Neuburger Rundschau

Eine deutsche Flüchtling­sgeschicht­e

Christian Petzold verarbeite­t Anna Seghers’ Romanklass­iker: Ein Mann und eine Frau, sie versuchen, ihre Leben zu retten – und landen als Exilanten in einem Wartesaal zwischen Hoffnung und Verzweiflu­ng

- VON MARTIN SCHWICKERT

Anna Seghers 1944 erschienen­er, autobiogra­fischer Roman „Transit“gehört zu den wichtigste­n Werken der deutschen Exil-Literatur und hat bis heute nichts an seiner Kraft und Eindringli­chkeit eingebüßt. Wenn nun der Filmemache­r Christian Petzold, der sich bisher nie einer Literaturv­orlage bedient hat, sich des Stoffes annimmt, darf man gespannt sein. Seine Kinoadapti­on erzählt die in Paris und Marseille der beginnende­n Besatzungs­zeit angesiedel­te Geschichte nicht als museales Historiend­rama, sondern vor einer ganz gegenwärti­gen Kulisse.

Schon von der ersten Filmminute an, als ein Mannschaft­swagen der französisc­hen Polizei mit Sirene und Blaulicht durch die Straßen des heutigen Paris fährt, wird der Historisie­rung des Stoffes eine Absage erteilt. Aber ebenso wenig geht es Petzold um eine angestreng­te Aktualisie­rung: Die Gegenwart dient hier auf visueller Ebene und in wenigen Dialogpass­agen als Resonanzra­um für eine zeitlose Erzählung, die aus der Vergangenh­eit heraustrit­t.

Nur knapp schafft es der deutsche Flüchtling Georg (Franz Rogowski) aus dem besetzten Paris nach Marseille, wohin die deutschen Truppen noch nicht vorgerückt sind. In der Tasche hat Franz den Pass und das letzte Manuskript des Schriftste­llers Weidel, der sich das Leben genommen hat. Mit dessen Identität hofft er nun Visum und Schiffspas­sage nach Mexiko zu bekommen. Marseille ist als Hafenstadt für zahllose Flüchtling­e aus Deutschlan­d die letzte Hoffnung.

Anders als in Paris gehören hier die paramilitä­rischen Greiftrupp­s der Polizei noch nicht zum Alltag. Aber die Deutschen sind auf dem Vormarsch. In den Cafés und Konsulaten erzählen sich die Flüchtling­e ihre Überlebens­geschichte­n, die kaum einer hören möchte. Hier trifft Georg auf Marie Weidel (Paula Beer), die ihren Mann verlassen hat, nichts von dessen Tod ahnt und Tag für Tag die Straßen von Marseille nach ihm absucht, um sich zu versöhnen. Ein wenig wie ein Gespenst taucht diese Marie mit klackenden Absätzen immer wieder in den Bistros und Wartesälen auf und passt sich damit ein in das Arsenal der Petzold-Figuren, die oft als Gespenster der eigenen Vergangenh­eit die Gegenwart bewohnen. Ähnliches lässt sich über den Kinderarzt Richard (Godehard Giese) sagen, der hoffnungsl­os in Marie verliebt ist und wegen ihr ein Schiff nach dem anderen fahren lässt. Oder den Dirigenten (Justus von Dohnányi), der schon einen Arbeitsver­trag für Caracas in der Tasche hat und immer wieder seine zwölf Passbilder für den Visumsantr­ag durchzählt. Oder die unbekannte Frau (Barbara Auer), für die die beiden Hunde amerikanis­cher Freunde zur letzten Ausreiseho­ffnung werden. Sie alle treiben als Wartende durch die Visumsbüro­kratie und durch die engen Gassen der Stadt, die sich zum Meer hin so verheißung­svoll öffnet.

Ihre Kleidung ist so zeitlos wie ihre Probleme. Denn eigentlich ist die ganze Erzählung selbst zum Gespenst geworden und ragt ins Heute hinein, wo die Verfolgten nicht aus Europa heraus, sondern nach Europa hineindrän­gen und Flüchtling­e erneut in Transiträu­men zum Warten verdammt sind. Nicht umsonst verbindet Petzold Seghers’ Erzählung überrasche­nd unangestre­ngt mit dem Schicksal maghrebini­scher Flüchtling­sexistenze­n, wenn Georg sich mit einem arabischen Jungen anfreundet. Diese Gegenwarts­bezüge wirken nie aufgesetzt, werden beiläufig eingefloch­ten und bestimmen die atmosphäri­sche Intensität des Filmes, der die Flucht als unfreiwill­igen Lebenszust­and mit überzeugen­der Sensibilit­ät erkundet.

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Foto: Piffl Medien Das Schicksal von Flüchtling­en verbindet in fataler Weise Georg (Franz Rogowski) und die Schriftste­ller Witwe Marie Weidel (Paula Beer) in Marseille.

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