Wenn Amokläufer töten wie Terroristen
Die Ermittler in Münster prüfen noch das Motiv. Der 48-jährige Todesfahrer war psychisch labil. Experten sagen, was hinter der brutalen Art seines Suizids stecken könnte
Münster Ein Mann fährt am Samstag mit einem Campingbus in der Altstadt von Münster in eine Menschenmenge. Zwei Menschen sterben, der Täter erschießt sich selbst. Drei Opfer schwebten nach Angaben der Universitätsklinik in Münster am Montag noch in Lebensgefahr. Was anfangs nach einem terroristischen Anschlag aussah, erwies sich als erweiterter Selbstmord – Anhaltspunkte auf einen politischen Hintergrund fehlen aber. Nur warum kopieren suizidgefährdete Personen terroristische Anschläge, um sich selbst und anderen das Leben zu nehmen? Die beiden Experten Hans Wedler und Manfred Wolfersdorf haben sich dieses Themas angenommen. Im Gespräch mit unserer Zeitung erklären die Herausgeber des Buches „Terroristen-Suizide und Amok“, was hinter der Tat stecken könnte. „Terror ist eine Form von moderner Kriegsführung. Amok ist dagegen schon viel älter“, sagt Wolfersdorf. Ähnlich wie die Terroris- ten, die immer neue Wege finden, so viele Menschen wie möglich zu töten, würden auch Amokläufer auf andere Mittel – wie etwa Autos oder Lastwagen – zurückgreifen. Ein erweiterter Suizid beinhalte ein hohes Ausmaß an Hass und Rachegefühlen. Vor allem erwachsene Täter haben häufig eine paranoide Erkrankung oder fühlen sich vereinsamt.
Das sieht auch Wedler so: „Solche Selbstmorde haben oft eine aggressive Komponente gegen andere, der Täter möchte nicht nur sich selbst bestrafen.“Im Falle des 48-jährigen Todesfahrers von Münster handle es sich um einen Menschen mit einer psychischen Vorerkrankung, der bereits in der Vergangenheit wegen kleinerer Straftaten auffällig gewesen sei. Das bestätigten auch die Ermittler. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung am Montagabend seien unter anderem ein über einen Balken gelegtes Hanfseil mit Henkersknoten sowie mehrere Behälter mit Benzin gefunden worden. Auch der Vater des Amokfahrers bestätigte die psychischen Probleme. Sein Sohn sei vor zweieinhalb Jahren am Rücken operiert worden. Die OP habe drastische gesundheitliche Folgen gehabt. „Er konnte nicht mehr arbeiten. Da hat er sehr drunter gelitten.“Der 79-Jährige sagte, sein Sohn sei in psychiatrischer Behandlung gewesen. Aber: „Er ist nicht oder falsch behandelt worden. Vielleicht hat er Medikamente bekommen, die die falschen Nebenwirkungen hatten.“
Dass die Amokfahrt an einen terroristischen Anschlag erinnert, kann aus Sicht der Experten etwas mit Nachahmung zu tun haben. „Der Täter möchte die gleiche Aufmerksamkeit erreichen wie die Terroristen“, sagt Wedler, Herausgeber der Zeitschrift Suizidprophylaxe. Er könne sich vorstellen, dass es weitere Nachahmer geben werde. „Die Entwicklung ist sehr bedenklich.“
Der Unterschied zwischen Amokläufern und Terroristen ist für den Experten folgender: „Die einen wollen aus möglichen religiösen Weltanschauungen so viele Menschen wie möglich töten, die Amokläufer wol- len so viele Menschen wie möglich für ihr schlechtes Leben bestrafen und töten.“Die Politik diskutiert nun, wie man Täter, die mit Fahrzeugen morden wollen, aufhalten kann. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sagte der Bild-Zeitung, dass Poller in Münster hätten helfen können. Sein Parteifreund Volker Ullrich, innenpolitischer Sprecher der CSU-Landesgruppe im Bundestag, sieht das anders. Durch Poller könne „nicht jeder Anfahrtswinkel“völlig blockiert werden, sagte der Abgeordnete aus Augsburg.
Was können Suizidgefährdete tun, wenn sie sich helfen lassen wollen? „Es gibt Präventionsstellen oder auch Hotlines“, sagt Wedler. Die Telefonseelsorge Deutschland ist kostenfrei unter 0800/1110-111 und -222 erreichbar. Dort bekomme man schnell Hilfe. Wolfersdorf sieht auch Angehörige und Freunde in der Pflicht: „Wenn ich aus meinem Umfeld etwas höre über Pläne für einen erweiterten Suizid, ist es am besten, sofort die Polizei und Staatsanwaltschaft einzuschalten.“