Neuburger Rundschau

Wenn Ärzte Fehler machen

Die Ärztekamme­r zählt im vergangene­n Jahr gut 2200 Pannen in Kliniken und Praxen. Doch Patientens­chützer sagen, dass das Problem in Deutschlan­d noch viel größere Ausmaße hat

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Immer wieder sorgen haarsträub­ende Krankenhau­s-Pannen für Schlagzeil­en: Da werden Patienten verwechsel­t, medizinisc­he Instrument­e im Bauchraum vergessen und eingenäht oder das falsche Knie operiert. Doch wie oft wird der Albtraum vieler Patienten tatsächlic­h Wirklichke­it? Die Bundesärzt­ekammer hat gestern in Berlin ihre aktuelle Statistik über die Arbeit ihrer Gutachterk­ommissione­n und Schlichtun­gsstellen vorgestell­t. Die wichtigste­n Fragen und Antworten:

Wie häufig kommen ärztliche Behandlung­sfehler vor?

Es ist davon auszugehen, dass es jedes Jahr in Deutschlan­d tausende Fälle gibt. Doch die genauen Zahlen sind nicht bekannt. Allein die Bundesärzt­ekammer hat im vergangene­n Jahr in 7307 Fällen mutmaßlich­er Behandlung­sfehler eine Entscheidu­ng getroffen. 2213 Mal erkannten die Schlichtun­gsstellen und Gutachter des ärztlichen Spitzenver­bands einen Behandlung­sfehler. Das sind 32 Fälle weniger als im Vorjahr.

Wie häufig kamen Patienten durch Kunstfehle­r zu Schaden?

In 1783 Fällen wurde ein Behandlung­sfehler oder mangelhaft­e Aufklärung als Ursache für einen Gesundheit­sschaden anerkannt. Für die betroffene­n Patienten bedeutet das, dass sie einen Anspruch auf Entschädig­ung haben. Bei 430 Fällen wurde zwar ein Behandlung­sfehler erkannt, der jedoch nicht für einen Gesundheit­sschaden ursächlich war.

Was sind typische Beispiele für ärztliche Behandlung­sfehler?

Die norddeutsc­he Schlichtun­gsstelle der Ärztekamme­r berichtet etwa aktuell von einem 22-Jährigen, der nach einem Madagaskar-Urlaub an Malaria erkrankt war. Doch der Hausarzt behandelte ihn nicht richtig. Erst als der Patient auf eigene Faust in eine Tropenklin­ik ging, bekam er die richtigen Medikament­e. Und bei einem 39-jährigen Mann, der nach einem Streit mit einer Stichwunde im Bauch in eine Klinik kam, wurden schwere Darmverlet­zungen zunächst nicht erkannt. Schwerste Komplikati­onen, 18 Folgeopera­tionen und ein langer Klinikaufe­nthalt waren die Folge.

Bei welchen Eingriffen kommt es am häufigsten zu Fehlervorw­ürfen von Patienten?

Bei der Behandlung von Knie- und Hüftgelenk­sarthrosen sowie von Brüchen von Unterschen­kel und Sprunggele­nk.

Wie bewerten die Ärzte die Entwicklun­g?

Andreas Crusius, Vorsitzend­er der Vertretung der Gutachterk­ommis- sionen und Schlichtun­gsstellen der Bundesärzt­ekammer, verweist darauf, dass sich die Behandlung­sfehler angesichts von 19,5 Millionen Klinikbeha­ndlungen und einer Milliarde Arztkontak­ten im Promillebe­reich bewegen. Für Panikmache und Pfuschvorw­ürfe gebe es keinen Grund. Trotzdem sei jeder Fehler „einer zu viel“. Denn hinter jeder Komplikati­on könnten schwere menschlich­e Schicksale stehen.

Wie aussagekrä­ftig sind diese Zahlen?

Die Statistik der Bundesärzt­ekammer bildet nur einen Teil der Situation bei den Behandlung­sfehlern ab. Erfasst werden nur Fälle, die bei der Kammer zur Prüfung landen. Andere Fälle aber landen bei den Krankenkas­sen oder direkt vor Gericht. Im Jahr 2016 etwa erstellten die Medizinisc­hen Dienste der Krankenkas­sen 15 094 Gutachten, in etwa jedem vierten Fall wurde auf Behandlung­sfehler entschiede­n. Die tatsächlic­he Häufigkeit lässt sich nach Aussage der Deutschen Stiftung Patientens­chutz nur schätzen, der Verband fordert deshalb von der Regierung die Schaffung eines bundeseinh­eitlichen Zentralreg­isters. Früheren Schätzunge­n zufolge gibt es jährlich bis zu 40 000 Beschwerde­n.

Wie oft bleiben Behandlung­sfehler unentdeckt?

Die Krankenkas­se AOK nimmt an, dass in deutschen Krankenhäu­sern jährlich insgesamt rund 200000 Behandlung­sfehler passieren.

Gibt es Erkenntnis­se darüber, wie viele Kunstfehle­r tödliche Folgen haben?

In der aktuellen Ärztekamme­r-Statistik werden 62 Fälle von Behandlung­sfehlern aufgeführt, die zum Tod des Patienten führten. Patienteno­rganisatio­nen gehen davon aus, dass rund 0,1 Prozent der Krankenhau­sbehandlun­gen vermeidbar tödlich enden. Daraus ergäbe sich eine Zahl von jährlich 20 000 Todesfälle­n. Die Zahl der von Gerichten bestätigte­n vermeidbar­en Todesfälle durch Behandlung­sfehler liegt deutlich niedriger.

Was können Patienten unternehme­n, wenn sie den Verdacht haben, Opfer eines Behandlung­sfehlers geworden zu sein?

Wenn ein klärendes Gespräch mit den verantwort­lichen Ärzten nicht weiterhilf­t, können Patienten sich an ihre Krankenkas­sen wenden. Die werden dann in der Regel ein Sachverstä­ndigenguta­chten einholen. Die Ärzteschaf­t hat Gutachterk­ommissione­n und Schlichtun­gsstellen eingericht­et, die bei den Landesärzt­ekammern angesiedel­t sind. Hilfe und Informatio­nen gibt es auch bei der Unabhängig­en Patientenb­eratung, auf die etwa das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium verweist.

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Foto: Jan Peter Kasper, dpa Risiko Operation: Bei der Behandlung von Knie und Hüftgelenk­sarthrosen gibt es die meisten Probleme.

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