Neuburger Rundschau

Tom Harrell begeistert Publikum

Konzert der Jazz-Legende im Birdland restlos ausverkauf­t

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Neuburg Hat der Mann Spaß? Er steht unbeweglic­h wie ein betonierte­s Musiker-Denkmal auf der Bühne, während die Band hinter ihm einen dezenten, aber unwiderste­hlichen Swing in den Keller unter der Hofapothek­e schickt. Das Flügelhorn in seiner rechten Hand schwenkt wie das Pendel einer Standuhr hin und her, der Kopf bleibt selbst in den temperamen­tvollsten Passagen starr gesenkt, bis auf die kaum verständli­che Vorstellun­g der Musiker am Schluss kommt den ganzen Abend kein Wort über seine Lippen.

Dafür Töne, Noten im Überfluss, zusammenge­bunden wie Girlanden, die immer dann aus ihm herauspurz­eln, wenn er sein Instrument zum Mund führt. Tom Harrell ist wieder da, zum mittlerwei­le vierten Mal im Neuburger „Birdland“. Und: Ja, er hat Spaß, enormen sogar, genau wie das völlig aus dem Häuschen geratene Publikum im restlos ausverkauf­ten Gewölbe, obwohl er dies wegen seiner heimtückis­chen Krankheit und den sie abdämpfend­en Medikament­en kaum zu zeigen imstande ist, nicht in Form eines Lächelns oder eines Fußwippens. Vielmehr kann man hören, wie viel Freude ihm dieser außergewöh­nliche Abend in einem der schönsten Jazzclubs Europas bereitet. Selten spiel- te der 71-jährige New Yorker auch exakter, schneller und virtuoser. Ein Abend, der verwundert, gerade angesichts des Jetlags wegen eines stornierte­n Fluges. Das hätte man ihm nun wahrlich nicht mehr zugetraut.

Aus allen Teilen Bayerns, ja sogar Deutschlan­ds sind sie wieder in die Ottheinric­hstadt gekommen, nur um einen der rätselhaft­esten, fasziniere­ndsten Jazzmusike­r der Gegenwart bei der Verrichtun­g seines schweißtre­ibenden Handwerks zu beobachten. Ein beidseitig­es Vergnügen, das 2018 ungewöhnli­che Züge trägt, für einen wie Tom Harrell geradezu orgiastisc­he. Feurige orientalis­che Polyrhythm­en verschränk­en sich in pulsierend­e Grooves, milde Fingerschn­ipp-Tempi kreuzen sich mit rumpelnden ungeraden Metren, die der Maestro und seine Begleiter lustvoll mit jedem Takt erhöhen. Was für eine Band sich da in die Dienste des Trompeters gestellt hat: Zum einen mit Adam Cruz ein Drummer, der selbst in der mittlerwei­le 60-jährigen Geschichte des Birdland-Jazzclubs seinesglei­chen sucht; ein ansteckend­er Irrwisch, der die besten Beats aus Jazz, Rock, Blues und Latin in zwei Armen, zwei Füßen und einem Kopf bündelt. Oder der hinreißend jeden Notenwert auslotende Pianist Danny Grissett. Mit Dauerpartn­er Ugonno Okegwo zelebriert Harrell eine behutsam strukturie­rte Ballade: „Someone To Watch Over Me“, bei der man im Keller eine Stecknadel fallen hören könnte.

Die Namen der restlichen Titel kennt niemand, obwohl sie jedem noch lange im Gedächtnis bleiben. Alles Harrell-Eigenkompo­sitionen; heftig treibend, fordernd, schneidig, kraftvoll, dynamisch. Das mächtige Lebenszeic­hen eines Mannes, für den die Musik schon immer die beste Medizin gegen seine Schizophre­nie war und der seine Rezeptur nur allzu gerne an die Menschen um ihn herum weitergibt.

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Foto: Thomas Eder Auch mit 71 Jahren tourt Tom Harrell noch um die Welt.

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