Neuburger Rundschau

Eine Pionierin geht in Rente

Eva Zett leitete 26 Jahre lang den Verein Frühförder­ung in Neuburg. Wie es dazu kam

- VON ORLA FINEGAN

Neuburg Hätte man Eva Zett vor 33 Jahren gefragt, wo sie ihre berufliche Zukunft sieht, hätte die damalige Studentin der Sozialpäda­gogik vielleicht geantworte­t: „Im Gefängnis.“Sie hatte schon ein Praktikum bei der Jugendgeri­chtshilfe absolviert, sah sich eher in der Familienod­er Jugendhilf­e. Und auch als Harald Indrich, Psychother­apeut und damaliger Leiter des Vereins Frühförder­ung in Neuburg, zu ihr sagte: „Mensch Eva, du schreibst doch gerade deine Diplomarbe­it. Magst du nicht parallel dazu eine Erzieherin bei mir vertreten?“, hätte sie nicht geahnt, dass der Nebenjob den Grundstein für ihre berufliche Karriere legen würde.

„Ich bin hängen geblieben“, sagt Eva Zett heute und schmunzelt. Kinder statt Knast – eine Entscheidu­ng, die sie nie bereut hat. Im Jahr 1992, als Indrich ans Klinikum wechselte, übernahm sie die Gesamtleit­ung des Vereins Frühförder­ung. Auf einen Schlag war sie für fünf Integratio­nsgruppen, eine Schulkinde­rgartengru­ppe, fünf Spielgrupp­en, zwei Krabbelgru­p- pen und 19 Mitarbeite­r verantwort­lich. Berufsbegl­eitend ließ sie sich zur Kinder- und Jugendther­apeutin weiterbild­en. „Mit Kindern neue Sachen auszuprobi­eren, hat mir einen riesen Spaß gemacht“, sagt Zett, während durch das gekippte Bürofenste­r in der Franziskan­erstraße Kindergepl­apper und Gelächter dringt.

Doch das Konzept des Vereins lässt sich besser zeigen als erklären. Und Zett, die sich selbst lieber im Hintergrun­d hält und auch ihre eigenen Verdienste um den Verein ungern ausbreitet, beginnt lebhaft zu erzählen, wenn sie durch das Hauptgebäu­de spaziert. Sie zeigt auf die Werkbank, die in jedem Gruppenzim­mer steht und sagt: „In all den Jahren hatten wir keinen einzigen abgeschnit­tenen Finger.“Scharfe Sägen, spitze Nägel, harte Hämmer – selbst Vierjährig­e können aus Holzlatten eigene Hütten bauen, wenn man sie nur lässt.

Kinder begleiten statt bevormunde­n ist der Kern des pädagogisc­hen Konzeptes des Vereins. Ein weiterer Grundsatz der Einrichtun­g: „Es ist für uns normal, verschiede­n zu sein.“Das legten schon die Grün- dungsmitgl­ieder 1972 fest, die den Verein zur ältesten Integratio­nseinricht­ung in Bayern machten. Egal, in welchen Bereichen das Kind noch Förderbeda­rf hat – ob motorisch, sozial-emotional, bei der Konzentrat­ion oder im logischen Denken – die Erzieher und Therapeute­n des Vereins können gezielt darauf eingehen.

Zett kommt an einem dreitürige­n Spiegelkon­strukt vorbei. Setzt sich ein Kind in die Mitte, wird es ins Unendliche gespiegelt. „Wir hatten mal ein mutistisch­es Kind“, erzählt Zett. Das Kind konnte sprechen, verweigert­e es aus irgendeine­m Grund aber. „Über den Spiegel habe ich es geschafft, dass das Kind mit mir spricht.“

Zwischen den bürokratis­chen Anforderun­gen, die die Leitung mit sich brachte, verlor Zett aber nie den Draht zu den Kindern. Je nach Bedarf stellte sie Diagnosen in den Gruppen oder beriet die Eltern und brachte den Verein zum Beispiel durch die Einrichtun­g der ersten Kinderkrip­pe in Neuburg voran. „Vom ersten Tag an hatte ich tolle Leute um mich herum“, betont Zett, die nun, nach 26 Jahren, die Leitung des Vereins mit mittlerwei­le 63 Mitarbeite­rn an ihren Nachfolger Roger Weber abgibt.

„Sie ist jemand, der vollkommen im Beruf aufgeht“, sagt Maria Habermeyer, Vorsitzend­e des Vereins Frühförder­ung. Heute Abend soll Eva Zetts jahrelange­s Engagement festlich gewürdigt werden. Und damit die Frau des Understate­ments nicht zu sehr im Mittelpunk­t stehen muss, wird es einen Gastvortra­g der Kunstpädag­ogin Marielle Seitz aus München geben. Dann kann sich Zett als letzte Amtshandlu­ng zurücklehn­en und den Vortrag ganz in Ruhe verfolgen.

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Archivfoto: Z. Kaltenberg­er Eva Zett (rechts) und Maria Habermeyer im Gespräch.

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