Ein kantiges Neuburger Urgestein
Er ist Stadtheimatpfleger, langjähriger Vorstand des Historischen Vereins, Autor und Unruhestands-Beamter: Roland Thiele
Neuburg Am heutigen Samstag wird er bei einer Mitgliederversammlung des Historischen Vereins sozusagen offiziell verabschiedet, nach fast 50 Jahren in führender Funktion, zuerst als Ausschussmitglied und über ein Vierteljahrhundert hinweg als Vize oder als Vorsitzender: Roland Thiele. Ein Porträt des 75-Jährigen.
In seinem Alter legte Ronald Reagan noch so richtig los als US-Präsident, Konrad Adenauer stand erst am Anfang seiner 14-jährigen Kanzlerschaft. Warum gibt Roland Thiele die Führung des gut 500 Mitglieder zählenden Historischen Vereins ab, wo er doch gerade einmal Mitte 70 ist und durchaus agil wirkt?
„Immerhin habe ich diesen Schritt schon vor drei Jahren angekündigt, je länger ich in diesem Ehrenamt bleibe, desto schwieriger kann es mit einem guten Übergang werden“, sagt Thiele im Gespräch mit der „Und wir haben mit Dr. Michael Henker einen Nachfolger gefunden, der zu den führenden Museumsfachleuten in ganz Deutschland gehört. Nach einem solchen Mann würden sich andere Städte sämtliche Finger abschlecken“.
Als Stadtheimatpfleger, als Autor und künftig noch mehr als bisher als Heimatforscher bleibt Thiele der Ottheinrichstadt ja weiter erhalten. Und zwar mit „open end“, ein Ablaufdatum für sein ehrenamtliches Engagement, das für den ehemaligen städtischen Beamten in der Pension oft zum Vollzeitjob geworden ist, hat sich der Mann aus der Fischergasse nicht gesetzt.
Dass Thiele heute zu jenen Neuburgern gehört, die mit am meisten über ihre Stadt, ihre Geschichte und Entwicklung wissen, ist nicht selbstverständlich, eher erstaunlich. Anders als seine Vorgänger Michael Eckstein und Matthias Schieber, die alteingesessene Neuburger oder Rieder waren, stammt Thiele aus Berlin. Er hat zwar Klosterschulen in Bayern besucht, aber nach Neuburg kam er erst im Erwachsenenalter, als Zeitsoldat. Von der großen Zeit der Pfalz Neuburg, gar vom Rindfleisch-, vom Weveld- oder vom Döllgast-Haus in der damals – um 1970 – baulich noch ziemlich maroden historischen Altstadt hatte er bis dahin wenig gehört.
Mit seinem Wechsel in die Stadtverwaltung nach der Bundeswehrzeit und aus der Erfahrung einer der größten Bausünden der späten 60er Jahre (die bis heute berüchtigte „Zwehl-Lücke“in der Altstadt) wurde Roland Thiele zu einem begeisterten, autodidaktisch gebildeten und oft auch unbequemen Kämpfer für das reiche Erbe der alten Residenzstadt Neuburg.
Als Chef des Bauverwaltungsamtes erkannte er früh die großen des seinerzeit noch neuen Städte bau förderungs gesetzes. Ihm ist mit zu verdanken, dass über eine Drittel finanzierung( Eigentümer, Kommune, Bund) viel Geld in die Sanierung der Altstadt floss. Aus beklagenswert verfallenden Häusern wurden langsam Schmuckstücke, es kam neues Leben in die Altstadt. Natürlich gab es auch Konflikte. Auflagen des Denkmalschutzes ärgerten manchen Bauherrn, gutes Zureden und manchmal auch eine deutliche Ansprache waren nötig. Thiele kann auch impulsiv und direkt sein, aber ein klares Wort und Fairness im Interessenausgleich zahlten sich am Ende aus. Der geChancen bürtige Berliner wurde so zu einem Neuburger Urgestein, durchaus mit Ecken und Kanten.
Langsam wurde der Grundstein für touristische Attraktionen gelegt, auch mit der Sanierung des Schlosses und die Einrichtung des Schlossmuseums, das zwar dem Freistaat gehört, faktisch aber vom Historischen Verein mit Dauerleihgaben an den Freistaat und vor allem mit vielen Ehrenamtlichen betrieben wird.
Ein Kind Thieles ist das Stadtmuseum (Weveldhaus), das an die 3000 Exponate beherbergt, von der Römerzeit bis hin zu Zeugnissen bürgerlichen, bäuerlichen und handwerklichen Lebens aus dem 19. oder 20. Jahrhundert. Und das im Depot noch einmal das Zehnfache an potenziellen Ausstellungsgegenständen im Hintergrund hat. Die lange Umbauphase des Stadtmuseums verlief nicht reibungslos, teils sogar chaotisch, auch der Kostenrahmen wurde – gelinde gesagt – nicht exakt eingehalten. Das Museum aber und zugleich das Gebäude selbst, als ehemaliges Adelspalais ein besonderes Einzeldenkmal im Ensemble der Altstadt, ist heute ein Schmuckstück, das Chance und Verpflichtung für die Stadt gleichermaßen bedeutet.
Auch wenn die Besucherzahlen noch steigerungsfähig sind und besonders beim Kontakt mit Schulen und Lehrern in Neuburg und dem Landkreis noch etwas Luft nach oben bleibt. Daran wird der Museumsleiter Michael Teichmann weiter arbeiten, Thiele bittet alle Verantwortlichen in Neuburg herzlich darum, Teichmann zu unterstützen und ihm eine faire Chance zu geben.
Gab es Enttäuschungen, etwa mit Stadträten oder Bürgern, die schon mal fragen: „Was sammelt ihr denn für ein altes Glump, muss man das ganze Zeug erhalten?“Thiele drückt sich da diplomatisch aus. „Der Stadtrat ist ein Spiegelbild der Gesamtgesellschaft, nicht alle haben Verständnis für die Verpflichtung des historischen Erbes, man muss immer wieder Überzeugungsarbeit leisten.“Diese Arbeit sei alles andere als vergnügungssteuerpflichtig, aber sie lohne sich doch. Den Wunsch, altes Gemäuer wegzureißen und flott neu zu bauen, kann er irgendwie verstehen, aber man dürfe solchen Impulsen halt nicht einfach nachgeben.
Insgesamt ist der städtische Pensionist den Stadtpolitikern dankbar für ihr Verständnis. Manche Ungeduld („Wie viele Besucher habt‘s denn scho bei eurer Ausstellung“) löse sich am Ende in Anerkennung auf. Museen und historische Präsentationen kosten, natürlich. Aber sie bringen der Stadt auch langfristig Gewinn, materiell wie immateriell. Davon ist und bleibt Thiele überzeugt.