„Ohne Mann hätte ich keine Perspektiven gehabt“
Wie blicken unsere Großeltern auf ihre Jugend zurück, wie auf die heutige Zeit? K!ar.Text hat nachgefragt
Neuburg Wenn ich sie ansehe, denke ich an meine Kindheit. Das Gesicht meiner Großmutter ist mir so vertraut, dass ich das Gefühl habe, sie schon immer zu kennen. Doch wie war das Leben dieser Frau, die ich mit stundenlangem Puzzle-Bauen und Gute-Nacht-Liedern in Verbindung bringe, als sie noch jung war? Hatte sie ein zufriedenes Leben oder würde sie einige Dinge ändern, wenn sie noch einmal jung wäre? Es ist Zeit für mich, nach den Geschichten zu suchen, die hinter den zahlreichen Falten stecken, die heute ihr Gesicht schmücken.
Meine Oma heißt Gertraud Ostermeier, aber alle nennen sie nur Traudi. In der ganzen Familie ist sie für ihre ruhige Art und ihr weiches Herz bekannt. Als ich sie nach ihrer Vergangenheit frage, verschwindet das sanfte Lächeln aus ihrem Gesicht. Ja, sie würde einiges anders machen, sagt sie mir mit Wehmut in der Stimme. Auf jeden Fall viel später heiraten und Kinder bekommen. „Ich war so jung, als ich Mutter wurde. Es hat alles verändert und leider nicht zum Guten“, erzählt mir meine Großmutter. Als sie schwanger wurde, musste sie heiraten. Etwas anderes sei zu der damaligen Zeit undenkbar gewesen.
Doch mit dem Vater ihrer Kinder wurde sie nicht glücklich, er behandelte sie schlecht. „Jetzt hätte ich die Wahl, meine Kinder alleine zu erziehen und wäre auf keinen Mann angewiesen“, sagt Traudi.
Sie ist überzeugt, dass junge Menschen heute viel mehr Freiheiten genießen und es bessere Unterstützung für alleinerziehende Mütter gibt. Sie war in einer Zeit jung, als man unverheiratete Frauen mit Kindern nicht akzeptieren wollte. „Ohne Mann hätte ich keine Perspektive gehabt, wäre von niemandem ernst genommen worden“, berichtet meine Oma von der damaligen Zeit.
Die Entscheidung, Kinder zu bekommen, hat sie trotzdem nicht bereut. „Aus meinen Kindern ziehe ich meine ganze Kraft. Mein ganzer Stolz sind jedoch meine Enkelkinder. Seit sie auf der Welt sind, habe ich Glück in meinem Leben gefunden.“ Bis auf die Entscheidung, Kinder zu bekommen, hätte sie gerne alles anders gemacht. „Meine Eltern haben mir verboten, lange zur Schule zu gehen“, erzählt meine Großmutter weiter. „Dass ich überhaupt auf die Realschule konnte, musste ich mit einer Lüge erschwindeln. Aber glaub mir, das würde ich immer wieder so machen.“
Nach der Schule hätte sie gerne studiert, wäre auf Reisen gegangen, hätte in einer Großstadt gelebt. „Ich wollte so viel sehen und wissen, leider durfte ich mir diese Träume nicht erfüllen“, sagt Traudi leise. „Ich glaube, als ich jung war, war ich ein Großstadtmensch“, sagt meine Oma und lacht. „Das pulsierende Leben dort hat mich immer fasziniert. Und man kann dort so viel machen. Ich wäre oft ins Kino gegangen oder ins Theater.“Ihr Blick schweift in die Ferne und ich merke, wie sie sich ein anderes Leben vorstellt. Ein Leben, in dem es Freiheit für ihre eigenen Wünsche gegeben hätte. „Meine Kinder liebe ich über alles, aber ich wünschte, ich hätte auch ich selbst sein dürfen“, betont meine Großmutter. Beruflich ist sie Buchhändlerin geworden. Auch wenn sie ihren Lehrbetrieb nicht mochte, konnte sie zumindest hier eine ihrer großen Leidenschaften ausleben: das Lesen. Viele Jahre arbeitete sie in der Bibliothek in Ingolstadt. „Die Arbeit dort war schön. Es war mir immer wichtig, zu arbeiten, das würde ich wieder genauso machen“, sagt Traudi und nickt bestätigend mit dem Kopf. Arbeit sei so wichtig, um finanziell unabhängig zu sein – etwas, was sie nach der Scheidung von ihrem Mann unbedingt werden wollte. Generell sei es die Unabhängigkeit, ist Traudi überzeugt, die vor allem junge Frauen heute haben. Das unterscheide die damalige Zeit von der jetzigen.
Zum Schluss frage ich meine Oma, worauf in ihrem Leben sie besonders stolz sei. Sie denkt kurz nach und sagt: „Am meisten bin ich stolz, dass ich meine Kinder trotz all der Schwierigkeiten gut erzogen habe und ihnen viel Liebe geben konnte. Die Fehler meiner eigenen Eltern, die streng und kalt zu mir waren, habe ich nicht wiederholt.“