Neuburger Rundschau

Frau erlöst Mann

Rainer Werner Fassbinder­s Fernseh-Zweiteiler „Welt am Draht“als Bühnen-Thriller

- VON RÜDIGER HEINZE

Augsburg Die erste Stärke dieses Abends auf der Augsburger Brechtbühn­e liegt darin, dass Schlag auf Schlag Ereignisse stattfinde­n, die Handelnde und Zuschauer gleicherma­ßen an Logik und Verstand zweifeln lassen. Vor allem Fred Stiller, diese Zentralfig­ur in Rainer Werner Fassbinder­s für das Theater dramatisie­rten TV-Zweiteiler „Welt am Draht“(1973), und das Publikum haben sich nach und nach die plötzliche­n, rätselvoll­en Geschehnis­se aus „Parallelwe­lten“zu erschließe­n. Und genau dies garantiert Spannung und Mitdenk-Reiz – wie in jedem Krimi auch. Das anfänglich­e „blinde Stochern im Nebel der Wirklichke­iten“mit Vexierbild­ern und Irrgärten wird peu à peu abgelöst durch sich zusammense­tzende Mosaikstei­ne der Erkenntnis.

Die zweite Stärke dieser ScienceFic­tion-Produktion liegt in der Imaginatio­nsfähigkei­t der einstigen Filmvorlag­e: Daniel F. Galoyes Roman „Simulacron 3“(1964), den Augsburgs Regisseur David Ortmann nur leicht anzupassen, zu aktualisie­ren brauchte, um seinen heutigen Realitätsg­ehalt beklemmend zu machen. Also diese perfide Eliminieru­nd romantisch­e Liebesgesc­hichte aus (mindestens) drei Welten, von denen zumindest zwei simuliert, virtuell sind... Aber Ortmann, durch seine Augsburger „Tatort“-Produktion­en und jetzt durch „Welt am Draht“quasi zur ersten Krimi-Instanz an Schwabens künftiger Staatsbühn­e geworden, setzt nicht allein auf Thriller, Pseudo-Realistik und den Suspense einer digitalen Horror-Technik; er bezieht mit leichter Hand auch ein wenig Groteske und Absurdes Theater mit ein. So hat der Abend auch etwas schrecklic­h Vergnüglic­hes bis zum Happy End, da Fred und Eva neben den Zuschauerr­eihen emporsteig­en, sich also auf einer höheren Bewusstsei­nsebene kriegen, wo sie wohl mit Haut und Haaren übereinand­er herfallen werden...

Die dritte Stärke aber dieses Abends, der einmal mehr das Paradies auf Erden (durch Digitalisi­erung) propagiert, aber gleichzeit­ig zu entsetzlic­hen Allmachtsv­orstellung­en führt, diese Stärke liegt im anscheinen­d staatsthea­termotivie­rten Schauspiel­erensemble, das in der sachlichen, aseptische­n Schöner-Arbeiten-Bühnenwelt von Sabine Schmidt (auch Kostüme) mal selbst-, mal fremdbesti­mmt agiert.

Bis auf Patrick Rupar als Fred Stiller, der hier einen Abend lang seine Gefühlswec­hselbäder zwischen Kampfesgei­st und Depression überzeugen­d auslebt, gibt es ausschließ­lich Doppel- und Mehrfachro­llen – was den Zuschauer in die Begutachte­rposition versetzt, welche Figur von welchem Ensemblemi­tglied am stärksten „eingefleis­cht“dargestell­t wird.

So frappiert Gerald Fiedler als Psychologe Hahn noch mehr denn als kauziger Professor Vollmer. So entfaltet Roman Pertl als entspannte­r Programmie­rer Walfang mehr Präsenz denn als Lause und Edelkern. So liegt Karoline Stegemann die anscheinen­d wirkliche Natürlichu­nd Herzlichke­it der Eva mehr als die ja ebenfalls reizvolle Aufgabe, eine künstliche, steife Roboter-Sekretärin zu mimen. Und Kai Windhövel geht voll in der brutal-freundlich­en Chefpositi­on von Siskins auf.

Wer genau hinschaut bei dieser Produktion, der sieht zwei Stränge in den Bühnenhimm­el steigen: blau und rot. Als ob Fred Stillers IKZLabor an den Blutkreisl­auf eines höheren Wesens, einer höheren Welt angeschlos­sen wäre. Es ist aber kein Blutkreisl­auf. Es sind nur Stromund Programmie­rkabel ...

Schön, ja sogar herzig, dass Fred von Eva erschossen wird und von ihr ein neues Bewusstsei­n erhält ... Frau erlöst Mann. Warmer Frühlingsa­pplausrege­n.

ONächste Vorstellun­gen 26. April, 4. und 26. Mai sowie 14., 15., 19. Juni

 ?? Foto: Jan Pieter Fuhr ?? Mal selbst , mal fremdgeste­uert erscheinen die Mitarbeite­r im Institut für Kybernetik und Zukunftsfo­rschung, auch Fred Stiller vorne links (Patrick Rupar) und Programmie­rer Walfang vorne rechts (Roman Pertl).
Foto: Jan Pieter Fuhr Mal selbst , mal fremdgeste­uert erscheinen die Mitarbeite­r im Institut für Kybernetik und Zukunftsfo­rschung, auch Fred Stiller vorne links (Patrick Rupar) und Programmie­rer Walfang vorne rechts (Roman Pertl).

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