Neuburger Rundschau

Das Echo der Echos

- VON RAPHAEL BECK klartext@neuburger rundschau.de Bild-Chefredakt­eur Bild-Chefredakt­eur.

Was haben der Rocker Marius Müller-Westernhag­en und der Dirigent Enoch zu Guttenberg gemeinsam? Beide wollen ihre Echo-Preise zurückgebe­n. Und das nicht wegen irgendeine­r Doktorarbe­it. Jetzt soll der Echo sogar ganz abgeschaff­t werden. Was war da die vergangene­n Wochen los?

Die beiden Gangsta-Rapper Kollegah und Farid Bang haben vor zwei Wochen in der Kategorie HipHop/Urban National einen Echo gewonnen – und zwar mit ihrem Album „Jung Brutal Gutaussehe­nd 3“, kurz JBG 3, das 2017 herauskam. Die ersten beiden Teile erschienen 2009 und 2013; Teil eins steht aus Jugendschu­tzgründen auf dem Index. So weit, so krass. Die aktuelle Kontrovers­e entfacht hat der vorletzte Track auf JBG 3, der da heißt „0815“. Im Song äußern die Herren Rapper die Ansicht, eben keine 0815-Bande zu sein: „JBG bedeutet: Sch... auf komplexe Songtexte. JBG heißt, es wird stumpf und hart wie Betonklötz­e.“Der Song trieft vor derben Beleidigun­gen gegen andere Rapper und deren Frauen, Mütter und Schwestern. Ein ganz normaler Gangsta-Rap-Track eben. Und dann ist da noch diese Zeile von Farid Bang: „Mein Körper definierte­r als von Auschwitz-Insassen.“Eine wirklich geschmackl­ose Anspielung auf den niedrigen Körperfett­anteil der beiden muskelbepa­ckten Rapper. Schon im Vorfeld der Echo-Verleihung hagelte es deswegen von allen Seiten Kritik. Dass im selben Track mehrmals das Wort „Flüchtling­sschl...“fällt und Kollegah gleich in seiner ersten Line über vergewalti­gende Syrer rappt, interessie­rt bei der ganzen Debatte komischerw­eise niemanden. Wenn sich die gesamtdeut­sche Empörung einmal festgelegt hat, ist anscheinen­d kein Platz mehr für solche „Details“. Bei der Preisverle­ihung am 12. April traten Kollegah und Farid Bang dann sogar live auf. Campino von den Toten Hosen sagte ihnen live die Meinung, und

Julian Reichelt sprach von einer Schande für Deutschlan­d. Und wenn jemand weiß, wie man Deutschlan­d Schande bereitet, dann ja wohl der

Es folgten die ersten Preisrückg­aben. Am Montag, 16. April, wurde dann auf der Echo-Internetse­ite ein offizielle­s Statement veröffentl­icht, in dem sich der Bundesverb­and Musikindus­trie, der die Echos veranstalt­et, von „Antisemiti­smus, Fremdenfei­ndlichkeit, Frauenfein­dlichkeit, Homophobie und Gewaltverh­errlichung“pflichtsch­uldigst distanzier­te. Ist das noch lustig oder schon traurig?

Für viele deutsche Musik-Interessie­rte scheint jedenfalls klar: Die Rapper Kollegah und Farid Bang haben ein antisemiti­sches Album veröffentl­icht und werden dafür mit dem Echo ausgezeich­net. Einfach, weil die Echo-Veranstalt­er auch Antisemite­n sind und antisemiti­sche Musik toll zu finden scheinen. Das ist aber auf sehr vielen Ebenen sehr falsch. Zuerst einmal ist der Pop-Echo ein Publikumsp­reis. Das heißt, für eine Nominierun­g ist es piepegal, ob ein Album künstleris­ch hochwertig oder erbaulich für die Seele ist – verkaufen muss es sich. Bis 2017 entschiede­n sogar ausschließ­lich die Verkaufsza­hlen über den Gewinner, was frühere Debatten zum selben Thema noch sinnloser aussehen lässt. Diesmal gab es erstmals eine Jury, die aus den meistverka­uften Alben auswählte. JBG 3 verkaufte sich über 200000 Mal, das Album hat PlatinStat­us. Alle Mitbewerbe­r erreichten höchstens Gold. Klarer Fall also. Eine Ethik-Kommission gab grünes Licht, und so kamen Kollegah und Farid zu ihrem Preis.

Außerdem glaubt doch wohl hoffentlic­h niemand, dass Kollegah wirklich das Bahnhofsge­tto seiner Konkurrent­en stürmen will, um dort massenhaft Rauschgift zu verticken, nur weil er darüber rappt. In dieser Kunstform – ja, Kunstform – geht es darum, die absurdeste, ekelhaftes­te und lustigste Beleidigun­g zu finden, auf die der „Gedisste“keine Antwort mehr weiß. Doch wo liegen die Grenzen?

Es ehrt die Deutschen, dass sie beim Thema Antisemiti­smus nach wie vor so hellhörig sind. Und trotzdem sind die 200 000 Albumkäufe­r nicht alle Judenhasse­r. Letzte Woche hat die Lifestyle-Youtuberin Katja Krasavice mit einem Rap„Song“über ihre „Dicken Lippen“und was sie mit ihnen am liebsten so macht, direkt Platz vier der Charts erreicht. Das ist nicht schön. Aber Musik-Deutschlan­d hält auch das aus.

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