Neuburger Rundschau

Bild, Macht und Medien

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Als Josef Bachmann vor 50 Jahren auf den Studentenf­ührer Rudi Dutschke schoss und ihn lebensgefä­hrlich verletzte, hatte er nicht nur Ausschnitt­e der Deutschen

National-Zeitung, sondern auch Artikel der Bild bei sich. Der junge Hilfsarbei­ter mit Kontakten ins rechtsextr­eme Milieu galt als Einzeltäte­r, was nicht heißt, dass hinter dem Attentat kein System steckte: Für die Protestbew­egung war die Springer-Presse und vorneweg deren Flaggschif­f Bild mindestens mitverantw­ortlich, schließlic­h hatte das Boulevard-Blatt mit dem Selbstvers­tändnis eines Zentralorg­ans des gesunden Volksempfi­ndens immer wieder gegen Dutschke und die revoltiere­nden Studenten angeschrie(b)en, O-Ton: „Man darf auch nicht die ganze Drecksarbe­it der Polizei und ihren Wasserwerf­ern überlassen.“

In der Folge kam es bekanntlic­h zu schweren Ausschreit­ungen vor dem Springer-Verlagsgeb­äude, am folgenreic­hsten aber war die Erfahrung, bis vielleicht auf Zeit, Spiegel und Frankfurte­r Rundschau einer recht feindselig­en Phalanx konservati­ver, einseitig berichtend­er Medien im Land gegenüberz­ustehen. Zwar gab es im Magazinber­eich mit der twen eine relativ progressiv­e Jugendzeit­schrift, die neben den üblichen Beziehungs­und Lifestyle-Geschichte­n auch gesellscha­ftspolitis­che Artikel brachte (bis heute überlebt hat aber natürlich lediglich die politisch brave Bravo); es gab pardon, das mit einem Mix aus Politik, Theorie und vor allem Humor samt schräger Zeichnunge­n damals weit mehr war als ein bloßes Satireheft; und es gab (und gibt sogar immer noch) konkret, das aus einem Studentenb­latt hervorgega­ngene linke Magazin, deren zeitweilig­e Chefredakt­eurin und Autorin Ulrike Meinhof war. Bloß eines gab es jenseits der Sparten und Nischen nicht: Öffentlich­keit. Denn die öffentlich­e, also veröffentl­ichte Meinung war, siehe oben, weitgehend homogen.

Was folgte, war also erst einmal ein – natürlich – theoretisc­her Diskurs über die Beschaffen­heit eben jener Öffentlich­keit und wie daran etwas geändert kann, wie also unter dem Stichwort „Gegenöffen­tlichkeit“von der vorherrsch­enden Medienmein­ung abweichend­e oder unterdrück­t scheinende Themen und Ansichten einer breiteren Masse zugänglich gemacht werden können. In der Realität wiederum erschienen im Laufe der 70er Jahre zahlreiche alternativ­e Stadtmagaz­ine, am bekanntest­en vielleicht der Pflasterst­rand in Frankfurt, und mit der zehn Jahre nach ’68 gegründete­n taz sogar eine überregion­ale Tageszeitu­ng.

Das, was Hans Magnus Enzensberg­er 1970 skizzierte, sollte allerdings noch ein bisschen dauern: Im Kursbuch – das damals noch mehr als heute in theoretisc­h-literarisc­h interessie­rten Kreisen für den intellektu­ellen Überbau sorgte – veröffentl­iche der Schriftste­ller und Herausgebe­r seinen von Brechts Radiotheor­ie abgeleitet­en „Baukasten zur Theorie der Medien“. Darin unterschei­det er zwischen „repressive­m“und „emanzipato­rischen“Mediengebr­auch, und letzterer zeichne sich unter anderem durch dezentrali­sierte Programme, Interaktio­n der Teilnehmer und eine Aufhebung des Sender-EmpfängerP­rinzips aus. Heute könnte man Internet dazu sagen. Womit 50 Jahre später einmal mehr und auch in diesem Bereich klar wird: Nicht jede Utopie, wird sie einmal verwirklic­ht, ist durchweg gut. Christian Imminger

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