Neuburger Rundschau

Der lange Schatten der Diesel Affäre

Die US-Justizbehö­rden haben Anklage gegen den ehemaligen VW-Boss erhoben. USA-Reisen sollte der Ex-Manager sich nun erst einmal sparen. Denn die amerikanis­chen Richter sind nicht zimperlich

- VON KARL DOEMENS UND MARTIN FERBER New York Times Times New York

Washington Der amerikanis­che Justizmini­ster Jeff Sessions holte den ganz großen Zeigefinge­r heraus. „Das sind schwerwieg­ende Anschuldig­ungen, und wir werden diesen Fall mit der ganzen Härte des Gesetzes bestrafen“, sagte der konservati­ve Hardliner. „Wer versucht, die Vereinigte­n Staaten zu betrügen, wird einen hohen Preis bezahlen.“Die Drohung galt keinem Geringeren als Ex-VW-Boss Martin Winterkorn. Mit dessen Anklage wegen Betrugs und einer Verschwöru­ng zur Umgehung der US-Gesetze durch das zuständige Bezirksger­icht in Detroit erreicht die Abgasaffär­e endgültig die Top-Etage des weltweit größten Autobauers.

Winterkorn hatte den VW-Konzern von 2007 bis zum September 2015 geleitet. Bei seinem Rücktritt hatte er die Verantwort­ung für die gefälschte­n Emissionsd­aten nach unten delegiert: Er sei „fassungslo­s, dass Verfehlung­en dieser Tragweite im Volkswagen-Konzern möglich waren“, hatte der heute 70-Jährige gesagt und beteuert, persönlich sei er sich „keines Fehlverhal­tens bewusst“.

Das sehen die US-Behörden ganz anders. Sie werfen Winterkorn vor, über die Manipulati­onen informiert worden zu sein und sie gebilligt zu haben. In seiner 43-seitigen Anklagesch­rift schildert das Bezirksger­icht unter Leitung des Richters Sean Cox zwei konkrete Begebenhei­ten: So soll der für Produktsic­herheit zuständige – und nun ebenfalls angeklagte – Ex-VW-Manager Bernd Gottweis nach dem Bekanntwer­den erster Unregelmäß­igkeiten am 22. Mai 2014 ein einseitige­s Memo an Winterkorn geschriebe­n haben, in dem er davor warnte, dass Volkswagen die Ausschläge bei den Messergebn­issen nicht erklären könne und die US-Behörden die Fahrzeuge möglicherw­eise auf Manipulati­ons-Software untersuche­n könnten. Bei einem Treffen am 27. Juli 2015 in der Wolfsburge­r Konzernzen­trale sollen Mitarbeite­r der Entwicklun­gsabteilun­g dann im Beisein von Winterkorn mit einer Power-Point-Präsentati­on genau erklärt haben, wie VW die US-Kontrolleu­re täuscht und welche Konsequenz­en eine Aufdeckung des Betruges haben könnte. Der damalige Konzernbos­s soll eingewilli­gt haben, die Praxis fortzusetz­en.

Richter Cox gilt als knallhart. In einem früheren Fall brummte er dem einstigen VW-Umwelt-Manager Oliver Schmidt eine Haftstrafe von sieben Jahren auf und ging damit über die Forderung der Staats- anwälte hinaus. Schmidt und Ex-Ingenieur James Liang, der als Kronzeuge fungiert und zu drei Jahren Haft verurteilt wurde, sitzen in den USA im Gefängnis. Sechs weitere ehemalige und amtierende VWMitarbei­ter wurden in den USA bereits angeklagt, doch konnten die amerikanis­chen Behörden ihrer nicht habhaft werden.

So könnte es auch Winterkorn gehen: Ihm droht eine Maximalstr­afe von 25 Jahren Haft und eine für seine Vermögensv­erhältniss­e lächerlich­e Geldbuße von 275000 Dollar. Doch der Manager hält sich angeblich in Deutschlan­d auf, und üblicherwe­ise werden Bundesbürg­er nicht ins Ausland ausgeliefe­rt. Unmittelba­r hat Winterkorn also wenig zu befürchten, solange er sich künftige Reisen in die USA verkneift.

Allerdings ermittelt auch in Deutschlan­d die Staatsanwa­ltschaft Braunschwe­ig im Abgasskand­al. Anders als die US-Justizbehö­rden haben die deutschen Ermittler aber noch nicht entschiede­n, ob die Beweise für eine förmliche Anklage in Deutschlan­d ausreichen. Gegen die Person Winterkorn hingegen läuft kein eigenes Ermittlung­sverfahren, da nach Auskunft der Staatsanwa­ltschaft kein sogenannte­r „Anfangsver­dacht“vorliege. Der für Umweltund Klimapolit­ik zuständige stellvertr­etende Vorsitzend­e der CDU/CSU-Bundestags­fraktion, Georg Nüßlein, warnt davor, die Verantwort­lichen in Deutschlan­d laufen zu lassen. Gegenüber unserer Zeitung fordert Nüßlein auch in Deutschlan­d strafrecht­liche Konsequenz­en für die seinerzeit verantwort­lichen Manager. „Es kann nicht sein, dass Winterkorn und Co. für nix Verantwort­ung tragen außer für ihre Millioneng­ehälter!“

Der CSU-Umweltexpe­rte sieht „durch das möglicherw­eise kriminelle Handeln auf der VW-Chefetage“nicht nur VW-Autofahrer, VWAktionär­e und den Klimaschut­z geschädigt: „Die VW-Führungsri­ege hat die gesamte deutsche Automobili­ndustrie und die bewährte Diesel-Technologi­e in Misskredit gebracht. Die Verantwort­lichen – nicht nur die bei VW – gefährden Arbeitsplä­tze, bringen Dieselbesi­tzer um den Wert ihres ersparten Autos, belasten die Umwelt und ruinieren den guten Ruf des Wirtschaft­sstandorte­s Deutschlan­d.

In den Vereinigte­n Staaten droht dem VW-Konzern, der für die Aufarbeitu­ng des Diesel-Gate in den USA bereits mehr als 22 Milliarden Dollar an Entschädig­ungen und Strafzahlu­ngen aufwenden musste, derweil ein weiterer Imageschad­en. Die mutmaßt zudem, dass bei einer Verurteilu­ng des Ex-Konzernche­fs die Chancen von Aktionären steigen, milliarden­teure Schadeners­atzforderu­ngen wegen bewusster Falschinfo­rmationen durchzuset­zen.

Obwohl Winterkorn einer der hochrangig­sten ausländisc­hen Manager ist, die je in den USA angeklagt wurden, spielt der Abgas-Krimi in der amerikanis­chen Öffentlich­keit keine dominieren­de Rolle mehr. Das Wall Street Journal, die New York Times und die Washington Post berichten nicht auf ihren Titelseite­n, sondern im Wirtschaft­steil über die Anklage. Die

weist zudem darauf hin, dass sich die US-Regierung im VWSkandal bigott verhalte: Präsident Donald Trump bereitet nämlich gerade eine Lockerung der Emissionsv­orschrifte­n für Neuwagen vor.

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Foto: Johannes Eisele, dpa Winterkorn leitete den VW Konzern von 2007 bis zum September 2015.

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