Zum „Internationalen Tag der Pressefreiheit“
Leitartikel Olaf Scholz ist stolz auf die schwarze Null in seinem Haushalt. Tatsächlich investiert der Bund viel zu wenig. In der nächsten Rezession wird sich das rächen
Vor 25 Jahren legten die Vereinten Nationen den 3. Mai als „Internationalen Tag der Pressefreiheit“fest. Nicht als Feiertag, sondern als jährlichen Anlass zur Überprüfung und des Mahnens. Zu diesem Datum veröffentlicht darum die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ihren Bericht, wie es wirklich um die Freiheit der Presse steht: eine Rangliste mit 180 Staaten, die 2018 wieder von den skandinavischen Ländern als Beste angeführt wird – diesmal steht Norwegen vor Schweden – und an deren Ende Turkmenistan, Eritrea und Nordkorea stehen. Bedenkliche Entwicklungen aber gibt es auch in Europa. Mehr dazu, eine Weltkarte und vor allem eine Betrachtung zu den Problemen in Deutschland lesen Sie im Feuil leton. Und zum 3. Mai drucken Zeitungen als Zeichen des Zusammenstehens ein für diesen Anlass ausgewähltes Werk eines großen Künstlers auf ihrer ersten Seite. Diesmal ist es „Frau am Abgrund“von Georg Baselitz. Zum Bild, das sich auf ein berühmtes Werk von Caspar David Friedrich (deshalb die Initialen C.D.F. unten rechts) mit dem Titel „Frau mit Raben am Abgrund“bezieht – ein tief melancholisches, urdeutsches Motiv aus der europäischen Kunstgeschichte –, sagt der kürzlich 80 Jahre gewordene Baselitz frei zum jetzigen Anlass assoziiert: „Presse und Kunst gehören nicht in die Obhut des Staates. Wer anderes propagiert, manövriert die freie Gesellschaft ins Verderben.“Ein Porträt lesen
Vielleicht sollte Olaf Scholz noch einmal einen Blick in sein Buch „Hoffnungsland“werfen, das er vor gut einem Jahr geschrieben hat. „Wir dürfen nicht abwarten“, warnt er da, „bis uns die Umstände das Handeln aufzwingen, sondern müssen handeln, um die Umstände zu prägen.“
Seine Pläne für die laufende Legislatur werden diesem Anspruch, wenn überhaupt, nur eingeschränkt gerecht. Zwar kann Scholz als Finanzminister dank der anhaltend guten Konjunktur und den anhaltend niedrigen Zinsen aus dem Vollen schöpfen und die Milliarden nur so übers Land verteilen, an zwei entscheidenden Punkten allerdings kneift die Koalition. Weder hatte sie den Mut, der arbeitenden Mitte über eine große Steuerreform ihren Anteil am Aufschwung auszuzahlen, noch hat sie eine Vorstellung davon, wie marode und veraltet die Infrastruktur in weiten Teilen des Landes ist. Ob Straßen, Brücken oder Tunnels, ob Schulen, Universitäten oder die digitale Grundversorgung mit einem flächendeckenden schnellen Internet: Für eine Volkswirtschaft, die noch immer zu den leistungsfähigsten der Welt gehört, lebt die Bundesrepublik schon viel zu lange von der Substanz. Ja, schlimmer noch: Anstatt die Investitionen des Bundes wenigstens jetzt kontinuierlich zu steigern, will Scholz sie nach einem kurzen Zwischenspurt in diesem und im nächsten Jahr wieder auf das Niveau des Jahres 2017 zurückfahren. Deutschland, heißt das, fährt weiter auf Verschleiß.
Union und SPD sind zu Gefangenen ihrer eigenen Wahlversprechen geworden, die sich von der ausgeweiteten Mütterrente und der Wiedereinführung des Baukindergeldes bis zu einem teilweisen Erlass des Solidaritätszuschlages und einer Mindestrente für Geringverdiener auf fast 46 Milliarden Euro addieren. Zu kurz gekommen sind dabei nicht nur die Investitionen, sondern auch die Verpflichtungen, die frühere Regierungen in der Verteidigungs- und der Entwicklungspolitik eingegangen sind. Entsprechend schlecht sind Ursula von der Leyen und Gerd Müller, die beiden zuständigen Minister, auf Scholz zu sprechen. Gemessen an der Wirtschaftskraft des Landes liegen ihre Etats um mehrere Milliarden Euro unter den gegebenen Zusagen.
Nicht abwarten, sondern handeln: Eine vorausschauende Finanzpolitik sorgt wie die berühmte schwäbische Hausfrau in guten Zeiten für schlechtere vor, sie achtet darauf, dass die Infrastruktur intakt ist und die sozialen Transfers auch im nächsten Konjunkturtief finanzierbar bleiben, sie überprüft Subventionen regelmäßig auf ihre Notwendigkeit hin und verliert die Steuergerechtigkeit nicht aus den Augen. Union und SPD dagegen leben von der Hand in den Mund, als gäbe es kein Morgen mehr. Die schwarze Null etwa, auf die auch der neue Finanzminister so stolz ist, sollte angesichts der guten Kassenlage eine Selbstverständlichkeit sein und keine politische Ruhmestat.
Ja, Deutschland geht es gut. Ja, Deutschland kann sich vieles leisten, das andere Länder sich nicht leisten können oder wollen. Spätestens in der nächsten Rezession jedoch wird den Finanzminister, wie immer er dann heißt, die Politik seiner Vorgänger und der jeweiligen Koalitionen einholen. Weit über 20 Milliarden Euro im Jahr alleine für die Flüchtlingspolitik, immer höhere Bundeszuschüsse für die Rente, deutlich gestiegene Überweisungen an die EU – und gleichzeitig ein Investitionsstau von gut und gerne 120 Milliarden Euro. Aus diesem Dilemma helfen nach der gängigen Logik nur Steuer- und Beitragserhöhungen oder ein rigoroser Sparkurs. Frei nach Scholz hieße das dann, die Umstände hätten die Politik zum Handeln gezwungen. Dabei wollte er es doch genau umgekehrt haben.
Am Ende steigen Steuern und Beiträge