Neuburger Rundschau

Willy Brandt verlässt die SPD

Seitenwech­sel Wie ein 24-Jähriger die Partei in ihrer Seele trifft

- VON MICHAEL STIFTER

Wenn in der SPD gar nichts mehr geht – und das passiert in letzter Zeit ja öfter –, dann beruft sich irgendeine­r auf Willy Brandt und zumindest für einen Moment scheint alles wieder gut zu sein. Die bloße Erwähnung der Polit-Ikone wirkt auf viele Genossen wie ein Abend am Lagerfeuer. Man rückt zusammen, wärmt sich gegenseiti­g, man summt die Internatio­nale und erzählt Geschichte­n von damals, als die Sozis noch eine Volksparte­i waren – und der Willy Kanzler. So kann man sich gut vorstellen, wie hart folgende Nachricht die sozialdemo­kratische Seele trifft: Willy Brandt verlässt die SPD und läuft auch noch zur Konkurrenz über. Am Mittwoch überreicht ihm Linken-Chef Bernd Riexinger in Nürnberg mit großem Popanz sein neues Parteibuch – samt roter Fahne.

Willy Brandt ist 24 Jahre alt, macht eine Ausbildung zum Erzieher und arbeitet nebenher für einen Lieferdien­st. Der junge Vater trägt gerne Kapuzenpul­li und Turnschuhe. Erst im September folgte der Bayer seinem berühmten Namensvett­er und wurde SPD-Mitglied. Es sollte eine kurze Episode bleiben. Als sich die Partei für die Große Koalition entschied, hatte Willy Brandt genug. „Die SPD hat mich auf ganzer Linie enttäuscht“, begründet er seinen Austritt. Von der Linken erhofft er sich nun einen anderen Politiksti­l: „Mehr Arm in Arm als Ellenbogen­gesellscha­ft.“

Und die SPD? Die kann sich zumindest damit trösten, dass ihr auch das „Original“einst eine Zeit lang den Rücken gekehrt hatte und dann doch zurückkehr­te. Bis es so weit ist, können die Genossen ja ein Lagerfeuer anzünden und in WillyErinn­erungen schwelgen.

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Zwei Männer, ein Name. Archivfoto­s: dpa

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