Er hat sein Land im Griff
Präsident Macron ist seit fast einem Jahr im Amt. Weder Massenproteste noch verordnete Verluste für Rentner können ihm etwas anhaben. Er profitiert von der Schwäche anderer
Paris Man könnte es das Macron’sche Paradox nennen. Wie bei seiner Wahl vor fast einem Jahr versprochen, schreitet der französische Präsident schnell voran bei der „tief greifenden Umwandlung“des Landes: Nach einer Liberalisierung des Arbeitsmarktes im Herbst stehen Reformen unter anderem in der Justiz, der beruflichen Ausbildung, der Arbeitslosenversicherung und auch bei der Staatsbahn SNCF an. Deren Gewerkschaften haben Widerstand vor allem gegen den Plan angekündigt, das vorteilhafte Berufsstatut der Eisenbahner abzuschaffen. Von April bis Juni wollen sie an 36 Tagen streiken – dies kann das Land in Teilen lahmlegen. Zugleich klagen die Beamten über die Streichung von 120 000 Stellen und die Rentner über das Sinken ihrer Kaufkraft.
Unzufriedene gibt es genug in Frankreich; trotzdem herrscht seit Emmanuel Macrons Amtsantritt eine Atmosphäre der politischen Ruhe. Dessen Hang zur Inszenierung wird durchschaut, sein Selbstbild als das eines über allem stehenden „Jupiters“verspottet. Doch grobe persönliche Angriffe wie gegen seinen Vorgänger François Hollande bleiben aus. Es kommt an, dass Macron sich mit einem kräftigen Händedruck bei US-Präsident Donald Trump gleich Respekt verschaffte und dass er auch sonst mit spielerischem Selbstbewusstsein auf der internationalen Bühne auftritt. Die Franzosen hören es, wenn ihr Präsident im Ausland seinen Slogan verkündet: „France is back“(„Frankreich ist wieder da!“).
Dass Paris erstmals seit 2007 wieder den Maastricht-Kriterien gemäß die Neuverschuldung unter drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) drückt und die hohe Arbeitslosigkeit sinkt, gilt als Macrons Erfolg – auch wenn die gute Weltkonjunktur sowie die niedrigen Zinsen eine Rolle spielen und die positive Entwicklung schon einsetzte, bevor er ins Amt kam. Seine Verhandlungsposition in der EU ist gestärkt. Mit einem fulminanten Appell für eine stärkere Verzahnung der Mitglieder und eine Reform der Eurozone hat er sich geschickt positioniert: Beim „Aufbruch für Europa“gilt Paris seither als Antreiber, während die zähen Koalitionsverhand- lungen Berlin lähmten. Plötzlich heißt es nicht mehr: Deutschland wartet auf Frankreich, sondern umgekehrt.
In Macrons Kabinett sitzen überwiegend unpolitische Fachleute und Technokraten, die wenig von sich reden machen – anders als in Vorgängerregierungen auch nicht mit Skandalen. Aus dem Parlament kommt kaum Gegenwind, da Macrons Bewegung „La République en marche“(LREM) über eine kom- fortable Mehrheit verfügt, auch wenn sie sich aus vielen Politik-Novizen zusammensetzt.
Die Opposition ist durch ihre Wahlniederlagen vor allem damit beschäftigt, sich irgendwie wieder aufzurappeln: Weder der geschwächte Front National, die zerstrittenen Republikaner noch die Sozialistische Partei, die ernsthafte Auflösungserscheinungen zeigt, dringen mit Kritik an der Regierungspolitik durch. Auch nicht der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon, obwohl er mit seinen Warnungen vor der „neoliberalen“Wende durchaus auch auf offene Ohren stößt. Zwar demonstrierten im vergangenen Jahr Hunderttausende gegen das Arbeitsmarktreform-Dekret. Aber die Proteste verpufften wirkungslos.
So wie Macron vor seiner Wahl mit verblüffendem Tempo vom vermeintlich chancenlosen Außenseiter ohne etablierte Partei zum Präsidenten aufstieg, eilt der 40-Jährige auch jetzt mit seiner Agenda voran. Dabei hat er an diversen Fronten zu kämpfen. Vergangene Woche war er bei der blutigen Geiselnahme von Trèbes erstmals mit einer größeren Terrorattacke konfrontiert. Dann schreckte der Mord an einer jüdischen Holocaust-Überlebenden das Land auf. Zuletzt schmiss der Bürgermeister der Pariser Vorstadt Sevran, Stéphane Gatignon, enttäuscht hin, weil ihm im Einsatz für die sozial benachteiligten Banlieues das Geld fehlt. Noch unterstütze er Macron, sagte er: „Aber er muss jetzt die richtigen Entscheidungen treffen, und zwar schnell!“Ausruhen kann der Präsident sich nicht. Das hat er sicher auch nicht vor.
Die Oppositionsparteien sind mit sich selbst beschäftigt