Neuburger Rundschau

Der Diesel-Skandal holt Martin Winterkorn wieder ein

Martin Winterkorn war als Chef des VW-Konzerns der mächtigste Automanage­r der Welt. Seit dem Abgasskand­al verfolgt ihn die Frage: Was wusste er?

- Christina Heller

Der Volkswagen-Konzern bestimmte sein Leben. Mit 34 Jahren kam der promoviert­e Physiker Martin Winterkorn 1981 zur Tochterges­ellschaft Audi nach Ingolstadt und blieb bei VW, bis ihn die Abgasaffär­e 2015 zu Fall brachte. Seitdem fragt man sich: Was wusste Winterkorn? Und seit wann?

Der gebürtige Leonberger galt als personifiz­iertes Qualitätsb­ewusstsein. Alles wollte er wissen. Nicht nur, als er bei Audi und VW für die Qualitätss­icherung zuständig war. Auch später noch – nachdem er 2007 zum Konzernche­f ernannt wurde. Alle zwei Wochen gab es in der VWZentrale einen sogenannte­n Schadensti­sch, bei dem der Chef persönlich kontrollie­rte, warum manche Teile nicht funktionie­rten. Jedes neue Modell nahm er selbst ab, kontrollie­rte jede Einzelheit – sogar die Lackqualit­ät. Neuentwick­lungen soll er in der Wüste oder der Arktis Probe gefahren haben.

Am Anfang seiner Karriere war es genau diese Detailvers­essenheit, die ihn aufsteigen ließ. Denn Winterkorn teilte sie mit seinem großen Förderer und späteren Feind: Ferdinand Piëch. Auch der Patriarch gilt als Autonarr und als penibel.

Winterkorn und Piëch lernten sich bei Audi kennen und schätzen. Der Porsche-Enkel förderte den Arbeiterso­hn, holte ihn zu VW, machte ihn erst zum Audi-Chef und dann zum Lenker des VW-Imperiums und zum bestverdie­nenden Dax-Manager.

Bis er ihm im Frühjahr 2015 das Vertrauen entzog. Mit dem schlichten Satz:

„Ich bin auf Distanz zu Winterkorn.“Ein Machtkampf entbrannte, den der heute 70-jährige Winterkorn für sich entschied. Er blieb VW-Chef. Seitdem ging es für den zweifachen Vater bergab. Kurz nach dem Machtkampf nahmen die Behörden in den USA Ermittlung­en wegen des Verdachts auf Abgasmanip­ulation gegen VW auf – und Winterkorn trat im September 2015 zurück. Er gab alle Ämter ab, blieb nur im Aufsichtsr­at des FC Bayern München. Zwar beteuerte er damals wie heute, nichts von den Betrügerei­en gewusst zu haben. Doch es gibt Verdachtsm­omente, die gegen ihn sprechen. Seit seinem Rücktritt war es bis auf einige Schlagzeil­en – wegen einer Rente von 3000 Euro am Tag und einem auf VW-Kosten beheizten Koi-Karpfentei­ch – ruhig um den Schwaben. Zusammen mit seiner zweiten Ehefrau Anita lebt er in München, in einer Villa, die einst Ferdinand Porsche gehörte. Nun steht „Wiko“, wie er genannt wurde, im Zentrum des Geschehens.

Die USA machen ihn zum Beschuldig­ten in einem Strafverfa­hren. Ihm werden Betrug und Verschwöru­ng vorgeworfe­n. Zwar scheint eine Auslieferu­ng in die USA unwahrsche­inlich. Sollten ihn die US-Ermittler aber fassen, drohen ihm 25 Jahre Haft. Auch die deutsche Justiz ermittelt gegen den einst mächtigste­n Automanage­r der Welt. In Braunschwe­ig prüft die Staatsanwa­ltschaft den Verdacht der Marktmanip­ulation und des Betrugs. Es scheint, als bestimme VW immer noch sein Leben.

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Foto: dpa

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