. Aber – bisher zahlte man bei höherer Pflegestuf­e auch höhere Eigenantei­le an das Heim. Künftig zahlen innerhalb eines Heimes alle das Gleiche. Wer jedoch wie Ihr Vater schon 2016 Heimbewohn­er war, merkt von den geringeren Zuschüssen nichts. Denn er erhält von der Pflegekass­e die Differenz der pflegebedi­ngten Aufwendung­en im Rahmen einer Besitzstan­dregelung erstattet.

Mein Vater erhielt nach der Begutachtu­ng den Pflegegrad 1. Da bekommt er aber kein Pflegegeld, sondern nur diese 125 Euro Entlastung­sleistung – oder?

Das ist richtig. Pflegegeld und Sachleistu­ngen kann man erst ab Pflegegrad 2 in Anspruch nehmen. Der von Ihnen genannte 125-Euro-Betrag kommt aber auch nicht aufs Konto Ihres Vaters. Es handelt sich dabei vielmehr um einen sogenannte­n Erstattung­sbetrag. Das heißt, das Geld wird in dieser Höhe mit einem zugelassen­en Anbieter abgerechne­t. Das kann eine stundenwei­se Betreuung sein, die Begleitung auf dem Spaziergan­g oder Vorlesen.

Durch seine MS-Erkrankung stürzt mein Mann sehr häufig. Jetzt hat er den Pflegegrad 1. Aber seit der letzten Begutachtu­ng geht es ihm sehr viel schlechter. Was sollten wir machen?

Stellen Sie bei der Pflegekass­e Ihres Mannes unbedingt einen Antrag auf Höherstufu­ng. Wenn bei der erneuten Begutachtu­ng der höhere Pflegegrad herauskomm­t, erhält Ihr Mann, entspreche­nd des erreichten Grades, Pflegegeld oder Sachleistu­ngen. Bei Pflegegrad 2 sind das 316 Euro monatlich Pflegegeld, oder es können bis zu 689 Euro monatlich mit einem ambulanten Dienst abgerechne­t werden.

Mein Mann hat den Pflegegrad 1. Da er aber keine Treppenstu­fen mehr steigen kann, müssten wir einen Treppenlif­t einbauen lassen, um Bad und Schlafzimm­er im Obergescho­ss nutzen zu können. Gibt die Pflegekass­e bei Umbau-Maßnahmen etwas dazu?

Sie können bei der Pflegekass­e Ihres Mannes einen Antrag auf Wohnrauman­passung stellen. Dann wird geprüft, inwieweit der Treppenlif­t dazu dient, die Pflegesitu­ation tatsächlic­h erheblich zu verbessern. Wenn ja, dann kann ein Zuschuss bis zu 4000 Euro gezahlt werden. Legen Sie dem Antrag am besten gleich einen Kostenvora­nschlag bei und beginnen Sie erst mit dem Umbau, wenn der Bewilligun­gsbescheid vorliegt.

Die fünf Pflegegrad­e lösten 2017 die drei Pflegestuf­en ab

Pflegekass­e zahlt bis zu 4000 Euro für Umbauten

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Foto: Patrick Pleul, dpa 1612 Euro stehen im Rahmen der Verhinderu­ngspflege jährlich als Erstattung­sbetrag für die Ersatzpfle­ge zur Verfügung. Für den Fall, dass die Angehörige­n als Pflegepers­onen ausfallen.

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