Das Echo der Echos
Was haben der Rocker Marius Müller-Westernhagen und der Dirigent Enoch zu Guttenberg gemeinsam? Beide wollen ihre Echo-Preise zurückgeben. Und das nicht wegen irgendeiner Doktorarbeit. Jetzt soll der Echo sogar ganz abgeschafft werden. Was war da die vergangenen Wochen los?
Die beiden Gangsta-Rapper Kollegah und Farid Bang haben vor zwei Wochen in der Kategorie HipHop/Urban National einen Echo gewonnen – und zwar mit ihrem Album „Jung Brutal Gutaussehend 3“, kurz JBG 3, das 2017 herauskam. Die ersten beiden Teile erschienen 2009 und 2013; Teil eins steht aus Jugendschutzgründen auf dem Index. So weit, so krass. Die aktuelle Kontroverse entfacht hat der vorletzte Track auf JBG 3, der da heißt „0815“. Im Song äußern die Herren Rapper die Ansicht, eben keine 0815-Bande zu sein: „JBG bedeutet: Sch... auf komplexe Songtexte. JBG heißt, es wird stumpf und hart wie Betonklötze.“Der Song trieft vor derben Beleidigungen gegen andere Rapper und deren Frauen, Mütter und Schwestern. Ein ganz normaler Gangsta-Rap-Track eben. Und dann ist da noch diese Zeile von Farid Bang: „Mein Körper definierter als von Auschwitz-Insassen.“Eine wirklich geschmacklose Anspielung auf den niedrigen Körperfettanteil der beiden muskelbepackten Rapper. Schon im Vorfeld der Echo-Verleihung hagelte es deswegen von allen Seiten Kritik. Dass im selben Track mehrmals das Wort „Flüchtlingsschl...“fällt und Kollegah gleich in seiner ersten Line über vergewaltigende Syrer rappt, interessiert bei der ganzen Debatte komischerweise niemanden. Wenn sich die gesamtdeutsche Empörung einmal festgelegt hat, ist anscheinend kein Platz mehr für solche „Details“. Bei der Preisverleihung am 12. April traten Kollegah und Farid Bang dann sogar live auf. Campino von den Toten Hosen sagte ihnen live die Meinung, und
Julian Reichelt sprach von einer Schande für Deutschland. Und wenn jemand weiß, wie man Deutschland Schande bereitet, dann ja wohl der
Es folgten die ersten Preisrückgaben. Am Montag, 16. April, wurde dann auf der Echo-Internetseite ein offizielles Statement veröffentlicht, in dem sich der Bundesverband Musikindustrie, der die Echos veranstaltet, von „Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Frauenfeindlichkeit, Homophobie und Gewaltverherrlichung“pflichtschuldigst distanzierte. Ist das noch lustig oder schon traurig?
Für viele deutsche Musik-Interessierte scheint jedenfalls klar: Die Rapper Kollegah und Farid Bang haben ein antisemitisches Album veröffentlicht und werden dafür mit dem Echo ausgezeichnet. Einfach, weil die Echo-Veranstalter auch Antisemiten sind und antisemitische Musik toll zu finden scheinen. Das ist aber auf sehr vielen Ebenen sehr falsch. Zuerst einmal ist der Pop-Echo ein Publikumspreis. Das heißt, für eine Nominierung ist es piepegal, ob ein Album künstlerisch hochwertig oder erbaulich für die Seele ist – verkaufen muss es sich. Bis 2017 entschieden sogar ausschließlich die Verkaufszahlen über den Gewinner, was frühere Debatten zum selben Thema noch sinnloser aussehen lässt. Diesmal gab es erstmals eine Jury, die aus den meistverkauften Alben auswählte. JBG 3 verkaufte sich über 200000 Mal, das Album hat PlatinStatus. Alle Mitbewerber erreichten höchstens Gold. Klarer Fall also. Eine Ethik-Kommission gab grünes Licht, und so kamen Kollegah und Farid zu ihrem Preis.
Außerdem glaubt doch wohl hoffentlich niemand, dass Kollegah wirklich das Bahnhofsgetto seiner Konkurrenten stürmen will, um dort massenhaft Rauschgift zu verticken, nur weil er darüber rappt. In dieser Kunstform – ja, Kunstform – geht es darum, die absurdeste, ekelhafteste und lustigste Beleidigung zu finden, auf die der „Gedisste“keine Antwort mehr weiß. Doch wo liegen die Grenzen?
Es ehrt die Deutschen, dass sie beim Thema Antisemitismus nach wie vor so hellhörig sind. Und trotzdem sind die 200 000 Albumkäufer nicht alle Judenhasser. Letzte Woche hat die Lifestyle-Youtuberin Katja Krasavice mit einem Rap„Song“über ihre „Dicken Lippen“und was sie mit ihnen am liebsten so macht, direkt Platz vier der Charts erreicht. Das ist nicht schön. Aber Musik-Deutschland hält auch das aus.