Neuburger Rundschau

„Die Substanz der Bundeswehr ist aufgebrauc­ht“

Der Wehrbeauft­ragte Hans-Peter Bartels erklärt, was aus seiner Sicht geschehen muss, um die Streitkräf­te wieder attraktive­r und effektiver zu machen. Er sagt auch, warum es kein Zurück zur Wehrpflich­t geben kann

- Interview: Martin Ferber

Herr Bartels, angenommen ein 18-Jähriger fragt Sie, ob er Berufssold­at werden soll – was würden Sie ihm raten?

Hans Peter Bartels: Ehrlicherw­eise müsste ich ihm sagen, dass er bei der Bundeswehr zunächst nur einen Zeitvertra­g erhält. Und nur ein Teil der Zeitsoldat­en kann später auch Berufssold­at werden. Das ist ein nicht zu unterschät­zender Wettbewerb­snachteil gegenüber der Polizei, wo junge Leute sofort eine Lebenszeit­perspektiv­e haben. Aber ich würde ihm auch sagen, dass er sich für einen Beruf entscheide­t, den unser Land dringend benötigt. Die Bundeswehr braucht gute Leute, die sich selbst etwas zutrauen.

Dahinter steckt die Frage, wie attraktiv die Bundeswehr als Arbeitgebe­r überhaupt noch ist?

Bartels: Zweigeteil­te Antwort: Von der Aufgabe her ist die Bundeswehr ungewöhnli­ch attraktiv. Es gibt unzählige Verwendung­en für alle Begabungen, und man steht für etwas sehr Kostbares: Frieden und Sicherheit. Auf der anderen Seite ist die Bundeswehr ein Arbeitgebe­r, der erst auf dem Wege ist, voll wettbewerb­sfähig zu werden bei der Vereinbark­eit von Beruf und Familie, dem ewigen Pendlerdas­ein, der Bezahlung oder der Arbeitszei­tgestaltun­g. Da gibt es unveränder­t noch viel zu tun. Der größte Vorteil gegenüber anderen Arbeitgebe­rn ist, dass die Bundeswehr praktisch alles, was sie braucht, selbst ausbildet. Es gibt keinen anderen Arbeitgebe­r, der so vielfältig ist.

Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen hat zu Beginn ihrer Amtszeit das Thema Attraktivi­tät stark in den Mittelpunk­t gerückt. Kasernen sollten modernisie­rt werden, Stuben Flachbilds­chirme erhalten …

Bartels: Das wurde gelegentli­ch ironisiert – wozu braucht man einen Flachbilds­chirm, wenn man keinen funktionie­renden Kampfpanze­r hat? Aber natürlich braucht man beides: die großen Waffensyst­eme und genauso selbstvers­tändlich moderne Unterkünft­e und attraktive Betreuungs­einrichtun­gen, wo auch die Kameradsch­aft gelebt und gepflegt wird. Dazu gehört zum Beispiel auch das Kasernen-WLAN. Das ist kein technologi­sches Großprojek­t, aber für junge Leute nicht ganz unwichtig.

Die gesamte U-Boot-Flotte liegt auf dem Trockenen, nun wurde bekannt, dass von 128 Eurofighte­rn nur vier einsatzber­eit sind. Was läuft da schief bei der Bundeswehr? Warum diese Häufung an Pannen jetzt?

Bartels: Das hat einen Vorlauf in der Zeit vor 2014, als die Bundeswehr von Jahr zu Jahr kleiner wurde und nur eine Hauptaufga­be hatte, nämlich Auslandsei­nsätze außerhalb des Bündnisgeb­iets. Damals wurde alles diese Einsätze ausgericht­et. Überschaub­are Kontingent­e, gut ausgebilde­t und ordentlich ausgerüste­t, wurden auf den Balkan, nach Afghanista­n, nach Afrika geschickt. Dafür hat man zu Hause mehr und mehr auf die Vollaussta­ttung für die Armee als Ganzes verzichtet. Die Bundeswehr lebte in der langen Schrumpfun­gsperiode von der Substanz, und die ist nun aufgezehrt. Seit der Annexion der Krim 2014 geht es nun aber auch wieder um kollektive Verteidigu­ng, um die Sicherheit unserer Bündnispar­tner im Osten Europas. Das heißt, die ganze Bundeswehr muss einsatzfäh­ig sein. Das ist sie heute nicht. Es fehlen Ersatzteil­e, wir müssen modernisie­ren, alte Systeme durch neue ersetzen, neue Technik entwickeln. Die Trendwende hin zur Vollaussta­ttung sollte so schnell wie möglich gehen, aber zurzeit kämpft man noch gegen alte Mentalität­en und alte Regeln.

Ursula von der Leyen will die Bundeswehr erneut umstruktur­ieren. Die Auslandsei­nsätze sollen demnach reduziert oder gar beendet und der Schwerpunk­t wieder auf die Landesund die Bündnisver­teidigung gelegt werden. Ist das der richtige Weg? Bartels: Mit der neuen „Konzeption der Bundeswehr“startet kein neuer Gesamtumba­u der Truppe, aber hier wird konzeption­ell nachvollzo­gen, was in der Praxis schon begonnen hat: die Umstellung auf zwei Hauptaufga­ben anstelle von einer, also Bündnisver­teidigung und Auslandsei­nsätze gleicherma­ßen. Wenn’s hart auf hart kommt, hat natürlich die Bündnisver­teidigung Vorrang.

Ist die Bundeswehr angesichts dieser Mängel überhaupt in der Lage, ihre Nato-Verpflicht­ungen zu erfüllen? Verlieren die Partner das Vertrauen in Deutschlan­d?

Bartels: Nein. Die Bundeswehr steht mit diesen Problemen übrigens nicht alleine da. Fast alle Nationen haben ihre Armeen verkleiner­t, haben gespart und die kollektive Verteidigu­ng ins Museum verbannt. Insofern müssen heute alle umdenken und umsteuern. Deutschlan­d ist nun aber das größte Land in Europa, die stärkste Volkswirts­chaft, und desauf halb ist es besonders wichtig, dass Deutschlan­d nicht hinterherh­inkt. Deshalb darf im Bundeshaus­halt der Anteil, den wir für Verteidigu­ng ausgeben, nicht mehr sinken, sondern er muss steigen.

Welche Verantwort­ung trägt dabei die Rüstungsin­dustrie?

Bartels: Da sind beide Seiten nicht unschuldig dran. Richtig ist, die Industrie versprach viel, um in Zeiten der Sparzwänge überhaupt einen Auftrag zu erhalten, und die Armeen der acht Programmna­tionen packten noch Sonderwüns­che drauf. Aus diesen Fehlern muss man lernen. Heute geht es in vielen Bereichen darum, funktionie­rende Dinge auf der Grundlage von vorhandene­r Technik schnell zu liefern. Die Zeit und das Geld, immer etwas völlig Neues zu erfinden, haben wir im Moment nicht.

Der Bundeswehr-Etat soll in dieser Legislatur­periode um 5,5 Milliarden Euro erhöht werden, doch die Ministerin fordert mindestens zwölf Milliarden Euro mehr und droht mit dem Ausstieg aus internatio­nalen Projekten. Unterstütz­en Sie die Verteidigu­ngsministe­rin?

Bartels: Ich verstehe, dass sie etwas dramatisch­er wird. Sie muss sich um ihre Finanzen selbst kümmern. Das Geld kommt nicht von alleine. Sie muss mit Argumenten überzeugen: Wie viel Geld braucht sie wann wofür? Die Richtung ist grundsätzl­ich richtig: Es gibt mehr Geld für die Bundeswehr, aber noch steht nicht fest, wie viel genau und wie es nach 2019 stabil und planbar weitergeht. Auf Grundlage der beschlosse­nen Eckwerte muss weiter verhandelt werden. Ich bin zuversicht­lich, dass das Parlament seine Parlaments­armee nicht hängen lässt.

Deutschlan­d ist weit vom Zwei-Prozent-Ziel der Nato entfernt und liegt bei etwa 1,2 Prozent. Das Zwei-Prozent-Ziel bedeutet fast eine Verdoppelu­ng des Wehretats, rund 70 Milliarden. Ist das realistisc­h?

Bartels: Das Nato-Ziel ist ein Richtungsa­nzeiger. Für Deutschlan­d sind gegenwärti­g die zwei Prozent völlig illusionär. Ich kenne niemanden,

Die Wehrpflich­t wieder ein zuführen, ist illusionär.“Hans Peter Bartels

der eine Zwei-Prozent-Bundeswehr plant. Diese Armee müsste sehr viel größer sein und über ganz andere Fähigkeite­n verfügen, als wir heute der Nato angezeigt haben. Worüber wir heute reden, ist das Stopfen der Löcher beim Personal und beim Material, damit die Bundeswehr mit ihren dann knapp 200000 Soldatinne­n und Soldaten voll funktionsf­ähig ist. So wird sie auch den Beitrag leisten, den das Bündnis von uns erwartet.

Teile der Union oder die AfD fordern eine Wiedereinf­ührung der Wehrpflich­t. Sie auch?

Bartels: Die Wehrpflich­t Hals über Kopf auszusetze­n, war damals ein Fehler, sie nun wieder einführen zu wollen, ist illusionär. Alle Strukturen der Wehrpflich­t sind geschleift, es fehlt an den Ausbildern, den Verbänden, den Unterkünft­en, der Ausrüstung. Frau von der Leyen wird nichts anderes übrig bleiben, als nun das Konzept der Freiwillig­enarmee umzusetzen und für einen moderaten Aufwuchs zu sorgen, damit die Bundeswehr quantitati­v wie qualitativ ihren gewachsene­n Aufgaben gerecht werden kann. Hans Peter Bartels, 56, ist seit 2015 Wehrbeauft­ragter des Bundesta ges. Der SPD Politiker, der einst als Zei tungsredak­teur tätig war, ist mit der Kieler Ex Oberbürger­meisterin und Jour nalistin Susanne Gaschke verheirate­t.

 ?? Foto: imago ?? Reparatur und Wartungsar­beiten sind bei allen Streitkräf­ten dieser Welt Alltag: Doch in der Bundeswehr fehlt es nicht selten an wichtigen Ersatzteil­en. So sind viele Waffensyst­eme derzeit nur bedingt einsatzber­eit.
Foto: imago Reparatur und Wartungsar­beiten sind bei allen Streitkräf­ten dieser Welt Alltag: Doch in der Bundeswehr fehlt es nicht selten an wichtigen Ersatzteil­en. So sind viele Waffensyst­eme derzeit nur bedingt einsatzber­eit.
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