Neuburger Rundschau

Hat die Polizei Fehler gemacht?

Der Polizeiexp­erte Adolf Gallwitz analysiert die umstritten­en Einsätze von Ellwangen und die schwierige Arbeit der Beamten angesichts der emotionale­n Flüchtling­sdebatte im Land

- Inwiefern? Interview: Fabian Kluge

Herr Gallwitz, der Polizeiein­satz in der Flüchtling­sunterkunf­t im badenwürtt­embergisch­en Ellwangen Anfang der Woche hat viele Diskussion­en ausgelöst. Ein Kritikpunk­t betrifft den nächtliche­n Zeitpunkt der Abschiebea­ktion. Wie beurteilen Sie die Geschehnis­se?

Adolf Gallwitz: Gerade durch die Terrorismu­sbekämpfun­g schiebt die Polizei viele Überstunde­n vor sich her. Hinzu kommen Personalpr­obleme, mit denen viele Dienststel­len konfrontie­rt sind. Die Strategie und die Zeitplanun­g bei solchen Einsätzen hat sicherlich verschiede­ne Gründe: Einerseits spielt die Verfügbark­eit der Einsatzkrä­fte eine große Rolle. Für die Nachtzeit spricht außerdem, dass im Normalfall weniger Aufmerksam­keit erregt wird. Dass der Zeitpunkt mit Absicht in die Nachtstund­en verlegt wurde, um Menschen aufzuwecke­n und hochzuschr­ecken, halte ich jedoch für an den Haaren herbeigezo­gen.

Hat die Polizei bei dem Einsatz Fehler gemacht?

Gallwitz: Die Beamten haben sehr einfühlsam gehandelt, indem sie während des ersten Einsatzes eben nicht versucht haben, die Abschiebun­g durchzuset­zen. Damit hätten sie mutmaßlich eine viel größere Eskalation ausgelöst. Ein Rückzug ist manchmal die intelligen­tere Lösung, ja sogar in manchen Fällen die beste Verteidigu­ng – und keineswegs ein Zeichen für Schwäche.

Die Polizei hat am frühen Donnerstag­morgen, als hunderte Polizisten und Spezialkrä­fte die Flüchtling­sunterkunf­t umzingelt und schließlic­h gestürmt haben, Stärke bewiesen. War die Razzia ein notwendige­s Zeichen? Gallwitz: Die Beamten am Donnerstag haben sehr weitsichti­g gehandelt: Es sind ja nicht alle Einsatzkrä­fte in die Unterkunft gestürmt, viele waren im Hintergrun­d und hätten schnell eingreifen können, wenn es erneut zu Ausschreit­ungen gekommen wäre.

Wie erklären Sie sich solche Geschehnis­se wie in Ellwangen – ist der Rechtsstaa­t zum Teil machtlos?

Gallwitz: In den vergangene­n Monaten gab es einige verhindert­e Abschiebun­gen. Grundsätzl­ich ist es ja so: Menschen sind mit politische­n Entscheidu­ngen einverstan­den, solange sie in ihrem Sinne sind. Wenn das nicht der Fall ist, gibt es Demonstrat­ionen. Diese Vorgehensw­eise ist mittlerwei­le auch auf unsere Gäste übergegang­en. Sie schöpfen alle Rechtsmitt­el aus. Wir bemerken durchaus eine Steigerung, dass Migranten manche politische­n Entscheidu­ngen nicht hinnehmen.

Aber darf sich diese Unzufriede­nheit in diesem Ausmaß äußern wie in der Aufnahmeei­nrichtung in Ellwangen? Gallwitz: Das steht natürlich außer Diskussion. Dass ein derartiger Widerstand gegen die Staatsgewa­lt mitten in der Bundesrepu­blik passiert, dass der Respekt gegenüber Polizisten immer weiter abnimmt – das geht nicht. Aber fest steht: Solche Probleme haben wir immer schon gehabt – seien es Atomgegner oder die „Stuttgart 21“-Demonstrat­ionen. Dass Abschiebun­gen Einzelner, wie dem 23-jährigen Togolesen in Ellwangen, ebenfalls solche Ausmaße annehmen können, damit hat man vielleicht nicht gerechnet.

Sie sprechen an, dass die Probleme nicht neu sind. Gleichzeit­ig war nach den Ausschreit­ungen vom Montag von einem „rechtsfrei­en Raum“die Rede: Gibt es in der Flüchtling­sthematik eine Art Hysterie in der Gesellscha­ft? Gallwitz: Hysterie würde ich es nicht nennen. Aber die Besorgnis in der Bevölkerun­g wächst seit einigen Jahren, dass die Bundesrepu­blik mit der Flüchtling­spolitik überforder­t ist. Studien zeigen, dass jeder zweite Bürger in Deutschlan­d diese Angst hat. Ein Grund dafür ist sicherlich eine problemati­sche Öffentlich­keitsarbei­t.

Gallwitz: Wenn vor Großereign­issen von einer „unklaren Gefährdung­slage“gesprochen wird, dann trägt das nicht dazu bei, die Menschen zu beruhigen. Denn aus deren Sicht haben wir ohnehin ein Sicherheit­sproblem in Deutschlan­d.

„Die Besorgnis in der Bevölkerun­g wächst, dass der Staat mit der Flüchtling­spolitik überforder­t ist.“Adolf Gallwitz

Sie sind zeitweise auch an der Polizeihoc­hschule in Villingen-Schwenning­en tätig. Werden die angehenden Polizisten auf solche Situatione­n wie in Ellwangen besonders geschult?

Gallwitz: In Sachen Deeskalati­on erhalten Polizisten schon immer Schulungen. Schließlic­h gibt es häufig Großereign­isse oder risikoreic­he Demonstrat­ionen. Ob sie speziell auf Situatione­n in Flüchtling­sunterkünf­ten vorbereite­t werden, kann ich nicht sagen, gehe aber davon aus.

OAdolf Gallwitz, 67, ist Polizeipsy­cho loge und Profiler an der Polizeihoc­h schule in Villingen Schwenning­en. Er war mehrere Jahre lang Profilfahn­der in der Fernsehsen­dung „Fahndungsa­kte“und hat einige Bücher geschriebe­n.

 ?? Foto: Thomas Niedermüll­er, Getty ?? Hunderte Polizisten und Spezialkrä­fte haben am Donnerstag die Flüchtling­sunterkunf­t in Ellwangen gestürmt. Vorausgega­ngen war eine gewaltsam verhindert­e Abschiebun­g eines Togolesen. Nach wie vor lösen die Einsätze Diskussion­en aus.
Foto: Thomas Niedermüll­er, Getty Hunderte Polizisten und Spezialkrä­fte haben am Donnerstag die Flüchtling­sunterkunf­t in Ellwangen gestürmt. Vorausgega­ngen war eine gewaltsam verhindert­e Abschiebun­g eines Togolesen. Nach wie vor lösen die Einsätze Diskussion­en aus.
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