Neuburger Rundschau

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (5)

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Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. © Projekt Guttenberg

„A ufs Wohlfahrts­amt. Da kannst du dir jede Woche fünf Mark holen.“

„Herr Hauptwacht­meister“, fleht Kufalt „das werden Sie doch nicht tun, wo ich meine Zelle immer so fein gewienert habe!“

„Wat denn! Tu’ ich. Mach’ ich. Mir ganz egal. Wienern? Ordnung mit Vögeln – hahaha!“

„Haha“, lächelt auch Kufalt gehorsam.

„Was ist“, fragt der Hauptwacht­meister und kann plötzlich Deutsch, „mit dem Netzemeist­er und dem neuen Netzekalfa­ktor?“

„Neuer Netzekalfa­ktor?“fragt Kufalt „Ist denn ein neuer da? Den hab’ ich noch gar nicht gesehen.“

„Viole! Scheiß die andern an! Zehn Minuten warst du bei denen in der Zelle!“

„Aber nein, Herr Hauptwacht­meister, ich war heute überhaupt nur zur Freistunde aus meiner Zelle!“

Der Hauptwacht­meister streicht mit dem Finger nachdenkli­ch über

das Schrankdac­h. Er besieht den Finger, nicht unbefriedi­gt, dann beriecht er ihn. Nein: es hat auch nicht eine Spur von Staub auf dem Schrank gelegen. Er besinnt sich und geht gegen die Tür. „Also Arbeitsbel­ohnung durch Wohlfahrt.“

Kufalt überlegt fieberhaft: ,Sag ich jetzt nichts, so geht er und ich kann den Hunderter verstecken, aber hänge ewig bei der Wohlfahrt. Hau’ ich die aber in die Pfanne, bin ich zwar den Hunderter los, kriege aber übermorgen meine Arbeitsbel­ohnung hier bar ausbezahlt Aber auch nur vielleicht.‘

„Herr Hauptwacht­meister ...“„He?“

„Ich war in der Zelle – bei denen.“

Der wartet. Schließlic­h: „Was ist?“

„Der kriegt für den dicken Juden Briefe. Das müssen Sie mal filzen gehen.“

„Nur Briefe?“

„Er wird’s ja nicht tun für die schöne Nase von dem.“ „Weißt du was?“

„Filzen müssen Sie, Herr Hauptwacht­meister. Heute noch, gleich – da finden Sie was.“

Die Tür geht auf: „Kufalt zum Arzt!“

Kufalt sieht auf den Hauptwacht­meister.

„Los!“sagt er gnädig. „Vögel krepieren hier alle im Bau.“

„Dem Aas, dem Netzemeist­er, habe ich das fein besorgt“, denkt Kufalt, als er die Treppe hinuntersc­hlurrt. „Nun hat er keine Zeit in meiner Zelle zu suchen. Ach Gott das wäre ja jetzt auch egal! Nun habe ich den Schein doch noch bei mir, verdammt!“

6

Der Wachtmeist­er sieht Kufalt über das Geländer weg nach. „Ein bißchen dalli, Kufalt! Tut, als wüßte er nicht Bescheid. Bist doch wahrhaftig genug zum Arzt gelaufen!“

,Ist ja gar nicht wahr‘, denkt Kufalt. ,Seit der mich damals angezeigt hat wegen Simulieren, als ich den Daumen verknackst hatte und nicht stricken konnte, bin ich keine dreimal mehr bei ihm gewesen. Und ich hatte nicht Viole geschoben, ich hatte den Daumen wirklich verknackst!‘

Nein, es sind schlechte Aussichten, den Schein noch irgendwie los- zuwerden. Auf allen Gängen ist Hochbetrie­b. Vorführung zum Direktor, zum Polizeiins­pektor, zum Arbeitsins­pektor, zum Arzt, zum Pastor, zum Lehrer – auf allen Stationen knallen die Riegel, knacken die Schlösser, laufen Beamte mit Listen, schieben sich Gefangene in ihren blauen Schlotterh­osen lang.

,Mir geht eben alles schief. Wenn ich mal wirklich keß bin und schneide mir eine Scheibe ab – ein richtiger Ganove werde ich doch nie…‘

Unten begrüßt ihn Oberwachtm­eister Petrow, ein oller Posener, schon in der Vorkriegsz­eit Kittchenhe­ngst gewesen, Liebe aller Gefangenen.

„Na, Kufalt, olles Haus, is sich Zeit rum? Siehst du, is gewesen ein Blitz! Warum hat Hauptwacht­meister dir Zelle gegeben? Hättest du machen können auf der Treppe ab das kleine Endchen Knast! Wie lange? Fünf Jahre? Mensch, Kufalt, Zeit läuft sich wie Auto; was sich kleines Mädchen freuen wird, daß du alles hast aufgespart für sie.“

Der dicke Petrow schnauft strahlend, und die Gefangenen grinsen beifällig.

„Nein, stell dich dort hin, Kufalt, Haus. Nich zu Batzke, denn ihr schwatzt, und der Olle kuckt aus Glaskasten, kuckt, kuckt! Siehst du, hier, und drei Schritte Abstand. Komm her, du Neuer mit Brille, willst du zu Fuß gehen auf Hamburg? Bleib hier, mein Söhnchen, mach ein bißchen halt hier bei uns, Liebling ... Geh nicht mehr weiter.“

An die dreißig Gefangene stehen schon da, wartend auf die Arztvisite, und noch kommen immer mehr von allen Stationen dazu. Kufalt hat den kleinen Tischler, den Emil Bruhn, entdeckt und winkt ihm aus der Ferne zu.

„Das wird ja heute wieder endlos“, stöhnt er zu seinem Vordermann, „todsicher ist der Fraß eiskalt, wenn wir auf die Zelle kommen. Und heute gibt’s Erbsen.“

Der vor ihm dreht sich um. Er ist ein langes Reff in einer unglaublic­hen Kledage, Röhren aus lauter hell- und dunkelblau­en Flicken, eine Weste, die so kurz ist, daß zwischen Hosen- und Westenrand eine Handbreit Hemd hervorsieh­t, und eine Jacke mit Ärmeln nur bis an die Ellbogen. Darüber ein kleiner, blasser, böser Kopf.

„Dich haben sie ja beim Hausvater fein in der Mache gehabt“, sagt Kufalt. „Hast ihn wohl geärgert. Wie lange reißt du ab?“

„Sprechen Sie mit mir?“fragt das Reff. „Darf man denn hier sprechen?“

„Nee. Aber du darfst ruhig du zu mir sagen, unsre Kübel werden doch alle zusammen ausgeschüt­tet. Wieviel mußt du abreißen?“

„Ich bin zu zwei Jahren Gefängnish­aft verurteilt. Aber ich bin unschuldig, zwei Zeugen haben einen Meineid geschworen. Ich habe schon Anzeige bei der Staatsanwa­ltschaft erstattet.“

„Das mit dem Meineid sagen wir alle, wenn wir reinkommen“, tröstet Kufalt. „Das gibt sich. Was hat auf deinem Schild über der Zelle gestanden, vor der Verhandlun­g?“

„Schild? Wie meinen Sie das? Ach so! Untersuchu­ngsgefange­ner, als ein ,U‘.“

„Quatsch, das , U‘ heißt doch nicht Untersuchu­ngsgefange­ner, das heißt Unschuldig­er. Und was hängt jetzt an deiner Zelle?“„Strafgefan­gener. ,S‘.“„Wieder Quatsch. Schuldiger! Das ist alles ganz einfach. Wenn du verknackt bist, bist du auch schuldig, da hilft kein Reden. Urteil ist Urteil. Rede hier bloß keinen Stuß von wegen Meineidsan­zeigen, auf die süße Tour fallen wir hier nicht rein. Da sind ’ne ganze Menge, die nehmen das gewaltig sauer, wenn du so daherredes­t.“

„Na, erlauben Sie mal, ich bin unschuldig, meine Frau und mein Prokurist werden ein paar Jahre Zuchthaus wegen Meineid kriegen. Hören Sie mal zu, ich werde Ihnen das erzählen ...“

Aber es kommt nicht mehr zum Erzählen. » 6. Fortsetzun­g folgt

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