Als die Umzugswagen mit den Nazis kamen
Vor 20 Jahren nistete sich die Redaktion einer NPD-Zeitung in Sinning ein. Dass von ihrem Heimatort aus deren krudes Gedankengut verbreitet wird, fanden einige unerträglich – und gründeten die Sinninger Initiative gegen Rechts
Oberhausen Sinning „NPD, P.* & Co. // haut ab, dann sind wir froh!“Die Abneigung von Willi Forster (†) ist unmissverständlich. Die Worte hat er auf ein Plakat geschrieben, das er sich um den Hals gehängt hat. Nun steht er Seite an Seite mit rund 200 Gleichgesinnten vor der Sinninger Kirche, die alle dasselbe Ziel verfolgen: Der NPD-Verlag der unter dem gleichen Namen seit Kurzem von Sinning aus ein volksverhetzendes Monatsblatt herausbringt, soll aus dem Oberhausener Ortsteil verschwinden. Vier Monate zuvor waren Verlag und Redaktion in ein Haus gezogen, das ihnen ein für seine Rechtsgesinnung bekannter Sinninger vermietet hatte. Unter den Demonstranten sind auch die Mitglieder eines erst wenige Tage zuvor am 8. April 1998 gegründeten Vereins. Die „Sinninger Initiative gegen Rechts“will ab sofort rechtsradikale Aktivitäten in und um ihre Heimatgemeinde beobachten, eindämmen oder unterbinden und die Öffentlichkeit über derlei Vorgänge informieren. Das ist jetzt 20 Jahre her.
Zu den Gründungsmitgliedern gehörte damals auch
Annemarie Meilinger. Wie ihre Mitstreiter empfand auch sie es als unerträglich, dass sich Rechtsradikale in ihrem Heimatort eingenistet hatten, um von dort aus ihr krudes Gedankengut zu verbreiten. „Wenn man solche Typen im Fernsehen sieht, dann ist das eine Sache. Aber wenn sie plötzlich vor der eigenen Haustüre auftauchen, dann muss man etwas machen“, erzählt sie rückblickend.
Das Unheil nahm im Dezember 1997 seinen Lauf. Ausgerechnet in der Weihnachtssitzung hatte der Gemeinderat dem Antrag zugestimmt, dass ein Wohnhaus in der St.-Wolfgang-Straße in Sinning in ein Büro umgewandelt werden soll. Dabei hatten der damalige Bürgermeister Xaver Schiele und seine Ratskollegen schon eine Vorahnung, welches „Christkind“da unterm Baum lag. Denn der Antragsteller war für seine rechtsradikale Vergangenheit als aktives Mitglied der 1980 verbotenen Wehrsportgruppe Hoffmann bekannt. Mit knappen 8:7 Stimmen „und mit Bauchschmerzen“(Schiele) wurde die Nutzungsänderung trotzdem genehmigt. Aus baurechtlicher Sicht hätte sie auch nicht verhindert werden können, so die Argumentation des Rathauschefs damals. Zwar revidierte der Gemeinderat drei Wochen später auf öffentlichen Druck hin seinen Beschluss. Nichtsdestotrotz ließ sich der Umzug der rechten Propagandisten von Stuttgart nach Sinning nicht mehr aufhalten. Im Januar 1998 ließ sich die NPDParteizeitung mit drei Mitarbeitern dort nieder – und in der Gemeinde konnte niemand etwas dagegen tun.
Obwohl rechtlich gesehen die Vorgänge legal waren, regte sich Widerstand in der Bevölkerung – zumindest in Teilen. Denn der Besitzer des Anwesens war trotz seiner fragwürdigen Gesinnung nicht per se unbeliebt im Dorf. Er war in der Wirtschaft ein unterhaltsamer Typ und spendierte so manche Runde. Dass er nun angefeindet wurde, passte nicht allen, was wiederum jene zu spüren bekamen, die den Urheber allen Übels verurteilten. Und das waren nicht wenige: 259 Sinninger und Oberhausener unterschrieben einen Protestbrief, in dem sie zum Ausdruck brachten, dass sie die „braunen Machenschaften“in ihrem Ort keinesfalls dulden werden. „Unser Dorf darf kein Aufmarschplatz für Rechtsradikale werden“, lautete das Credo.
Diese erste Form des öffentlichen Protests hatten Lutz und Renate Hollermeier initiiert. Dass der dorfbekannte Nazi immer wieder mal fragwürdige Aussagen von sich gab und nationalsozialistische Fahnen hisste, war eine Sache. Dass er jetzt aber Gleichgesinnte nach Sinning holte, wollte das Paar nicht tatenlos zur Kenntnis nehmen. „Irgendet- was mussten wir einfach dagegen tun“, sagt Renate Hollermeier. Die Nachricht, dass die
künftig von Sinning aus erschallt, verbreitete sich wie ein Lauffeuer und rief auch Vertreter der ultra-linken Szene auf den Plan – was bei den Sinningern aber eher Verwirrung stiftete. Eine von der PDS federführend organisierte Demo am 28. Februar 1998, an der sich auch die Grünen, der Gewerkschaftsbund und verschiedene antifaschistische Gruppierungen beteiligten, stieß bei den Einheimischen auf wenig Begeisterung. „Da kamen die Punks aus dem Wald und riefen ,Bürger lasst das Glotzen sein, reiht euch in die Demo ein!’ – das war uns nicht geheuer“, erinnert sich Renate Hollermeier. Auch Annemarie Meilinger hat an diese Veranstaltung keine gute Erinnerung. „Die Leute, die dort aufmarschiert sind, bereiteten den meisten Beobachtern Unbehagen.“Bürgermeister Xaver Schiele hatte sich im Vorfeld sogar von der Veranstaltung distanziert. Die Demonstration sei „ein falscher Weg, der uns nicht weiterbringt“, sagte er damals.
Diese politisch wenig zielführende Auseinandersetzung war mit ein Grund dafür, dass sich wenig später ein Verein gründen sollte. „Wir hatten einfach den Eindruck, dass eine Gegenbewegung aus den Sinninger Bürgern heraus entstehen muss“, sagt Annemarie Meilinger. Und diese Gegenbewegung formierte sich am 8. April 1998 zur „Sinninger Ini- tiative gegen Rechts“. 39 Mitglieder traten ihr bei. Motor war erneut das Ehepaar Hollermeier. An den Morgen der Vereinsgründung kann sich Renate Hollermeier noch gut erinnern. „Ich lag im Bett und war furchtbar aufgeregt. Da sagte ich zu meinem Mann: ,Dir ist schon klar, dass einer von uns den Vorsitz übernehmen muss?!’“Lutz Hollermeier schmunzelt bei der Erinnerung daran und ergänzt: „Wir haben den Vereinsvorsitz dann im Bett besprochen.“Am Abend wurde er dann an die Spitze des Vereins gewählt.
In der Folgezeit behielt der Verein die Aktivitäten der unwillkommenen Neubürger im Auge. Die Wurfsendungen der
die in den Briefkästen der Sinninger landeten, wurden reaktionslos zur Kenntnis genommen. Die Mitglieder der Initiative sammelten Informationen über die rechte Szene, sprachen mit anderen Widerstandskämpfern und trafen sich regelmäßig, um Neuigkeiten auszutauschen. Die Initiative bekämpfte die Neonazis nicht aktiv, beäugte sie und ihr Tun aber kritisch.
Der neu formierte Widerstand blieb von den Rechten natürlich nicht unbemerkt. Immer wieder klingelte bei den Mitgliedern nachts das Telefon, ohne dass sich jemand meldete. Und wenn, dann wurden Drohungen ausgesprochen. Renate Hollermeier geht davon aus, dass hinter den anonymen Anrufern gar nicht die Rechten selbst, sondern Sympathisanten aus dem eigenen Dorf standen. Denn nach wie vor stand Sinning gespalten zu den Neonazis, die regelmäßig in der Dorfwirtschaft saßen. „Die tun euch doch nix“, bekamen die Hollermeiers immer wieder zu hören.
Im Juni 1998, also ein halbes Jahr nach dem Zuzug der
versetzte die Polizei der rechten Szene – auch in Sinning – einen herben Schlag. Ein V-Mann hatte den Vermieter der „Redaktionsräume“und Waffennarr in eine Falle gelockt. Bei einem fingierten Waffengeschäft nahm das Landeskriminalamt den Mann hoch. Ein Großaufgebot an Beamten durchsuchte unter anderem sein Anwesen und stellte Maschinenpistolen, Sturmgewehre, Handgranaten und Munition sicher. Das reichte, um ihn für drei Jahre und acht Monate hinter Gitter zu bringen. Derjenige, der die
nach Sinning geholt hatte, war nun im Gefängnis. Doch seine Gesinnungsgenossen blieben hartnäckig. Im Dezember 1998 erstritten sie sich sogar noch vor dem Verwaltungsgericht München das Recht, in Sinning bleiben zu dürfen. Doch schon etwa ein Jahr später „lag es in der Luft“, wie Lutz Hollermeier es formuliert, dass die Zeit der NPDZeitung in Sinning abgelaufen war. Die Vorahnung wurde am 24. Februar 2000 schließlich Realität. In einer Nacht- und Nebelaktion packten die drei Männer ihre Sachen zusammen. Wie sich später herausstellte, hatten sie in Sachsen eine neue Bleibe gefunden. Als Nachbarn die Umzugswagen sahen, informierten sie die Hollermeiers. „Das war toll! Ein Grund zum Feiern“, beschreibt Lutz Hollermeier sein Gefühl von damals.
Eigentlich hätte sich der Verein nun auflösen können. Aber diese Option stand für Renate und Lutz Hollermeier sowie die anderen Mitglieder des Vereins, der zu diesem Zeitpunkt auf über 100 Personen angewachsen war, nicht zur Disposition. „Wir machen weiter!“, beschlossen sie einstimmig. Ihr Ziel: Sie wollen im Dorf wachsam bleiben. 2011 hat sich dieses Vorhaben auch bezahlt gemacht. Denn dank eines Hinweises seitens der Initiative konnte verhindert werden, dass ein örtliches Anwesen bei einer geplanten Versteigerung in die Hände von Neonazis fällt.
Die Initiative gegen Rechts hat sich von einem einstigen Widerstandsverein zu einem Kultur- und Bildungsverein gewandelt. Die jährlichen Kabarettveranstaltungen in Sinning haben sich fest etabliert, der Verein mit aktuell rund 190 Mitgliedern ist im Dorf anerkannt. Ein Ziel wurde bislang aber noch nicht erreicht, das sich Annemarie Meilinger als Geburtstagsgeschenk zum 20-Jährigen wünschen würde: ein eigenes Taferl auf dem Maibaum.
* Name von der Redaktion gekürzt
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