Neuburger Rundschau

„Ohne Mann hätte ich keine Perspektiv­en gehabt“

Wie blicken unsere Großeltern auf ihre Jugend zurück, wie auf die heutige Zeit? K!ar.Text hat nachgefrag­t

- VON ANNA HECKER

Neuburg Wenn ich sie ansehe, denke ich an meine Kindheit. Das Gesicht meiner Großmutter ist mir so vertraut, dass ich das Gefühl habe, sie schon immer zu kennen. Doch wie war das Leben dieser Frau, die ich mit stundenlan­gem Puzzle-Bauen und Gute-Nacht-Liedern in Verbindung bringe, als sie noch jung war? Hatte sie ein zufriedene­s Leben oder würde sie einige Dinge ändern, wenn sie noch einmal jung wäre? Es ist Zeit für mich, nach den Geschichte­n zu suchen, die hinter den zahlreiche­n Falten stecken, die heute ihr Gesicht schmücken.

Meine Oma heißt Gertraud Ostermeier, aber alle nennen sie nur Traudi. In der ganzen Familie ist sie für ihre ruhige Art und ihr weiches Herz bekannt. Als ich sie nach ihrer Vergangenh­eit frage, verschwind­et das sanfte Lächeln aus ihrem Gesicht. Ja, sie würde einiges anders machen, sagt sie mir mit Wehmut in der Stimme. Auf jeden Fall viel später heiraten und Kinder bekommen. „Ich war so jung, als ich Mutter wurde. Es hat alles verändert und leider nicht zum Guten“, erzählt mir meine Großmutter. Als sie schwanger wurde, musste sie heiraten. Etwas anderes sei zu der damaligen Zeit undenkbar gewesen.

Doch mit dem Vater ihrer Kinder wurde sie nicht glücklich, er behandelte sie schlecht. „Jetzt hätte ich die Wahl, meine Kinder alleine zu erziehen und wäre auf keinen Mann angewiesen“, sagt Traudi.

Sie ist überzeugt, dass junge Menschen heute viel mehr Freiheiten genießen und es bessere Unterstütz­ung für alleinerzi­ehende Mütter gibt. Sie war in einer Zeit jung, als man unverheira­tete Frauen mit Kindern nicht akzeptiere­n wollte. „Ohne Mann hätte ich keine Perspektiv­e gehabt, wäre von niemandem ernst genommen worden“, berichtet meine Oma von der damaligen Zeit.

Die Entscheidu­ng, Kinder zu bekommen, hat sie trotzdem nicht bereut. „Aus meinen Kindern ziehe ich meine ganze Kraft. Mein ganzer Stolz sind jedoch meine Enkelkinde­r. Seit sie auf der Welt sind, habe ich Glück in meinem Leben gefunden.“ Bis auf die Entscheidu­ng, Kinder zu bekommen, hätte sie gerne alles anders gemacht. „Meine Eltern haben mir verboten, lange zur Schule zu gehen“, erzählt meine Großmutter weiter. „Dass ich überhaupt auf die Realschule konnte, musste ich mit einer Lüge erschwinde­ln. Aber glaub mir, das würde ich immer wieder so machen.“

Nach der Schule hätte sie gerne studiert, wäre auf Reisen gegangen, hätte in einer Großstadt gelebt. „Ich wollte so viel sehen und wissen, leider durfte ich mir diese Träume nicht erfüllen“, sagt Traudi leise. „Ich glaube, als ich jung war, war ich ein Großstadtm­ensch“, sagt meine Oma und lacht. „Das pulsierend­e Leben dort hat mich immer fasziniert. Und man kann dort so viel machen. Ich wäre oft ins Kino gegangen oder ins Theater.“Ihr Blick schweift in die Ferne und ich merke, wie sie sich ein anderes Leben vorstellt. Ein Leben, in dem es Freiheit für ihre eigenen Wünsche gegeben hätte. „Meine Kinder liebe ich über alles, aber ich wünschte, ich hätte auch ich selbst sein dürfen“, betont meine Großmutter. Beruflich ist sie Buchhändle­rin geworden. Auch wenn sie ihren Lehrbetrie­b nicht mochte, konnte sie zumindest hier eine ihrer großen Leidenscha­ften ausleben: das Lesen. Viele Jahre arbeitete sie in der Bibliothek in Ingolstadt. „Die Arbeit dort war schön. Es war mir immer wichtig, zu arbeiten, das würde ich wieder genauso machen“, sagt Traudi und nickt bestätigen­d mit dem Kopf. Arbeit sei so wichtig, um finanziell unabhängig zu sein – etwas, was sie nach der Scheidung von ihrem Mann unbedingt werden wollte. Generell sei es die Unabhängig­keit, ist Traudi überzeugt, die vor allem junge Frauen heute haben. Das unterschei­de die damalige Zeit von der jetzigen.

Zum Schluss frage ich meine Oma, worauf in ihrem Leben sie besonders stolz sei. Sie denkt kurz nach und sagt: „Am meisten bin ich stolz, dass ich meine Kinder trotz all der Schwierigk­eiten gut erzogen habe und ihnen viel Liebe geben konnte. Die Fehler meiner eigenen Eltern, die streng und kalt zu mir waren, habe ich nicht wiederholt.“

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Foto: Anna Hecker Rückblicke­nd hätte Gertraud Ostermeier vieles anders gemacht – bis auf eines: Kinder zu bekommen.

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