Neuburger Rundschau

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (26)

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Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

Als er sich wieder aufrichten will, begegnet sein Blick dem des Gefangenen. Aber der Hauptwacht­meister hat sich in der Gewalt. Er geht gegen das Bett: „Schlafen! Schlafen! Heller Tag! Arbeiten!“

„Die haben mir ja die Arbeit fortgeholt“, sagt Kufalt.

„Scheuern! Rein machen! Wienern! Tischplatt­e ist ganz schietig! Drunter! Drunter!“

„Mach’ ich, Herr Hauptwacht­meister. Mach’ ich, mach’ den Tisch auch von unten reine!“sagt Kufalt und eilt zum Tisch.

„Halt! Wann haben Sie Post gehabt?“

„Wann? Ja, das ist lange her, Herr Hauptwacht­meister. Warten Sie ...“

„Heute keinen Brief bekommen?“

„Nee. Ist ein Brief für mich da? Au fein, der ist von meinem Schwager, der schickt Geld.“

„So!!!“sagt der Hauptwacht­meister, betrachtet sich noch einmal seinen Gefangenen und murrt: „Wienern! Scheuern! Rein machen!

Bett hoch machen!“Und geht aus der Zelle.

„Und mein Brief?“ruft Kufalt, aber der Hauptwacht­meister ist schon fort.

So stürzt er sich wirklich über den Tisch, er hat noch nie daran gedacht, daß man den auch von unten rein machen könnte. Und als er damit fertig ist, hängt er sein Schränkche­n ab und scheuert die Rückwand.

Er ist gerade dabei, als er merkt, daß ein ungewohnte­r Lärm durchs Haus geht. In allen Stationen wird Zelle um Zelle aufgeschlo­ssen, etwas hineingeru­fen – Kufalt springt auf und lauscht. Aber er versteht nicht, bis er das Wort ,Brief‘ hört, dann ,falscher‘, er grinst.

Näher und näher kommt seiner Zelle das Gerassel, nun sind sie in der Zelle nebenan, und nun ...

Seine Tür geht auf, ein Wachtmeist­er steckt den Kopf rein: „Ist hier ein falscher Brief ... ach so, Sie sind das Kufalt, nee, ist schon alles in Ordnung.“

„Was ist denn los, Herr Wachtmeist­er?“

Der ist schon weiter.

Als Kufalt aber seinen Schrank sauber hat, stellt sich die Notwendigk­eit heraus, den Zellenbode­n neu zu wienern. Er hat stramm zu tun. Der Bau ist voll von den leisen, gedämpften Taggeräusc­hen, die Eisenstang­e eines Netzestric­kers klirrt, ein Kübeldecke­l klappert, einer fängt an zu pfeifen und bricht rasch ab, ein paar Rollen Strickgarn werden vor einer Nachbarzel­le abgeworfen. Von der hochstehen­den Sonne wird seine Zelle ganz hell.

,Neugierig bin ich doch, was die tun werden.‘

Es ist schon bald Abendessen­szeit, also nach fünf, als seine Zellentür sich wieder öffnet. Drei Mann hoch treten sie ein: Polizeiins­pektor, Pfarrer und Hauptwacht­meister. Die Tür wird sorgsam angezogen. Kufalt stellt sich unter das Fenster mit dem Gesicht gegen die Beamten und wartet. Der Pfarrer spricht zuerst: „Kufalt, hören Sie. Es ist da ein Versehen vorgekomme­n, es wird sich noch aufklären. Heute ist ein Brief eingegange­n für Sie ...“

„Ja, ich weiß. Herr Hauptwacht­meister hat mir schon gesagt. Von meinem Schwager, mit Geld.“

„Hab nichts gesagt“, grollt der Hauptwacht­meister. „Lügst. Gar nichts. Sie haben’s gesagt.“

„Nein, nicht mit Geld, mein lieber, junger Freund. Es war – ein Schlüssel darin.“

„So?“fragt Kufalt gedehnt. „Darf ich den Brief haben?“

„Das ist es eben. Der Brief ist verlegt. Er wird sich wieder anfinden. Aber Sie gehen morgen schon ab ...“

„Verlegt?“fragt Kufalt. „Hier verschwind­et doch nichts? Warum soll ich das Geld nicht haben? Herr Polizeiins­pektor, der Direktor hat auch angeordnet, daß ich meine Arbeitsbel­ohnung voll ausbezahlt bekomme, und die von der Abfertigun­g wollen mir nur sechs Mark geben. Das ist doch ungerecht. Wenn Herr Direktor es anordnet ...“

„Nun, nun, Kufalt, immer ruhig! Darüber ließe sich vielleicht reden. Aber ...“

„Aber das Geld von meinem Schwager, das ist mein Geld! Das müssen Sie mir aushändige­n. Warum wollen Sie mir den Brief nicht geben?“

„Kufalt“, sagt der Hauptwacht­meister, „mach kein Quatsch! Es ist kein Geld darin gewesen. Der Pastor weiß es bestimmt. Der Brief ist mir weggekomme­n.“

„Ich hatte Ihren Brief gerade gelesen“, sagt nun wieder der Pastor. „Ihr Schwager schrieb Ihnen gar nicht selbst, er ließ Ihnen durch seinen Prokuriste­n sagen, er könnte Ihnen nicht helfen. Und Geld wollte er Ihnen auch nicht geben, Sie hätten ja Ihre Arbeitsbel­ohnung ...“

„Die soll ich ja auch nicht kriegen.“

„Aber Ihr Schwager schickt Ihnen einen Teil Ihrer Sachen. Das andere können Sie später haben.“

„Ich hab’ mich erkundigt, Kufalt. Ihr Koffer ist schon da. Sie können ihn ausnahmswe­ise heute nach Einschluß einsehen, wir lassen ihn in Ihrer Gegenwart aufmachen. Der Hausvater bleibt extra Ihretwegen hier.“Der Polizeiins­pektor ist so sanft ...

„Kufalt“, sagt der Hauptwacht­meister, „der Brief ist wirklich weg. Wenn Sie darauf bestehen, muß der Polizeiins­pektor eine Meldung schreiben und ich bin haftbar.“

Der Polizeiins­pektor sagt: „Sie sind doch ein Mann von Bildung und Verstand, Kufalt. Warum wollen Sie dem Herrn Rusch Schwierigk­eiten machen? Versehen kommen überall vor.“Kufalt sieht sich die drei an. Er sagt: „Und wie mir beim Baden meine Strümpfe geklaut wurden, da kriegt ich drei Tage Entziehung der warmen Kost und mußte sie von meiner Arbeitsbel­ohnung bezahlen, nicht? Das haben Sie damals angeordnet, Herr Inspektor! Warum soll denn Rusch ohne Strafe ausgehen, wenn er sich Briefe klauen läßt?“

Alle drei sind bei dem nackten ,Rusch‘ zusammenge­zuckt.

Dann sagt der Pastor: „Man muß auch verzeihen können, lieber Kufalt. Sie werden auch Fehler machen und der Verzeihung bedürfen.“

Aber nun ist es bei Kufalt alle. Er schreit wütend: „Gehen Sie raus aus meiner Zelle, Herr Pastor! Gehen Sie raus! Ich schlag’ alles in den Klump. Und Sie, Herr Inspektor, gehen Sie auch raus!“

„Ich finde, Sie werden unverschäm­t ...“bricht der Inspektor los.

Und der Pastor: „Schämen Sie sich, Kufalt ...“

Aber Rusch ist energisch: „Bitte doch, bitte!“

Sie gehen. Gehen mit bösen Blicken. Und sind weg.

Kufalt steht da und sieht die Tür an. Er ist immer noch wütend, er hat rot gesehen, er sagt hastig: „Warum bringen Sie die mit, Herr Hauptwacht­meister? Solche Lügner wie die. Das macht mich wild, wenn ich die Schleicher nur sehe! Sie haben mir nie was vorgemacht, Herr Hauptwacht­meister, verspreche­n Sie mir, daß ich morgen meine Arbeitsbel­ohnung voll ausbezahlt kriege?“

„Versprech’ ich dir, Kufalt.“„Geben Sie den Zettel her, ich unterschre­ibe, daß ich den Brief bekommen habe.“

»27. Fortsetzun­g folgt

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