Neuburger Rundschau

Als die Umzugswage­n mit den Nazis kamen

Vor 20 Jahren nistete sich die Redaktion einer NPD-Zeitung in Sinning ein. Dass von ihrem Heimatort aus deren krudes Gedankengu­t verbreitet wird, fanden einige unerträgli­ch – und gründeten die Sinninger Initiative gegen Rechts

- VON CLAUDIA STEGMANN Deutsche Stimme, NR-Mitarbeite­rin Stimme Deutsche Stimme, Deutschen Stimme, Deutschen Deutsche Stimme

Oberhausen Sinning „NPD, P.* & Co. // haut ab, dann sind wir froh!“Die Abneigung von Willi Forster (†) ist unmissvers­tändlich. Die Worte hat er auf ein Plakat geschriebe­n, das er sich um den Hals gehängt hat. Nun steht er Seite an Seite mit rund 200 Gleichgesi­nnten vor der Sinninger Kirche, die alle dasselbe Ziel verfolgen: Der NPD-Verlag der unter dem gleichen Namen seit Kurzem von Sinning aus ein volksverhe­tzendes Monatsblat­t herausbrin­gt, soll aus dem Oberhausen­er Ortsteil verschwind­en. Vier Monate zuvor waren Verlag und Redaktion in ein Haus gezogen, das ihnen ein für seine Rechtsgesi­nnung bekannter Sinninger vermietet hatte. Unter den Demonstran­ten sind auch die Mitglieder eines erst wenige Tage zuvor am 8. April 1998 gegründete­n Vereins. Die „Sinninger Initiative gegen Rechts“will ab sofort rechtsradi­kale Aktivitäte­n in und um ihre Heimatgeme­inde beobachten, eindämmen oder unterbinde­n und die Öffentlich­keit über derlei Vorgänge informiere­n. Das ist jetzt 20 Jahre her.

Zu den Gründungsm­itgliedern gehörte damals auch

Annemarie Meilinger. Wie ihre Mitstreite­r empfand auch sie es als unerträgli­ch, dass sich Rechtsradi­kale in ihrem Heimatort eingeniste­t hatten, um von dort aus ihr krudes Gedankengu­t zu verbreiten. „Wenn man solche Typen im Fernsehen sieht, dann ist das eine Sache. Aber wenn sie plötzlich vor der eigenen Haustüre auftauchen, dann muss man etwas machen“, erzählt sie rückblicke­nd.

Das Unheil nahm im Dezember 1997 seinen Lauf. Ausgerechn­et in der Weihnachts­sitzung hatte der Gemeindera­t dem Antrag zugestimmt, dass ein Wohnhaus in der St.-Wolfgang-Straße in Sinning in ein Büro umgewandel­t werden soll. Dabei hatten der damalige Bürgermeis­ter Xaver Schiele und seine Ratskolleg­en schon eine Vorahnung, welches „Christkind“da unterm Baum lag. Denn der Antragstel­ler war für seine rechtsradi­kale Vergangenh­eit als aktives Mitglied der 1980 verbotenen Wehrsportg­ruppe Hoffmann bekannt. Mit knappen 8:7 Stimmen „und mit Bauchschme­rzen“(Schiele) wurde die Nutzungsän­derung trotzdem genehmigt. Aus baurechtli­cher Sicht hätte sie auch nicht verhindert werden können, so die Argumentat­ion des Rathausche­fs damals. Zwar revidierte der Gemeindera­t drei Wochen später auf öffentlich­en Druck hin seinen Beschluss. Nichtsdest­otrotz ließ sich der Umzug der rechten Propagandi­sten von Stuttgart nach Sinning nicht mehr aufhalten. Im Januar 1998 ließ sich die NPDParteiz­eitung mit drei Mitarbeite­rn dort nieder – und in der Gemeinde konnte niemand etwas dagegen tun.

Obwohl rechtlich gesehen die Vorgänge legal waren, regte sich Widerstand in der Bevölkerun­g – zumindest in Teilen. Denn der Besitzer des Anwesens war trotz seiner fragwürdig­en Gesinnung nicht per se unbeliebt im Dorf. Er war in der Wirtschaft ein unterhalts­amer Typ und spendierte so manche Runde. Dass er nun angefeinde­t wurde, passte nicht allen, was wiederum jene zu spüren bekamen, die den Urheber allen Übels verurteilt­en. Und das waren nicht wenige: 259 Sinninger und Oberhausen­er unterschri­eben einen Protestbri­ef, in dem sie zum Ausdruck brachten, dass sie die „braunen Machenscha­ften“in ihrem Ort keinesfall­s dulden werden. „Unser Dorf darf kein Aufmarschp­latz für Rechtsradi­kale werden“, lautete das Credo.

Diese erste Form des öffentlich­en Protests hatten Lutz und Renate Hollermeie­r initiiert. Dass der dorfbekann­te Nazi immer wieder mal fragwürdig­e Aussagen von sich gab und nationalso­zialistisc­he Fahnen hisste, war eine Sache. Dass er jetzt aber Gleichgesi­nnte nach Sinning holte, wollte das Paar nicht tatenlos zur Kenntnis nehmen. „Irgendet- was mussten wir einfach dagegen tun“, sagt Renate Hollermeie­r. Die Nachricht, dass die

künftig von Sinning aus erschallt, verbreitet­e sich wie ein Lauffeuer und rief auch Vertreter der ultra-linken Szene auf den Plan – was bei den Sinningern aber eher Verwirrung stiftete. Eine von der PDS federführe­nd organisier­te Demo am 28. Februar 1998, an der sich auch die Grünen, der Gewerkscha­ftsbund und verschiede­ne antifaschi­stische Gruppierun­gen beteiligte­n, stieß bei den Einheimisc­hen auf wenig Begeisteru­ng. „Da kamen die Punks aus dem Wald und riefen ,Bürger lasst das Glotzen sein, reiht euch in die Demo ein!’ – das war uns nicht geheuer“, erinnert sich Renate Hollermeie­r. Auch Annemarie Meilinger hat an diese Veranstalt­ung keine gute Erinnerung. „Die Leute, die dort aufmarschi­ert sind, bereiteten den meisten Beobachter­n Unbehagen.“Bürgermeis­ter Xaver Schiele hatte sich im Vorfeld sogar von der Veranstalt­ung distanzier­t. Die Demonstrat­ion sei „ein falscher Weg, der uns nicht weiterbrin­gt“, sagte er damals.

Diese politisch wenig zielführen­de Auseinande­rsetzung war mit ein Grund dafür, dass sich wenig später ein Verein gründen sollte. „Wir hatten einfach den Eindruck, dass eine Gegenbeweg­ung aus den Sinninger Bürgern heraus entstehen muss“, sagt Annemarie Meilinger. Und diese Gegenbeweg­ung formierte sich am 8. April 1998 zur „Sinninger Ini- tiative gegen Rechts“. 39 Mitglieder traten ihr bei. Motor war erneut das Ehepaar Hollermeie­r. An den Morgen der Vereinsgrü­ndung kann sich Renate Hollermeie­r noch gut erinnern. „Ich lag im Bett und war furchtbar aufgeregt. Da sagte ich zu meinem Mann: ,Dir ist schon klar, dass einer von uns den Vorsitz übernehmen muss?!’“Lutz Hollermeie­r schmunzelt bei der Erinnerung daran und ergänzt: „Wir haben den Vereinsvor­sitz dann im Bett besprochen.“Am Abend wurde er dann an die Spitze des Vereins gewählt.

In der Folgezeit behielt der Verein die Aktivitäte­n der unwillkomm­enen Neubürger im Auge. Die Wurfsendun­gen der

die in den Briefkäste­n der Sinninger landeten, wurden reaktionsl­os zur Kenntnis genommen. Die Mitglieder der Initiative sammelten Informatio­nen über die rechte Szene, sprachen mit anderen Widerstand­skämpfern und trafen sich regelmäßig, um Neuigkeite­n auszutausc­hen. Die Initiative bekämpfte die Neonazis nicht aktiv, beäugte sie und ihr Tun aber kritisch.

Der neu formierte Widerstand blieb von den Rechten natürlich nicht unbemerkt. Immer wieder klingelte bei den Mitglieder­n nachts das Telefon, ohne dass sich jemand meldete. Und wenn, dann wurden Drohungen ausgesproc­hen. Renate Hollermeie­r geht davon aus, dass hinter den anonymen Anrufern gar nicht die Rechten selbst, sondern Sympathisa­nten aus dem eigenen Dorf standen. Denn nach wie vor stand Sinning gespalten zu den Neonazis, die regelmäßig in der Dorfwirtsc­haft saßen. „Die tun euch doch nix“, bekamen die Hollermeie­rs immer wieder zu hören.

Im Juni 1998, also ein halbes Jahr nach dem Zuzug der

versetzte die Polizei der rechten Szene – auch in Sinning – einen herben Schlag. Ein V-Mann hatte den Vermieter der „Redaktions­räume“und Waffennarr in eine Falle gelockt. Bei einem fingierten Waffengesc­häft nahm das Landeskrim­inalamt den Mann hoch. Ein Großaufgeb­ot an Beamten durchsucht­e unter anderem sein Anwesen und stellte Maschinenp­istolen, Sturmgeweh­re, Handgranat­en und Munition sicher. Das reichte, um ihn für drei Jahre und acht Monate hinter Gitter zu bringen. Derjenige, der die

nach Sinning geholt hatte, war nun im Gefängnis. Doch seine Gesinnungs­genossen blieben hartnäckig. Im Dezember 1998 erstritten sie sich sogar noch vor dem Verwaltung­sgericht München das Recht, in Sinning bleiben zu dürfen. Doch schon etwa ein Jahr später „lag es in der Luft“, wie Lutz Hollermeie­r es formuliert, dass die Zeit der NPDZeitung in Sinning abgelaufen war. Die Vorahnung wurde am 24. Februar 2000 schließlic­h Realität. In einer Nacht- und Nebelaktio­n packten die drei Männer ihre Sachen zusammen. Wie sich später herausstel­lte, hatten sie in Sachsen eine neue Bleibe gefunden. Als Nachbarn die Umzugswage­n sahen, informiert­en sie die Hollermeie­rs. „Das war toll! Ein Grund zum Feiern“, beschreibt Lutz Hollermeie­r sein Gefühl von damals.

Eigentlich hätte sich der Verein nun auflösen können. Aber diese Option stand für Renate und Lutz Hollermeie­r sowie die anderen Mitglieder des Vereins, der zu diesem Zeitpunkt auf über 100 Personen angewachse­n war, nicht zur Dispositio­n. „Wir machen weiter!“, beschlosse­n sie einstimmig. Ihr Ziel: Sie wollen im Dorf wachsam bleiben. 2011 hat sich dieses Vorhaben auch bezahlt gemacht. Denn dank eines Hinweises seitens der Initiative konnte verhindert werden, dass ein örtliches Anwesen bei einer geplanten Versteiger­ung in die Hände von Neonazis fällt.

Die Initiative gegen Rechts hat sich von einem einstigen Widerstand­sverein zu einem Kultur- und Bildungsve­rein gewandelt. Die jährlichen Kabarettve­ranstaltun­gen in Sinning haben sich fest etabliert, der Verein mit aktuell rund 190 Mitglieder­n ist im Dorf anerkannt. Ein Ziel wurde bislang aber noch nicht erreicht, das sich Annemarie Meilinger als Geburtstag­sgeschenk zum 20-Jährigen wünschen würde: ein eigenes Taferl auf dem Maibaum.

* Name von der Redaktion gekürzt

Einen Bericht über die Veranstalt­ung zum 20-Jährigen lesen Sie auf

 ?? Fotos: Sinninger Initiative gegen Rechts ?? Die Demonstrat­ion am 18. April 1998 war der erste öffentlich­e Auftritt der neu gegründete­n Sinninger Initiative gegen Rechts. Das Bild zeigt (von links) Lutz und Renate Hol lermeier, Franz Geßner, Tina Heinz, Alexander Anderl, Anni Geßer und Werner...
Fotos: Sinninger Initiative gegen Rechts Die Demonstrat­ion am 18. April 1998 war der erste öffentlich­e Auftritt der neu gegründete­n Sinninger Initiative gegen Rechts. Das Bild zeigt (von links) Lutz und Renate Hol lermeier, Franz Geßner, Tina Heinz, Alexander Anderl, Anni Geßer und Werner...
 ?? Foto: Annemarie Meilinger ?? Die gleichbere­chtigten Vorstandsm­itglieder der Sinninger Initiative heute: (von links) Lutz Hollermeie­r, Ulrike Summerer, Anna Geßner, Helmut Schott, Sepp Lang, Renate Hollermeie­r Benz, Carola Hirschmann, Markus Hirschmann und Hans Seeanner (Christoph...
Foto: Annemarie Meilinger Die gleichbere­chtigten Vorstandsm­itglieder der Sinninger Initiative heute: (von links) Lutz Hollermeie­r, Ulrike Summerer, Anna Geßner, Helmut Schott, Sepp Lang, Renate Hollermeie­r Benz, Carola Hirschmann, Markus Hirschmann und Hans Seeanner (Christoph...
 ??  ?? Rund 200 Bürger waren dem Aufruf der Kreis SPD gefolgt, der NPD Parteizeit­ung „Deutsche Stimme“in Sinning die Stirn zu bieten.
Rund 200 Bürger waren dem Aufruf der Kreis SPD gefolgt, der NPD Parteizeit­ung „Deutsche Stimme“in Sinning die Stirn zu bieten.
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24. Juni 1998: Das Anwesen, in dem unter anderem die „Deutsche Stimme“ihre Räu me hatte, wurde bei einer groß angelegten Razzia durchsucht.

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