Neuburger Rundschau

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (9)

-

Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

„Ja“, sagt Bruhn, „aber ein Mädchen ist doch besser.“Kufalt besinnt sich: „Siehst du, darum hab’ ich mich daran erinnert: wenn wir beide zusammen wären, es ginge gleich wieder los wie früher…“

„Nein“, sagt Bruhn. „Nicht, wenn Mädchen da sind.“

„Doch“, sagt Kufalt. „Und es soll alles vorbei sein. So schön es gewesen ist, es soll alles vorbei sein. Jetzt geht es ganz neu los, und ich will genau so sein wie alle anderen.“

„Also du gehst bestimmt nach Hamburg?“

„Nach Hamburg, ja, da fragt keiner nach mir.“

„Na schön, bleib bloß fest in Hamburg, Willi. Gehen wir noch ein Stück?“

„Ja, gehen wir, die Sonne ist schon richtig heiß.“Der kleine Bruhn sagt: „Dann werde ich also mit Krüger zusammenzi­ehen. Der kommt am 16. Mai raus.“Kufalt fragt erschrocke­n: „Hast du den jetzt, Emil? Der ist aber nicht gut.“

„Nein, ich weiß. Er klaut uns

noch immer unseren Tabak. Und er hat drei Strafen, weil er Arbeitskol­legen bemaust hat.“

„Na also!“

„Aber was soll ich machen? Einen muß ich haben, ganz allein halt’ ich’s nicht aus. Und die meisten wollen draußen nichts von mir wissen, von wegen Raubmord, weißt du.“

„Aber nicht gerade mit Krüger!“„Wer kommt denn schon mit mir! Du hast doch auch nein gesagt.“

„Aber doch nicht darum, Emil!“„Und ich muß auch jemanden haben, der mir hilft, Willi. Ich bin doch elf Jahre im Bunker, ich weiß doch von nichts, Mensch. Manchmal habe ich direkt Angst, ich denke, ich mach’ was falsch, und es geht gleich wieder schief und ich sitz’ mein’ Lebtag drin.“

„Schon darum ginge ich nicht mit Krüger.“

„Also zieh du zu mir.“„Nein. Ich kann nicht. Ich will nach Hamburg.“ „Dann nehme ich Krüger.“Eine Weile gehen sie stumm nebeneinan­der. Dann sagt Bruhn: „Ich muß dich auch noch was fragen, Willi. Du weißt doch mit solchen Sachen Bescheid…“

„Mit was für Sachen?“

„Mit Geld. Mit Sparkassen­büchern.“

„Ein bißchen. Vielleicht.“„Wenn jemand – also einer hat ein Sparkassen­buch auf meinen Namen und er hat auch die Marke dazu, kann er da Geld abheben darauf? Nicht wahr, das kann er doch nicht?“

„Meistens wird er’s können, wenn das Sparbuch nicht gerade gesperrt ist oder es ist Kündigung ausgemacht. Meistens kann er’s. Hast du ein Sparbuch?“

„Ja. Nein. Es ist eins angelegt worden für mich ...“

„Vor deinem Knast?“„Nein, hier …“„Quatsch dich rein aus, Emil, ich halt’ schon den Sabbel. Vielleicht kann ich dir was helfen?“

„Ich hab’ doch immer in Schuppen drei gearbeitet, erst bei den Möbeltisch­lern und nachher für die Firma Steguweit die Geflügelst­älle …“„Ja?“

„Und dann hat doch Steguweit auf der Großen Geflügelau­sstellung die goldene Medaille gekriegt auf seine Fallennest­er und mußte liefern, noch und noch. Und damit wir ordentlich was fertig kriegten, haben seine Werkmeiste­r uns heimlich Tabak zugesteckt. Das war damals, als im Bau überhaupt noch nicht geraucht werden durfte.“

„Vor meiner Zeit …“

„Ja, und dann kam es raus, es gab einen Riesenkrac­h, und mit dem Tabak war es alle. Aber sie hatten sich was anderes ausgedacht. Wir hatten ja nun keine Lust mehr, uns das Leder von den Händen zu arbeiten, bloß damit Steguweit Geld verdiente, und schlugen so Nest für Nest zusammen, gerade, daß der Tag hinging. Und da kamen dann die Werkmeiste­r und sagten: ,Jungens, für jedes Nest, das ihr über fünfzehn abliefert pro Tag und Mann, kriegt ihr zwanzig Pfennig. Und das Geld wird für jeden von euch eingezahlt auf ein Sparkassen­buch mit seinem Namen. Und wenn ihr entlassen seid, dann kommt ihr zu uns und holt euch das Geld ab.‘“

„Saubere Sache das! Da wurden Nester fertig?“

„Mensch, ich sage dir! Wir haben Tage gehabt, da haben wir zweiunddre­ißig, ja, fünfunddre­ißig pro Nase extra abgeliefer­t. Na, es war auch Schinderei, meine Pfoten hättest du sehen sollen, das hat was gekostet!“

„Und das Geld ist richtig für dich eingezahlt?“

„Klar. Im ersten Jahre waren schon über zweihunder­t Mark da. Und im nächsten machte es noch mehr. Jetzt müssen’s schon weit über tausend sein.“

„Na, nun verlang doch das Sparbuch. Nimm’s ihm einfach weg, wenn er’s dir zeigt.“

„Ja, jetzt zeigt er es doch nicht mehr. Ist zu gefährlich, sagt er, riecht sauer, sagt er. Da sind doch eine Masse Leute rausgekomm­en in der Zeit, und manche haben Krach gemacht und sind zum Direktor gelaufen, weil es zu wenig ist. Und Steguweit hat zum Direktor gesagt, das alles ist Scheißhaus­parole, so was wie Sparbücher gibt es natürlich überhaupt nicht, weil es nicht zulässig ist vor dem Gesetz, daß Gefangene sich Geld extra verdienen.“

„Es sind doch sicher welche von den Entlassene­n wieder reingekomm­en in der Zeit in den Bau, was haben die denn erzählt?“

„Welche sind, die hat der Steguweit gefragt, wenn sie zu ihm gekommen sind, ob sie träumen, er weiß von Sparbücher­n nichts. Und wenn sie gemein geworden sind, dann hat er mit der Polizei gedroht. Manchen, die sehr gebettelt haben, hat er auch zwanzig Mark gegeben und manchen fünfzig, aber was ist das gegen die vielen Hunderter, die sie zu kriegen hatten? Ich hab’ allerdings das meiste, ich bin von Anfang an dabei.“

„Und was sagen die Werkmeiste­r?“„Daß die Kerls schwindeln. Daß die ihr Geld gekriegt haben und daß sie es nur nicht wahrhaben wollen, weil sie es gleich versoffen und verhurt haben.“

„Möglich ist das ja. Das sind doch alles Scheißer, die wieder reinkommen in den Bunker. Aber warum zeigen sie dir das Buch dann nicht? Das ist doch Schwindel, daß sie Angst haben! Du müßtest den Steguweit anzeigen. Aber nee, das ist auch nichts, das laß lieber. Nachher kriegst du noch Knast wegen Erpressung wie der Sethe da an der Mauer.“

„Der hat doch was mit dem Küchenmeis­ter gehabt?“

„Ja. Laß schon, ich seh’ rot, wenn ich daran denke. Der käme auch übermorgen raus und muß noch drei Monate abreißen, weil ich den Sabbel nicht gehalten habe. Der brächte mich am liebsten um. Na, laß schon…“

„Ich hab’ gedacht“, sagt der kleine Bruhn, „ich geh’ am schlausten zum Alten. Der ist doch ein netter Kerl und hilft uns, wenn er kann.“

„Freilich, wenn er kann. Er kann nur nicht, wie er will.“

„Warum soll er nicht können? Er braucht nur jeden Gefangenen in Schuppen drei zu fragen, dann hört er, daß ich die Wahrheit sage.“»10. Fortsetzun­g folgt

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany