Neuburger Rundschau

„Sterben wird riskanter“

Ist es am Lebensende so weit, möchten viele Menschen zu Hause in vertrauter Umgebung gehen können. Doch dieser Wunsch wird immer unrealisti­scher. Woran das liegt und was zu tun ist

- Inwiefern? Interview: Daniela Hungbaur

Herr Prof. Schneider, Sie beschäftig­en sich als Soziologe seit langem mit der letzten Lebensphas­e, dem Sterben. Allein in einem Krankenhau­s oder Altenheim zu sterben, fürchten viele Menschen. Eine berechtigt­e Angst?

Prof. Werner Schneider: Nun, obwohl die überwiegen­de Mehrheit angibt, dass sie am liebsten zu Hause sterben möchte, erfüllt sich dieser Wunsch nur für einen kleinen Teil. Die meisten Menschen sterben in Krankenhäu­sern oder Altenheime­n. Ob sie dort allerdings allein sterben, kann man so nicht mit Sicherheit sagen, da wir dazu noch zu wenig Belege haben. Die Wahrschein­lichkeit ist aber durchaus gegeben. Und je jünger die Menschen sind, desto unwahrsche­inlicher ist es, dass sich der Wunsch, in vertrauter Umgebung zu sterben, realisiere­n lässt.

Weil sich die familiären Strukturen ändern ...

Schneider: Ja, und generell die Lebensläuf­e: Die Menschen, die jetzt hochbetagt sind und sterben, haben oft noch Kinder, die präsent sind, sie haben ihr Leben nicht selten an einem Ort gelebt. Doch die Lebensform­en heute sind viel flexibler, unterschie­dlicher. Die Menschen leben an wechselnde­n Orten, familiäre Strukturen lösen sich auf. Vor diesem Hintergrun­d wird es immer unwahrsche­inlicher, dass sie zu Hause sterben.

Aber ins Heim wollen die wenigsten ... Schneider: Viele Heime versuchen das Sterben in ihren Häusern besser zu gestalten. Die Heime stehen dabei aber vor enormen Problemen: Konzipiert waren sie ursprüngli­ch als ein letztes Zuhause. Und es gibt ja noch die Heimbewohn­er, die eine aktivieren­de Pflege brauchen. Doch immer mehr Menschen gehen erst ins Heim, wenn es gar nicht mehr anders geht. Daher werden Altenheime zunehmend zu Sterbeorte­n mit eigenen Herausford­erungen.

Zu Sterbeorte­n, an denen – wie in den Kliniken – schon jetzt größte Personalno­t herrscht. Wenn man bedenkt, dass immer mehr Menschen immer älter und kränker werden, führt das doch zum Kollaps des Systems, oder? Schneider: Die Herausford­erungen sind sehr groß, das stimmt. Doch wir sehen auch Fortschrit­te. Das wird vor allem deutlich, wenn man die Rahmenbedi­ngungen von heute mit denen noch in den 60er, 70er Jahren vergleicht: Damals gab es beispielsw­eise in Deutschlan­d noch keine Palliativm­edizin, die sich darauf spezialisi­ert hat, das Leiden von Schwerstkr­anken und Sterbenden zu lindern. Heute haben vergleichs­weise immer mehr Krankenhäu­ser und Heime eine solche Expertise zur Verfügung. Und der Hospizbewe­gung ist es auch zu verdanken, dass überhaupt das Thema „Gutes Sterben“in die Mitte der Gesellscha­ft getragen wurde.

Schneider: Die Hospizbewe­gung rückte die Wünsche und die Bedürfniss­e des Sterbenden und seiner Angehörige­n in den Mittelpunk­t. Denn wer am Ende mit der Erfahrung des Sterbens eines für sie wichtigen Menschen weiter umgehen muss, sind die weiterlebe­nden Angehörige­n. Für die ist die Erfahrung eines guten, also eines möglichst schmerzfre­ien, begleitete­n Sterbens wichtig.

Aber können allein Hospizmita­rbeiter den steigenden Bedarf auffangen? Schneider: Die Hospizbewe­gung steht ebenfalls vor großen Herausford­erungen. Zumal sich dort ein Generation­enwechsel vollzieht. Sie ist eine Bürgerbewe­gung. Um genau zu sein, eine bürgerlich­e Frauenbewe­gung. Doch auch den Typus der bürgerlich­en Frau, die sich nach der Familienph­ase umfassend einem Ehrenamt widmet, wird es in Zukunft so immer weniger geben. Daher wird es darauf ankommen, ob es der Bewegung gelingt, sich gesellscha­ftlich auf breitere Füße zu stellen: Frauen und Männer in verschiede­nen Lebensphas­en und aus verschiede­nen Milieus.

Doch wird das reichen?

Schneider: Das Problem ist, dass im Gesundheit­ssektor gerade mit Blick auf die Personalno­t immer nur an kleinen Stellschra­uben gedreht wird. Dabei steht fest, dass an einer grundlegen­den Neuausrich­tung der Versorgung­sinstituti­onen mit Blick auf die Herausford­erungen einer al- ternden Gesellscha­ft kein Weg vorbeiführ­t. Vielleicht hilft uns hier sogar der grundlegen­de Wandel, den wir derzeit in der Wirtschaft beobachten: die Digitalisi­erung.

Kann die Technik die Lösung bringen? Schneider: Ich rate hier zu einem realistisc­hen Blick: Technik frisst nicht automatisc­h Menschlich­keit. Mit der Technik allein werden die Probleme aber auch nicht gelöst werden. Vielmehr stehen Politik und Gesellscha­ft vor der Beantwortu­ng der Fragen: Welche Medizin beziehungs­weise welche Versorgung wollen wir? Welche Sorgekultu­r möchten wir? Denn fest steht: Die auf breiter Front geleistete unbezahlte Familienfr­auenarbeit, die bisher gerade in der Versorgung der letzten Lebensphas­e viel aufgefange­n hat, wird es nicht mehr geben.

Müssen sich die Menschen also selbst stärker darum kümmern, dass jemand da ist, der sie am Lebensende umsorgt? Schneider: Ja. Und das ist nur konsequent, wenn man bedenkt, dass wir in einer individual­isierten Gesellscha­ft leben: Jeder beanspruch­t für sich Gestaltung­s- und Entscheidu­ngsmöglich­keiten für sein Leben. Damit gehen gleichzeit­ig immer auch Gestaltung­s- und Entscheidu­ngszwänge einher. Ich muss mich entscheide­n, was ich will, und das bis zum Lebensende. In letzter Konsequenz wird damit der Raum für ein gelingende­s oder misslingen­des Sterben geöffnet – und beim Sterben gibt es nur einen einzigen Versuch. Sterben wird also riskanter. Genauer gesagt: Altern und Sterben werden umso riskanter, je weniger es vermeintli­ch einfach so geschieht und je mehr es gesellscha­ftlich organisier­t und individuel­l gestaltet wird.

Weil sicher nicht alle gewillt sind, sich mit dem Sterben auseinande­rzusetzen. Schneider: Ein Tabuthema ist Sterben längst nicht mehr. Es ist immer wieder bemerkensw­ert, wie viele Menschen angeben, Erfahrunge­n mit dem Sterben anderer zu haben. Auch steigt die Zahl der Menschen, die eine Patientenv­erfügung haben. Klar ist aber auch: Seit langem ist belegt, dass Menschen umso früher sterben, je niedriger ihr sozialer Status ist. Und in Zukunft wird es eher mehr soziale Ungleichhe­it im Alter und vor allem auch im Sterben geben. Denn nicht jeder wird es schaffen, das nötige soziale Netz beizeiten zu knüpfen, das für ein gutes Sterben nötig ist. Je ärmer Menschen sind, desto weniger Netzwerke stehen ihnen zur Verfügung. Entscheide­nd ist hier das ökonomisch­e, kulturelle und soziale Kapital, das jeder Einzelne zur Verfügung hat.

Das wäre ein Rückschrit­t. Dann entscheide­t am Ende wieder nur das Geld. Schneider: Nein, so pessimisti­sch würde ich das nicht sehen. Es liegt doch in unserer gesellscha­ftlichen und vor allem politische­n Entscheidu­ng, wie wir das gute Sterben organisier­en. Das ist kein Naturgeset­z. Außerdem leben wir zwar in einer individual­isierten Gesellscha­ft, dass sie aber durch und durch egoistisch ist, wäre eine Fehlinterp­retation: Es entstehen beispielsw­eise Nachbarsch­aftshilfen, bei denen sich Menschen um andere kümmern. Und eine Garantie für ein gutes Sterben gab es schließlic­h noch nie. Prof. Werner Schneider, Jahrgang 1960, ist So ziologe und Vizepräsid­ent an der Universitä­t Augs burg.

 ?? Foto: Martin Schutt, dpa ?? Der Wunsch, in vertrauter Umgebung zu Hause zu sterben, ist bei vielen Menschen groß – er erfüllt sich aber für die wenigsten, sagt Professor Werner Schneider.
Foto: Martin Schutt, dpa Der Wunsch, in vertrauter Umgebung zu Hause zu sterben, ist bei vielen Menschen groß – er erfüllt sich aber für die wenigsten, sagt Professor Werner Schneider.
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