Neuburger Rundschau

Pschierer fordert einen neuen Anlauf für TTIP

Neben einem Freihandel­sabkommen setzt sich der neue bayerische Wirtschaft­sminister auch für ein Fachkräfte-Zuwanderun­gsgesetz ein

- Interview: Stefan Stahl

Herr Pschierer, als neuer bayerische­r Wirtschaft­sminister scheinen Sie einen paradiesis­chen Job zu haben. Denn Sie sagen selbst, kein anderes Bundesland stehe, was Wachstum, Firmengrün­dungen und den Arbeitsmar­kt betrifft, so gut da. Macht Sie das arbeitslos? Pschierer: Arbeitslos werde ich nicht. Das Fundament ist zwar dank der Leistungen fleißiger Unternehme­r, ihrer Mitarbeite­r und dank klug gesetzter politische­r Rahmenbedi­ngungen gut. Aber es gibt große Herausford­erungen für Bayern.

Was sind das für Herausford­erungen? Pschierer: Nehmen wir nur den Fachkräfte­mangel. In vielen Branchen ist die Lage dramatisch. Für viele Firmen kommt das einer Wachstumsb­remse gleich. Diese Entwicklun­g geht zum Teil auf eine Fehlentwic­klung in der Bildungspo­litik zurück. Denn der akademisch­e Teil der Bildung wurde in der Vergangenh­eit stark betont. Entspreche­nd geringer ist das Ansehen der Ausbildung im Vergleich zum Studium. Es wurde nicht ausreichen­d für die duale Ausbildung aus Lehre und Berufsschu­le geworben, sodass die Möglichkei­ten und Karrierech­ancen dieses Berufswege­s zu wenig bekannt sind. Wir müssen also noch stärker für die berufliche Bildung trommeln, auch wenn wir das in Bayern schon oft getan haben.

Das klingt mehr nach harter Arbeit als Paradies. Wo sollen all die Experten – von der Pflegekraf­t bis zum Ingenieur – herkommen? Brauchen wir ein vernünftig­es Zuwanderun­gsgesetz? Pschierer: Zunächst müssen wir die ungenutzte­n Potenziale am Arbeitsmar­kt erschließe­n. Wir müssen uns anstrengen, etwa Studienabb­recher für eine Lehre zu gewinnen. Wir müssen uns bemühen, die Erwerbstät­igenquote von Frauen weiter zu erhöhen. Und ich appelliere an Unternehme­r, älteren Arbeitnehm­ern verstärkt die Chance auf einen Job zu geben beziehungs­weise ihnen den Verbleib im Betrieb zu ermögliche­n.

Die Realität sieht oft anders aus. Ab 50 wird es schwer, noch einen Arbeitspla­tz zu bekommen. Zu alt, zu teuer und nicht die passende Qualifikat­ion lautet oft die niederschm­etternde Diagnose von Arbeitgebe­rn.

Pschierer: Ich kann das nicht akzeptiere­n. In den 80er und 90er Jahren wurde der große Fehler begangen, Menschen mit über 50 aus dem Erwerbsleb­en zu drängen – und das auf Kosten der Sozialvers­icherung. Doch heute muss es unser aller Ziel sein, Menschen länger am Arbeitsleb­en teilhaben zu lassen. Sie sind unverzicht­bar auch dank ihrer Erfahrung und ihres Know-hows.

Aber auch wenn mehr Ältere und Frauen arbeiten, ja selbst wenn Studienabb­recher Klempner werden, wird das nicht reichen, den Bedarf an Fachkräfte­n zu decken. Noch einmal: Brauchen wir in Deutschlan­d nicht endlich ein Zuwanderun­gsgesetz? Pschierer: Wir brauchen qualifizie­rte Zuwanderun­g aus dem Ausland und deshalb ein Fachkräfte-Zuwanderun­gsgesetz. Wir wollen keine Zuwanderun­g in die sozialen Sicherungs­systeme, sondern am Bedarf orientiert­e Zuwanderun­g von Arbeitnehm­ern. Das ist vor allem Aufgabe des Bundes. Aber ich werde zeitnah mit den Vertretern der bayerische­n Wirtschaft und Innenminis­ter Joachim Herrmann, dessen Haus zuständig ist, bayerische Eckpunkte für ein entspreche­ndes Gesetz erarbeiten.

Wie soll ein solches Gesetz aussehen? Pschierer: Wir stehen hier noch am Anfang unserer Überlegung­en. Aber bestimmte Kriterien – wie das Alter und der Nachweis der Qualifikat­ion des Bewerbers – sollten eine wichtige Rolle spielen. Hinzu müsste der Bewerber nachweisen, dass ihm ein konkreter Arbeitspla­tz in Deutschlan­d zugesagt wurde.

Bei so viel Reformeife­r könnten Sie gleich ein zweites Thema anpacken, das bayerische Unternehme­r verärgert. Mancher hat einen Flüchtling als Azubi eingestell­t und musste erleben, dass die Nachwuchsk­raft dennoch in der Lehrzeit abgeschobe­n wird. Pschierer: Hier müssen wir noch einmal genau hinschauen, welche Spielräume es gibt, um jungen Flüchtling­en, die arbeits- und integratio­nswillig sind, bei uns eine Chance zu geben. Damit will ich jedoch keine Anreizsyst­eme schaffen, weil Menschen in aller Welt glauben, in Deutschlan­d flössen Milch und Honig. Unsere Asylgesetz­e machen Sinn und wer aus sicheren Herkunftss­taaten nach Deutschlan­d kommt, wird ausreisen müssen. Aber wir sollten jeden Spielraum nutzen, um Flüchtling­e, die integratio­nsund arbeitswil­lig sind, in Arbeit zu bringen, zumal wenn sie absehbar länger in Deutschlan­d bleiben werden. Natürlich ist das ein schmaler Grat. Ich werde mit Herrmann Möglichkei­ten ausloten, wie junge Flüchtling­e in Betrieben ihre Ausbildung abschließe­n können und den Unternehme­n erhalten bleiben. Ich will in dieser Frage den Interessen der Wirtschaft Rechnung tragen.

Im Interesse der Wirtschaft liegt es auch, dass Ballungsze­ntren wie Mün-

Zweimal Staatssekr­etär

Franz Josef Pschierer, 61, vertritt den Stimmkreis Kaufbeuren im Bayeri schen Landtag. Seit 1994 gehört er dem Landtag an. Von 2003 bis 2008 war der CSU Mann dort Vorsit zender des Ausschusse­s für Wirt schaft, Infrastruk­tur, Verkehr und Technologi­e. Von 2008 bis 2013 folgte die Position des Finanzstaa­ts sekretärs und schließlic­h die des Wirtschaft­sstaatssek­retärs. (sts) chen für Beschäftig­te attraktiv bleiben. Doch das Gegenteil ist oft der Fall, wie das Bundesinst­itut für Bevölkerun­gsforschun­g festgestel­lt hat. Demnach bekommen Frauen in München im Schnitt weniger Kinder, auch weil es kaum bezahlbare­n Wohnraum und dürftige Betreuungs­angebote für Kinder gibt. Was will die Staatsregi­erung hier unternehme­n?

Pschierer: Zunächst mal: Bayern bleibt attraktiv: In absehbarer Zeit werden wir die Grenze von 13 Millionen Einwohnern überschrei­ten. Das ist auch ein Resultat der florierend­en Wirtschaft. Natürlich gibt es Licht und Schatten einer solchen Entwicklun­g – wie in München.

Reden wir über den Schatten. Pschierer: Das von dem Institut beschriebe­ne Problem ließe sich lösen, wenn verstärkt neue Jobs nicht in München, sondern in den vielen anderen attraktive­n Regionen Bayerns entstehen. Dank der Digitalisi­erung könnten Unternehme­r Arbeitsplä­tze aus München heraus in Gegenden mit geringeren Mieten wie Kaufbeuren oder auch Nordschwab­en verlagern. Dann müssten auch weniger Menschen mit dem Auto oder Zug nach München pendeln. Die Staatsregi­erung macht es ja vor: Wir haben Arbeit – also Behörden – aus München in die Regionen verlagert.

Wo wir schon bei den Defiziten im bayerische­n Paradies sind: Was unternimmt die Staatsregi­erung gegen das Übel der Funklöcher?

Pschierer: Für mich ist der Mobilfunk-Ausbauzust­and in Bayern nicht nachvollzi­ehbar. Ich appelliere daher an die drei großen Anbieter Telekom, Vodafone und Telefonica, ländliche Gebiete, die noch nicht abgedeckt sind, zu erschließe­n. Ebenso dramatisch finde ich es, dass man an Hauptverke­hrsstrecke­n wie an den Autobahnen A96 und A8 nicht ohne Unterbrech­ungen über mehrere Minuten telefonier­en kann. Das ist für einen Hightech-Standort nicht tragbar. Bayern wird in enger Abstimmung mit dem Bund Druck für eine bessere Versorgung machen.

Und wie sieht es mit dem Export-Paradies Bayern aus? US-Präsident Trump droht mit der Zoll-Keule. Wie gefährlich ist das für den Freistaat? Pschierer: Ich bekenne mich rückhaltlo­s zu einem fairen, freien Handel. Deswegen sehe ich mit Sorge, dass der Protektion­ismus vielerorts zunimmt. Handelsbar­rieren und Zollschran­ken passen nicht in das Zeitalter der Digitalisi­erung und Globalisie­rung. Für Bayern ist das Thema von elementare­r Bedeutung: Wir verdienen fast jeden zweiten Euro im Export. Die meisten bayerische­n Exporte gehen in die USA.

Pschierer will für berufliche Bildung trommeln

Bayern wächst auf über 13 Millionen Einwohner

Der Zorn Trumps würde Bayern also hart treffen. Wie würden Sie ihn überreden, Nachsicht walten zu lassen? Pschierer: Wir haben ein gewichtige­s Argument auf unserer Seite: Trump verkennt, dass Unternehme­n aus Bayern in den USA rund 530 000 Arbeitsplä­tze sichern. Und das sind nicht nur Konzerne wie BMW und Siemens. Auch Maschinenb­au-Firmen aus Schwaben wie Grob und Grenzebach sind Arbeitspla­tzgaranten in den USA. Wir hoffen also auf vernünftig­e Lösungen im Sinne eines fairen Freihandel­s.

Experten wie der Chef des deutschen Außenhande­lsverbande­s, Holger Bingmann, wittern jetzt sogar die Chance, mit Trump grundsätzl­ich über das Thema „Freihandel“zu diskutiere­n. Der Unternehme­r sagt, es sei Zeit, das Freihandel­sabkommen TTIP aus dem Eisschrank zu holen. Packen Sie hier mit an?

Pschierer: Ich bedauere sehr, dass wir mit den TTIP-Verhandlun­gen nicht weiter gekommen sind. Das lag bestimmt nicht an der Bayerische­n Staatsregi­erung. Andere Politiker – auch aus den Reihen der Opposition im Bayerische­n Landtag – haben TTIP aber leider auf das Thema Chlorhuhn verengt. Das Ceta-Freihandel­sabkommen mit Kanada ist die Blaupause für moderne und faire Handelsabk­ommen. Wir würden uns heute gegenüber Trump leichter tun, wenn es ein vergleichb­ares Abkommen mit den USA gäbe. Es war ein Fehler, TTIP nicht unter Dach und Fach zu bringen. Man hat sich an kleinen Dingen aufgeriebe­n und große Chancen übersehen.

Also raus aus dem Eisschrank mit TTIP?

Pschierer: Wir sollten gerade angesichts der aktuellen Diskussion­en versuchen, ein TTIP-Abkommen zu erreichen – und sei es auch ein TTIP light, das sich auf das gegenseiti­ge Vermeiden von Zöllen beschränkt. Wir müssen aber auch die Rolle der WTO stärken. Und es wäre wichtig, die Diskussion um ein Freihandel­sabkommen dieses Mal positiv genauso vehement und aktiv zu begleiten, wie es bei TTIP im negativen Sinne der Fall war. Ich würde auch für einen neuen Namen werben. TTIP ist einfach verbrannt.

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Foto: Fred Schöllhorn Der Schwabe Franz Josef Pschierer ist als Wirtschaft­sminister Nachfolger von Ilse Aigner. Der CSU Mann hat sich für sein neues Amt viel vorgenomme­n. Unter anderem fordert er ein Fachkräfte Zuwanderun­gsgesetz.

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