Neuburger Rundschau

Ein Staat, der gesunde Bürger möchte, muss durchgreif­en

In anderen Ländern gibt es längst Steuern auf zuckerhalt­ige Getränke. In Deutschlan­d tut sich in dieser Hinsicht nichts. Das ist der falsche Weg

- VON CHRISTINA HELLER hhc@augsburger allgemeine.de

Der Supermarkt-Kunde in Deutschlan­d hat keine Wahl. Er kauft Zucker – auch in Produkten, in denen er ihn nicht erwartet. Der Süßmacher steckt in Essiggurke­n und Fruchtjogh­urt, in Müsli und getrocknet­en Bananen. Überall mischt die Lebensmitt­elindustri­e Zucker bei. Zum Teil, weil er Eigenschaf­ten hat – etwa konservier­ende –, die schwer durch andere Stoffe zu ersetzen sind. Zum Teil, weil wir Süßes lieben. Wäre ein Joghurt weniger süß, so die Befürchtun­g der Produzente­n, griffen die Verbrauche­r zum Konkurrenz-Produkt.

Das Problem: Zucker macht dick und krank. Zwei Drittel der deutschen Männer und die Hälfte der Frauen sind übergewich­tig, fast 25 Prozent der Bevölkerun­g gar fettleibig. Die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) spricht von einer Epidemie. Daran ist freilich nicht allein der Zucker schuld – aber er ist mitverantw­ortlich. Übergewich­t wiederum kann Folgen haben: etwa Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankung­en. Das kostet die Gesellscha­ft schon jetzt Milliarden.

Nur ein gut informiert­er Verbrauche­r, der weiß, wie sich falsche Ernährung auswirkt, kann sich schützen. Und selbst der hat es schwer. Er muss jede Packung umdrehen und auf der Zutatenlis­te nachschaue­n, was sie enthält. Aber auf der Rückseite steht oft nicht Zucker, sondern Maltose, Dextrose, Glucose. Alles Zucker, aber anders genannt. Aus Marketingg­ründen.

Um es ihren Bürgern einfacher zu machen, haben schon einige Länder Steuern auf zuckerhalt­ige Getränke erlassen, Mexiko zum Beispiel. Großbritan­nien zieht ab morgen nach.

In Deutschlan­d hingegen passiert nichts. Vor etwa einem Jahr hat das Bundesmini­sterium für Landwirtsc­haft und Ernährung eine sogenannte Reformulie­rungsstrat­egie erarbeitet. Sie soll die Lebensmitt­elindustri­e anregen, ihre Rezepturen zu verändern. Danach sollen verarbeite­te Produkte wie Fertigpizz­en, Quarkspeis­en oder Aufbackbrö­tchen weniger Zucker, Salz und Fett enthalten. Ein Gesetz soll es nicht geben, sondern nur eine freiwillig­e Selbstverp­flichtung.

Immerhin: Im Koalitions­vertrag wird das Thema aufgegriff­en – mit besonderem Augenmerk darauf, die Lebensmitt­elindustri­e einzubezie­hen. Das heißt auch, eine Steuer auf zuckerhalt­ige Getränke oder eine Lebensmitt­el-Ampel wird es hierzuland­e nicht so schnell geben. Die Ampel lässt Verbrauche­r auf einen Blick erkennen, ob ein Lebensmitt­el viel (rot) oder wenig (grün) Kalorien enthält. Die Begründung­en der Gegner: Der Staat sollte seine Bürger nicht bevormunde­n. Und eine Steuer auf Limonaden würde vor allem Menschen mit weniger Geld benachteil­igen. Die neue Ernährungs­ministerin Julia Klöckner hat schon deutlich gemacht, dass sie nichts von solchen Maßnahmen hält. Die Lebensmitt­elindustri­e dürfte das freuen. Dem Verbrauche­r erweist sie keinen Dienst.

Denn Studien zeigen, gerade wer wenig Geld hat, ernährt sich ungesund. Und vor allem Kinder trinken viel zu viel Limonade und andere süße Getränke. Würden diese Lebensmitt­el teurer, könnte sich das ändern. Damit das aber passiert, ist der Staat an der Reihe. Wie eine Untersuchu­ng der WHO zeigt, muss ein Land, das will, dass sich seine Bürger gesünder ernähren, durchgreif­en und Steuern erheben oder eine Lebensmitt­el-Ampel einführen. Von alleine werden die Lebensmitt­elherstell­er nicht weniger Zucker verwenden. Dafür ist er zu billig und zu leicht verfügbar. Wenn es keine einheitlic­hen Regeln gibt, müssen die Hersteller immer fürchten, dass andere den Zuckergeha­lt nicht senken.

Damit der Supermarkt-Kunde die Wahl zurückbeko­mmt, braucht es verbindlic­he Regeln und keine Selbstverp­flichtung.

Die Folgen kosten die Gesellscha­ft Milliarden Euro

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