Fiasko an der Volksbühne
Intendant Dercon ist zurückgetreten
Berlin War schon die Berufung des einstigen Berliner Kultur-Staatssekretärs Tim Renner – als Seiteneinsteiger aus der Pop-Musikwirtschaft – umstritten, so erst recht dessen Entscheidung 2015, den belgischen Ausstellungsmacher Chris Dercon (Haus der Kunst/München, Tate Modern/London) zum Volksbühnen-Intendanten zu ernennen. Seitdem loderte in Berlin ein Kulturkampf mit mehreren Frontlinien, dessen letztes Opfer Dercon nun selbst ist: Sieben Monate nach seinem Start hat der VolksbühnenChef das Handtuch geschmissen. Mit Kultursenator Klaus Lederer, der in der Causa eine biegsame Rolle spielte, vereinbarte er: „Beide Parteien sind übereingekommen, dass das Konzept von Chris Dercon nicht wie erhofft aufgegangen ist und die Volksbühne umgehend einen Neuanfang braucht.“
Ja, das Konzept. Es sorgte für Gräben kreuz und quer durch Berlin – und lässt am Rande auch an die Fronten um die umstrittene Ausrichtung der Münchner Kammerspiele denken: Hier die rigiden Anhänger des Altintendanten (Frank Castorf, 1992 – 2017); dort die Progressiven, die dessen Erfolgsmodell am gleichsam biologischen Ende angekommen sahen. Hier die Anhänger eines Repertoire- und Ensembletheaters (unter welchem Chef auch immer), dort die Fürsprecher eines offeneren Theaterbegriffs mit Gastspielen, internationalen Kooperationen, Verschränkungen von Kunstgattungen. Hier die risikofrohe Meinung, dass nur eine Figur von außen das Theater über seinen eigenen Tellerrand wird blicken lassen können, dort jene nachvollziehbare Skepsis, die den Museumsmann Dercon als riskante Fehlbesetzung fürchtete – wie zuvor Tim Renner als Staatssekretär. Zumal dann der künstlerische Ertrag, der teils unter dem Störfeuer einer Volksbühnenbesetzung im vergangenen September erarbeitet werden musste, bei sinkenden Zuschauerzahlen und finanziellen Problemen eher durchschnittlich ausfiel.
Nun also die Reißleine – oder der verbrämte Rauswurf. Neue Verletzungen, neue Unsicherheiten für die Volksbühne, weitere Richtungskämpfe dürften folgen: Altintendant Claus Peymann (Berliner Ensemble) trompetete gestern: „Die erwartete Katastrophe ist also eingetreten.“Und er machte – alles andere als abwegig – die Politik verantwortlich. Die Volksbühne selbst steht mit durchlöcherter Mannschaft da. Und wer künftig Intendant wird, weil er gerade frei ist und über integrative Kräfte verfügt, steht in den Sternen.
Kultursenator Lederer indessen, der weiß Gott nicht immer hinter Dercon stand, vergoss gestern Krokodilstränen: die Angriffe gegen Dercon in der Vergangenheit seien inakzeptabel gewesen.