Besser das Original
Ministerpräsident Söder möchte Förderklassen für Migrantenkinder einführen. In Neuburg gibt es seit 2011 die Sprachintensivklasse. Der Freistaat ignoriert das Modell geflissentlich
Neuburg Schrobenhausen Ministerpräsident Markus Söder, gerade einen Monat im Amt, bemüht sich, angesichts der Landtagswahl im Oktober in möglichst viele Bereichen Akzente zu setzen. Auch die Bildungspolitik steht im Fokus, Söder hat einen separaten Sprach- und Werteunterricht für Kinder und Jugendliche aus Zuwandererfamilien angekündigt. Migrantenkinder sollen erst im Regelunterricht lernen, wenn sie die deutsche Sprache beherrschen und die kulturellen Gepflogenheiten kennen. Dafür erntete er heftigen Widerspruch. Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrerund Lehrerinnenverband (BLLV), befürchtet die Einführung von „Abschiebeklassen“und kritisierte Söders Rhetorik als „politisch motivierten“Kampfbegriff. Alles Wahlkampfgetöse? Möglicherweise, denn längst existiert ein vom Kultusministerium sogar mehrfach gewürdigtes Praxisbeispiel. Seit mittlerweile sieben Jahren gibt es im Landkreis die Sprachintensivklassen (SIK), das sogenannte Neuburger Modell.
„Wenn Markus Söder gesagt hätte, wir haben schon Standorte, etwa in Neuburg, dann hätte er sich derartige ideologische Gegenreaktionen erspart“, glaubt Landrat Roland Weigert. 2011 eingeführt, hat sich die SIK an der Grund- und Mittelschule im Englischen Garten zum gemausert. Insgesamt wurden bis 2016/17 257 Schüler unterrichtet, 238 konnten in eine Regelklasse übertreten. Im laufenden Schuljahr werden nach Angaben des Landratsamtes 58 Schüler in insgesamt drei Übungsklassen beschult – 19 davon in den Jahrgangsstufen 1 bis 4, 25 in 5 bis 9 und 15 im Projekt II –, 33 der Kinder und Jugendlichen besuchen die Ganztagsschule. Der Erfolg spricht für sich, 2016/17 wurden an Übertritten dokumentiert: 37 in eine Regelklasse, davon elf mit sehr guten und zwölf mit guten Leistungen im Test; fünf Schüler haben den QA bestanden, zwei die M-Zug-Aufnahmeprüfung und besuchen jetzt die M10; zwei aus dem Schuljahr 2015/16 haben die Mittlere Reife nach der M10 bestanden.
Von „Abschiebeklassen“könne beim Neuburger Modell also kaum die Rede sein, hält Landrat Weigert eine ideologisch gefärbte Diskussion in Sachen Bildungspolitik für verfehlt. Es sei vielmehr eine Tatsache, dass intellektuelle Grenzen an den Grenzen der Sprache verliefen. „Ein zentrales Thema für Integration ist deshalb, Menschen und vor allem Jugendliche, die zu uns kommen, möglichst schnell in die Lage zu versetzen, sich ein Leben als profunder Steuerzahler aufzubauen und nicht ein Dasein als Sozialhilfeempfänger fristen zu müssen. Das funktioniert aber nur über Ausbildung und der Schlüssel dafür ist die Sprachkompetenz.“Dabei nütze es nichts, die Kinder sofort in Regelklassen zu setzen. Die SIK bringe schwerpunktmäßig Sprache bei, die Mütterbegleitung ergänze das Angebot. Wir haRenner ben in Neuburg diese Erfahrung, weil wir die Gemeinschaftsunterkunft schon lange vor der Flüchtlingswelle hatten“, erklärt Weigert und untermauert seine Argumentation mit den Erfolgsgeschichten einiger SIK-Abgänger. So gelang immerhin zwei Schüler der Übertritt ans Gymnasium, acht gingen auf die Realschule, elf auf die Wirtschaftsschule und acht an die M10, die zur Mittleren Reife führt. Und auch die Eltern der Kinder profitieren. Insgesamt besuchten in sechs Jahren 119 Personen die Begleitkurse, 46 davon haben den Integrations-, 73 den Sprachkurs besucht.
Was sich der Landkreischef in der nun von oberster Stelle angestoßenen Diskussion wünschen würde, wäre eine finanzielle Würdigung des Neuburger Modells. 2017 hat der Landkreis 70000 Euro investiert. „Ich habe das in München angemahnt und vor einigen Jahren auch beim Kultusstaatssekretär darum gebettelt und bin trotzdem auf den Kosten sitzengeblieben. Dabei sollte das, was gut ist, auch belohnt werden.“Wenn der Freistaat das anerkennen und eine gute Sache unterstützen würde, würde er die Kosten übernehmen, findet Weigert.
Zur Sprachintensivklasse steht der Landrat trotzdem, „weil das Modell gut ist und wir diesen Weg gewählt haben, Kinder möglichst schnell ins Bildungssystem zu bringen.“