Neuburger Rundschau

Hund beißt seine Halter zu Tode

Niemand weiß, was in der Wohnung in Hannover geschah. Doch am Ende sind zwei Menschen tot, ihr Hund lebt. Selbst die strengsten Verordnung­en helfen manchmal nichts

- VON FABIAN HUBER

Hannover Er soll in einem Stahlzwing­er gelebt haben, sein lautes Gebell war quer durch das siebenstöc­kige Mietshaus in Hannover zu hören. Jetzt sind zwei Menschen tot, vermutlich zerfleisch­t von Staffordsh­ire-Terrier-Mischling Chico.

Eine Frau hatte am Dienstagab­end ihren 27-jährigen Bruder vom Balkon aus leblos in seinem Zuhause liegen sehen. Die herbeigeru­fene Polizei entdeckte neben der Leiche des Mannes auch die der 52 Jahre alten Mutter. Mutmaßlich­er Täter: Hund Chico, der von Feuerwehrl­euten mit einer Schlinge eingefange­n und zunächst in ein Tierheim gebracht wurde.

Was genau sich in der Wohnung abgespielt hat, ist unklar. Die Obduktion der Leichen steht noch aus. Einer ersten Einschätzu­ng von Rechtsmedi­zinern zufolge wurden Mutter und Sohn aber totgebisse­n. Wie konnte so etwas passieren?

Nachbarn erzählen, dass der äußerst schmächtig­e 27-Jährige seit seiner Kindheit schwer krank war. Seine Mutter soll an den Rollstuhl gefesselt gewesen sein. Aus Sicht vieler Menschen im Viertel waren die beiden mit dem Hund vollkommen überforder­t.

Der große und muskulöse Staf- fordshire-Terrier – ein Hundemonst­er? „Im angelsächs­ischen Raum sind das unheimlich beliebte Familienhu­nde“, sagt Udo Kopernik, Vorstandsm­itglied des Verbands für das Deutsche Hundewesen. Sie hätten eine enorm hohe Reizschwel­le, seien sehr sozial und würden sich viel gefallen lassen, wenn sie denn nur richtig gehalten werden. Nur sei das eben selten der Fall. „Solche Hunde ziehen in Deutschlan­d ein gewisses Klientel an, vor allem Zuhälter und Rocker. Viele sind für Hundekämpf­e missbrauch­t worden“, erzählt Experte Kopernik.

Tragödien wie in Hannover kommen in Deutschlan­d eher selten vor. Laut Statistisc­hem Bundesamt schwanken die Todesfälle stets im einstellig­en Bereich. Meist gebe es eine Vorgeschic­hte, sagt Kopernik. „Da wurden oft schon andere Leute oder Hunde angesprung­en.“Fragt man Kopernik nach den Ursachen, fängt der zunächst einmal beim Menschen an, nicht beim Hund, und reist gedanklich in die Schweiz. Dort würden Experten schon vor der Anschaffun­g eines Tieres evaluieren, welche Rasse perfekt zu einem Halter passt, erzählt er. „Da müssen wir hinkommen. Konflikte zwischen Hund und Halter können zu Unfällen führen.“

Ein solcher Unfall änderte vor 18 Jahren in Hamburg die Gesetze: Ein Pitbull hatte den sechsjähri­gen Volkan zu Tode gebissen. Der Halter war mehrfach vorbestraf­t, sein Hund als verhaltens­auffällig bekannt. Aktuelle Stunde im Bundestag, Kabinettsb­esprechung, eine Telefonkon­ferenz der Innenminis­ter – der Vorfall bewegte die Politik.

Bundesweit wurden die Regeln für gefährlich­e Hunde verschärft, nur eben nicht einheitlic­h. Die heutige Gesetzesla­ge gleicht einem Flickentep­pich. „Das ist zum Teil willkürlic­h, keiner versteht’s“, kritisiert Kopernik.

Ein Beispiel: In Bayern werden gefährlich­e Hunderasse­n in zwei Kategorien eingeteilt. So dürfen Staffordsh­ire-Terrier nur in absoluten Ausnahmefä­llen und mit berechtigt­em Interesse gehalten werden, Rottweiler schon bei einem positiven Wesenstest. Ein Hunderegis­ter führt der Freistaat nicht, dafür eine Beißstatis­tik: Seit 2012 steigen die Attacken von sogenannte­n „Kampfhunde­n“auf Menschen stetig: Damals waren es 20, 2017 mit 39 fast doppelt so viele.

In Niedersach­sen erhebt man solche Zahlen nicht, kann aber genau sagen, wie viele der registrier­ten Hunde als gefährlich eingestuft werden (es sind 460, gut 0,1 Prozent). Es ist die strengste Verordnung der Republik: Wer einen Hund neu anschafft, muss eine theoretisc­he und praktische Sachkunde-Prüfung ablegen – unabhängig von der Rasse. „Ein Pudel kann genauso gefährlich sein wie ein Pitbull. Es kommt auf das Verhalten des Besitzers an“, sagt Sabine Hildebrand­t, Sprecherin des Agrarminis­teriums Niedersach­sen, gibt aber auch zu, dass die erforderli­che Prüfung keine hundertpro­zentige Garantie darstellt.

Die Stadt Hannover muss nun entscheide­n, ob Chico nach der tödlichen Attacke auf sein Herrchen und Frauchen eingeschlä­fert wird. Im Tierheim lag er den Angaben zufolge nur apathisch in seinem Zwinger.

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Fotos: Peter Steffen, Uwe Zucchi, dpa In diesem Mietshaus in Hannover spielte sich die Tragödie ab: Eine Frau fand ihren Bruder und ihre Mutter tot in der Wohnung. Nachbarn sagen, die beiden seien mit ihrem Hund komplett überforder­t gewesen.
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Staffordsh­ire Terrier werden in zahlrei chen Ländern als Kampfhunde geführt.

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