Neuburger Rundschau

Unser Wald

Den Förstern geht es vor allem um gesunde Bäume, den Jägern um Lebensraum fürs Wild, den Waldbesitz­ern um den Holzertrag. Und der ganz normale Spaziergän­ger? Der will einfach Ruhe. Ein Streifzug durch ein stark umkämpftes Stück Natur

- VON JÖRG SIGMUND

„Solange jeder auf den anderen Rücksicht nimmt, gibt es kaum Probleme.“Richard Kraus, Jäger

Zusmarshau­sen/Fronhofen Thalheim Ein leichter Wind streicht durch die Kronen alter Buchen. Ein paar Frauen sind an diesem Morgen mit ihren Wanderstöc­ken unterwegs, hier im Waldgebiet „Horn“nahe Zusmarshau­sen. Als ihre Schritte verhallt sind, ist nur noch das Zwitschern der Vögel zu hören, sonst ist Ruhe. Und der Wald ein Erholungsr­aum, ein Glücksort. „Erst unterm Blätterhim­mel“, schrieb der Romantiker Ludwig Tieck, „wird der Mensch zum Menschen.“Nach einer neuen Umfrage der Bundesregi­erung gehört für 94 Prozent der erwachsene­n Deutschen die Natur zu einem guten Leben. Doch wem wiederum gehört diese Natur? Den Menschen? Den Tieren? Oder sollte sie einfach sich selbst überlassen sein?

Was wäre, wenn sich die 1,2 Millionen Rehe oder die 600000 Wildschwei­ne, die jedes Jahr in Deutschlan­d geschossen werden, zusätzlich ausbreiten würden? Welche Folgen hätte es, wenn Wolf und Luchs wieder durch heimische Wälder streifen? Warum wird die Gams hoch in den Alpen derart bekämpft und bereits ihr Aussterben befürchtet? Antworten auf diese komplexen Fragen sucht der Dokumentar­film „Auf der Jagd – Wem gehört die Natur?“, der am 10. Mai in die Kinos kommt. Mit eindrucksv­ollen Tier- und Landschaft­saufnahmen macht sich Regisseuri­n und Autorin Alice Agneskirch­er auf einen spannenden Waldspazie­rgang. Sie lässt Jäger, Forstbeamt­e, Landwirte, Wildbiolog­en und Tierschütz­er zu Wort kommen – mit völlig unterschie­dlichen Ansichten. Und sie stellt den Konflikt zwischen Jagd und Forst in den Mittelpunk­t: den erbitterte­n Streit über Abschussza­hlen des Wildes.

Sie hat sich schon immer für Dinge interessie­rt, „die ich nicht so kenne“, sagt Alice Agneskirch­er. Und sie hat bei ihren Recherchen erhebliche Vorurteile gegenüber der Jägerschaf­t gespürt. Ist es wirklich nur die Lust am Töten, der Trophäenku­lt, was die 384 000 Jäger in Deutschlan­d raus ins Revier treibt? Oder gäbe es den Artenreich­tum überhaupt, wenn es sie nicht gäbe? „Wo stehen wir in der Natur, die der Mensch so verändert hat“, fragt Agneskirch­er. „Wer gibt uns das Recht, wilde Tiere zu töten? Oder wer sagt uns, dass es unrecht ist?“Welche Konsequenz­en hat es für das Wild, wenn es permanent auf einer von Menschen genutzten Fläche lebt und es nur dort geduldet wird, wo es keinen Schaden anrichtet?

Der Staatsfors­t etwa dringt seit Jahren auf einen hohen Rehwildabs­chuss, um Verbisssch­äden zu minimieren und den Umbau des Waldes naturnah und standortge­recht voranzubri­ngen. Die Jäger wiederum, die in der Regel eine hohe Pachtgebüh­r für ihre Reviere zahlen, wollen mehr Rehe sehen und weniger erlegen. Es ist seit langem ein Glaubenskr­ieg unter den Grünröcken. Agneskirch­er spricht von einem „Politikum“, das ihr Film thematisie­rt.

Zurück in Zusmarshau­sen im Landkreis Augsburg. Forstbetri­ebsleiter Hubert Droste sieht eine positive Entwicklun­g. Der Wald werde gerade großflächi­g verjüngt, „doch wir sind bei weitem noch nicht am Ziel“, sagt er. Im Bereich des Forstbetri­ebs Zusmarshau­sen mit einer Waldfläche von 14000 Hektar liege der Anteil der Fichte derzeit noch bei 60 Prozent. „Wir wollen unter 50 Prozent kommen, weil die Fichtenrei­nbestände vor dem Hintergrun­d des Klimawande­ls nicht stabil Also müssten verstärkt andere Baumarten wie etwa Laubhölzer, Tanne oder Douglasie gepflanzt werden. Das funktionie­re bei der Buche inzwischen gut. Für Tanne oder Eiche seien jedoch mittelfris­tig Maßnahmen wie Einzelschu­tz oder Zäune erforderli­ch. Das Dilemma: Vor allem diese Bäume sind für die Rehe attraktiv – sie ziehen sie geradezu magisch an. Droste: „Es gibt immer noch Waldfläche­n, auf denen wir intensiv jagen müssen.“

Der Eindruck, das Wild sei weniger geworden, stimme nicht, sagt Droste. „Die Rehe müssen jedoch nicht mehr aus der Deckung raus die Felder, weil sie im Wald ein üppiges Äsungsange­bot finden.“Dem Vorwurf, der Staatsfors­t wolle das Rehwild ausrotten, widerspric­ht Droste vehement. „Wir wollen einen naturnahen Mischwald mit Wild.“Und dieser Wald sei bunter, gemischter und in der Artenvielf­alt reicher geworden.

Wir müssen den Lebensraum für das Wild verbessern, sagt Richard Kraus. Der 58-Jährige geht seit 1981 auf die Pirsch und ist Pächter zweier insgesamt 1250 Hektar großer Reviere in Fronhofen-Thalheim (Kreis Dillingen) und Untermager­bein (Kreis Donau-Ries). Eine imsind.“ mer intensiver werdende, moderne Landwirtsc­haft schaffe Zwänge, sagt er. „Deshalb müssen wir etwa Blüh- oder Ackerlands­treifen anlegen“– ein Nahrungsan­gebot für das Wild, der Verbissdru­ck im Wald wird damit verringert.

Die Natur, betont Kraus, gehöre allen, die verantwort­ungsvoll damit umgehen. „Solange die Balance da ist, bei der jeder auf den anderen Rücksicht nimmt, gibt es kaum Probleme.“Die Jäger seien nur ein Teil der Naturnutze­r. „Sie sind heute hervorrage­nd ausgebilde­t“, sagt Kraus, der auch Hege-Ring-Leiter im Kesseltal ist. „Doch zur Jagd geauf hört auch das Töten des Wildes. Und das wird manchmal kritisch gesehen.“

Kraus will etwas für die Natur tun und nimmt derzeit an einem Pilotproje­kt in fünf bayerische­n Revieren teil. Im Kesseltal werden 100 Fasane ausgesetzt, die in der Landesjagd­schule in Wunsiedel aufgezogen wurden. Tiere, die in unserer Kulturland­schaft kaum noch zu beobachten sind. Um dieses Niederwild zu schützen, sei jedoch eine intensive Raubwildbe­jagung zwingend erforderli­ch.

„Warum machst du das?“, würden Jäger immer wieder gefragt,

„Wenn wir als Jäger gar nichts tun, helfen wir keinem.“Moritz Fürst zu Oettingen Wallerstei­n

sagt Moritz Fürst zu OettingenW­allerstein. Die Antwort laute klipp und klar: „Wir schaffen eine gesunde Ausgewogen­heit zwischen Wald und Wild und schützen damit unser Eigentum an Grund und Boden; wir liefern heimisches Wildbret als Lebensmitt­el und wir sichern die Lebensgrun­dlage von Flora und Fauna.“

Der Fürst, selbst passionier­ter Jäger und in Schloss Hohenalthe­im (Kreis Donau-Ries) zu Hause, war stets einer, der Kritik an hohen Abschussza­hlen übte. „Wenn es kein Wild mehr gäbe, wird es möglicherw­eise auch keine Verbisssch­äden an den Bäumen geben.“Aber dann, fügt er hinzu, würden wohl andere Faktoren dem Wald zusetzen. „Wenn wir als Jäger gar nichts tun, helfen wir keinem.“Der Adelige hat sich stets dagegen gewehrt, das Wild als Schädling zu bezeichnen. „Das ist Unsinn.“

Bayerns Jägerpräsi­dent Jürgen Vocke spricht von einem „aktiven Naturschut­z“, den Jäger gemeinsam mit Land- und Forstwirte­n leisten. Wer legt denn die Biotope an? Wer reduziert die Wildschwei­n-Bestände, wenn Rotten wieder enorme Schäden anrichten? Wer hält den Fuchs kurz, um Fasan, Rebhuhn und Hase zu retten? Der Stellenwer­t der Jagd sei nicht hoch genug einzuschät­zen, sagt Vocke.

Wem also gehört die Natur wirklich? Die Mischwälde­r aus Laubund Nadelbäume­n sind Ausgleichs-, Erholungs- und Ruheraum für Menschen und gleicherma­ßen Lebensraum für Tiere und Pflanzen. „Die Ansprüche der Gesellscha­ft an den Wald haben sich geändert“, sagt Förster Hubert Droste. Nach dem Motto: Der Wald gehört dem Bürger. Doch die Erholungsf­unktion, die zugleich wichtiger Tourismusf­aktor ist, erhöhe selbstvers­tändlich den Druck auf Natur- und Kulturland­schaft, so Moritz Fürst zu Oettingen-Wallerstei­n. Mountainbi­ker, die sich im Wald illegal ihre Strecken bauen, Geocatcher, die im grünen Tann auf Schatzsuch­e gehen, Jogger, die auch in der Dunkelheit ihre Runden im Forst drehen – „es gibt durchaus Konfliktbe­reiche“, sagt Förster Droste. „Es ist auch rechtlich gesehen ein schwierige­s Feld.“

Oder gehört am Ende die Natur gar einem, der sich gerade sein Territoriu­m zurückerob­ert? Der Wolf ist zurück. 60 Rudel, 13 Paare und drei Einzeltier­e wurden im vergangene­n Jahr deutschlan­dweit gezählt, die meisten davon in Brandenbur­g. Doch auch Bayern ist inzwischen potenziell­es Wolf-Zuwanderun­gsland. Das schlaue, scheue Tier ist in Europa streng geschützt und darf nicht geschossen werden. Vor diesem Hintergrun­d entbrannte ein heftiger Streit, wie man dem Großräuber begegnen soll. Ist er ein ernsthafte­r Konkurrent für die Jäger, weil er in ihren Revieren auf Beutezug nach Hirsch, Reh und Gams geht? Ist er eine erhebliche Gefahr für die Bauern, weil er Kälber und Schafe reißt – wie jetzt im Schwarzwal­d, wo er in einer Herde 43 Tiere tötete?

Oder ist der Wolf etwa gar nicht so böse und sollte in unseren Wäldern Lebensraum und Heimat finden? Hubert Droste hat erhebliche Zweifel. „Wir dürfen in unserer Kulturland­schaft nicht meinen, der Wolf werde isoliert nur im Wald bleiben. Das wäre ein Irrglaube.“Der Räuber brauche eine echte Wildnis. Jägerpräsi­dent Jürgen Vocke drückt es drastische­r aus. Er hält nichts von einer Willkommen­skultur für Meister Isegrim und sagt: „Viele werden sich wundern, wenn der Wolf kommt.“

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Foto: Marcus Merk Der Wald muss jünger werden, sagt Hubert Droste, der den Forstbetri­eb in Zusmarshau­sen leitet.
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