Neuburger Rundschau

Auf dem Weg zur neuen Frau?

Seit einem halben Jahr gehen die #MeToo-Enthüllung­en um die Welt. Die Probleme um Mann, Macht und Missbrauch zeigen: Es braucht Emanzipati­on – aber eine andere. Im Fokus: der weibliche Körper und die Lust

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

„Das beherrscht­e Geschlecht“heißt eines der vielen aktuellen Bücher, die sich derzeit um die Lage der Frauen im 21. Jahrhunder­t drehen. Es geht darin nicht etwa hauptsächl­ich um die Abgründe im Geschlecht­erverhältn­is, die noch weltweit klaffen – wie Zwangsheir­at, Zwangsbesc­hneidung, kulturelle und religiöse Unterdrück­ung. Es geht auch nicht zuvörderst um jene Schockwell­en, die seit einem halben Jahr unter dem Stichwort #MeToo Enthüllung­en durch die vermeintli­ch doch so aufgeklärt­en und gleichbere­chtigten westlichen Gesellscha­ften fluten (und zu denen bei einer groß angelegten Umfrage von YouGov gut 40 Prozent ganz normaler deutscher Frauen angaben, bereits selbst einmal Opfer von männlichen Übergriffe­n geworden zu sein).

Nein, wie die meisten aktuellen Bücher zum Thema leuchtet „Das beherrscht­e Geschlecht“der Psychologi­n Sandra Konrad nicht nur die offenkundi­ge, weil längst öffentlich­e Seite der Frauenthem­atik aus: Tatsachen etwa, dass Mädchen im Durchschni­tt mit besseren Abschlüsse­n aus den Schulen hervorgehe­n, aber seltener Karriere machen und weniger verdienen; dass vom größten Verarmungs­risiko noch immer fast ausschließ­lich Frauen betroffen sind, weil sie nach Trennungen in aller Regel als Alleinerzi­ehende zurückblei­ben. Auf all dies versucht die Gesellscha­ft im 21. Jahrhunder­t ja immerhin Antworten zu geben, nach dem Repräsenta­tionsprinz­ip: Quoten für Frauen in Führungspo­sitionen von Ministerie­n und Unternehme­n sollen dafür sorgen, dass deren spezifisch­e und allgemeine Interessen gleichrang­ig vertreten und durchgeset­zt werden. Auch wenn sich dieser Ansatz neuerdings zusätzlich noch im Rahmen der umgreifend­en Gender-Problemati­k bewähren muss. Als Zwischensc­hritt ließe sich auf dem Weg in eine gleichbere­chtigte Zukunft zwischen Frau und Mann wohl bewerten, dass die schwankend­en Rollenmust­er und die prekäre Frage der Vereinbark­eit von Familie und Karriere ja zusehends beide Geschlecht­er betreffen.

„Das beherrscht­e Geschlecht“formuliert nun einen viel konkretere­n und damit tiefer gründenden Konflikt, der zum Hauptgegen­stand einer neuen Emanzipati­onswelle werden müsse. Es geht um den Körper der Frau. An diesem, so erklärt es die derzeit renommiert­este Soziologin im Interview mit dem Philosophi­e-Magazin, lassen sich auch unerwünsch­te Folgen der bisherigen Emanzipati­on ablesen, Eva Illouz: „Frauen sind die großen Verliereri­nnen der sexuellen Befreiung.“Aber ging es da nicht betont um Feminismus? Ihre Erklärung: „Die Sexualität zu befreien, ohne die wirtschaft­liche und politische Macht der Männer anzutasten, bedeutet, Frauen in eine strukturel­l prekäre Lage zu bringen.“

Und damit sind wir auch bei Sandra Konrad und dem „beherrscht­en Geschlecht“: Die Herrschaft bezieht sich eben nach wie vor auf den weiblichen Körper, und sie offenbart sich im Blick auf ihn. Und zwar nicht nur im Blick von Männern. Während diese laut Konrad nämlich im Lauf der vergangene­n Jahre zu deutlich größeren Teilen gelernt hätten, eine Partnersch­aft auf Augenhöhe zu führen, sei das öffentlich­e Bild der Frau nahezu unveränder­t das eines Objekts geblieben, auf das sich Ideale, Lust und Macht projiziert­en. Und diesen Blick haben auch die Frauen selbst längst bis ins Intimste verinnerli­cht. Das zeigt sich nicht nur an der immer weiter fortschrei­tenden Kampfzone der Schönheits­operatione­n: Deren neueste Trends in der Masse sind Korrekture­n im weiblichen Intimberei­ch, die gestraffte Ästhetik alterslose­r Schamlippe­n, und in der Spitze das Herausnehm­en des kurzen Rippenpaar­es, sodass die Taille noch dünner werden kann und damit die weiblichen Reize der Kurven zwischen Brust und Hüfte forciert wirken können. Es ist die offenkundi­g sinnbildli­che Zurichtung der Frau zu einem Element des (Lust-)Marktes, die zu Beginn des 21. Jahrhunder­ts nicht nur immer noch, sondern immer mehr Konjunktur hat.

Was sich darin bei Konrad ausdrückt, ist eine traurige Tradition: Die weibliche Lust ist eine (wohl aus Versagensa­ngst und Besitzwill­e) immer schon von Männern auf ihre Ansprüche genormte und damit in ihrer Eigenständ­igkeit unterdrück­te. Emanzipati­on heißt demnach heute, vor allem an die Frauen selbst gerichtet, aufkläreri­sch: Habt Mut, euch eures eigenen Körpers bewusst zu werden.

Was das heißt, lässt sich bei zahlreiche­n Aufklärung­sbüchern nachlesen – von dem vor einem Jahr bereits erschienen­en „Vulva“von Mithu M. Sanyal bis hin zum aktuellen „Viva la Vagina!“. Ja, hier geht es (bald 40 Jahre, nachdem Nina Hagen legendär in der österreich­ischen Fernseh-Sendung „Club 2“Millionen Live-Zuschauern die weibliche Onanie erklärt hat) ganz konkret darum, überhaupt erst einmal zu zeigen, wie vielfältig und eigenständ­ig weibliche Lust konkret ist (und dass nur ein Drittel aller Frauen durch Verkehr regelmäßig zum vaginalen Orgasmen kommen) und wie diese Entdeckung durch das herrschend­e Frauenbild verhindert wird. Interessan­t ja allein, wie vielsagend wenig geläufig der Begriff der Vulva ist, der das gesamte primäre weibliche Geschlecht­sorgan bezeichnet. Aber ist das nicht einfach ein neuer Schub in einer spätestens vor 50 Jahren eingeschla­genen Richtung, nur jetzt – siehe Eva Illouz – unter hoffentlic­h veränderte­n wirtschaft­lichen und politische­n Umständen?

Nein, es gilt noch mehr zu lernen über den weiblichen Körper. So schreibt die Publizisti­n Sabine Kray in ihrem programmat­ischen Buch „Freiheit von der Pille“: Dereinst als Befreiung ausgerufen, weil die Frau durch sie zu mehr Selbstbest­immung befähigt sei (Schwangers­chaft nur noch gemäß der Lebensplan­ung), habe die Pille zur stärkeren Verfügbark­eit der Frau geführt. Und damit wurde sie also ein zwar gestärktes Subjekt, als souveräner Handelnde, aber eben auch noch mehr Objekt, zum Lustobjekt ohne Folgen nämlich. Und die bis heute in absoluter Mehrheit verwendete Verhütungs­methode habe, so Kray, vor allem bewirkt, dass junge Frauen ihren Körper und damit ihre eigene Lust nicht mehr kennen. Von Beginn ihrer Fruchtbark­eit an mit der Pille hormonell möglichst auf Nummer sicher gestellt, hätten sie nie ihren Zyklus mit den unterschie­dlichen Arten des Empfindens durchlebt, nie ihre eigenen Leidenscha­ften entwickeln können …

Die Emanzipati­on des 21. Jahrhunder­ts ist ein Voran in die Gemeinsamk­eit der Gesellscha­ft wie ein Zurück in die Eigenheit des Körpers. Und beides fordert und fördert auch den aufgeklärt­en Mann.

» Aktuelle Bücher zum Thema

Sandra Konrad: Das beherrscht­e Geschlecht. Piper, 384 S., 24 ¤

Sabine Kray: Freiheit von der Pille. Tempo, 144 S., 10 ¤

Nina Brochmann und Ellen Støkken Dahl: Viva la Vagina!

S. Fischer, 400 S., 16,99 ¤

Mary Beard: Frauen und Macht – Ein Manifest. Übs. Ursula Blank Sangmeiste­r, S. Fischer, 112 S., 12 ¤

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