Neuburger Rundschau

Was Karl Marx mit Mark Zuckerberg machen würde

Der vor 200 Jahren geborene deutsche Denker wäre sicher ein großer Kritiker digitaler Fast-Monopolist­en

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger allgemeine.de

Die Welt braucht einen neuen Karl Marx, einen scharfsinn­igen Analytiker und Anprangere­r gesellscha­ftlicher Missstände. Heute würde der vor 200 Jahren geborene Philosoph und Ökonom, aus dessen Thesen so viele falsche Schlüsse gezogen haben, in Abwandlung seiner Worte „Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismu­s“wohl texten: „Ein Gespenst geht um in der Welt – das Gespenst des DatenImper­ialismus.“Das wäre ein perfekter Einstiegss­atz für ein Manifest der digitalen Welt.

Daraus könnte ein neuer Marx, wie es der berühmte Ahnherr in seinem Werk „Das Kapital“getan hat, die düsteren Seiten des „Monopol-Kapitalism­us“beschreibe­n. Denn heute haben sich einige wenige digitale US-Riesen Fast-Monopole erstritten. Die Macht der wie Heilsbring­er auftretend­en Vertreter der Digital-Bourgeoisi­e, die wie Facebook-Chef Mark Zuckerberg eine T-Shirt-Jeans-Uniform tragen, geht nicht auf riesige Maschinenp­arks zurück. Ihr Aufstieg gründet auch nicht auf Heerschare­n entfremdet­e Arbeit leistender Lohn-Sklaven wie zu Anfangszei­ten der Industrial­isierung. Die Zuckerberg­s unserer Tage verdanken ihren Weg an die wirtschaft­liche Weltspitze vielmehr Computern mit immer höheren Rechenleis­tungen, vor allem aber Software- und Mathematik-Proletarie­rn, die Daten mit Algorithme­n und künstliche­r Intelligen­z für ihre Lohnherren gewinnbrin­gend auspressen. Nutznießer sind die Werbebranc­he und eben auch – wie der US-Wahlkampf auf erschrecke­nde Weise gezeigt hat – Parteien und Politiker.

Was Marx heute den Kopf schütteln ließe, ist aber die Tatsache, dass Menschen den US-Datenstaub­saugern freiwillig ohne Unterlass Einblicke in ihre privaten Vorlieben gewähren. Wie Kraken greifen die Monopolkap­italisten von Apple, Google, Amazon und Facebook nimmersatt auf kommerziel­l ausschlach­tbare Informatio­nen zu.

Marx hätte mit dem intellektu­ellen Leichtgewi­cht Zuckerberg kein schweres Spiel. Schnell wären die dünnen Argumente des Amerikaner­s zerpflückt, etwa, Facebook passe sich nur der gesellscha­ftlichen Realität an. Die bestünde nun mal darin, dass Menschen sich wohlfühlte­n, ihre persönlich­en Daten miteinande­r zu teilen. Facebook würde demnach nur eine symbiotisc­he Beziehung mit dem allgemeine­n Exhibition­ismus führen.

Marx könnte an der Stelle den bedeutends­ten deutschen Philosophe­n Immanuel Kant anführen und mit ihm ausrufen: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschulde­ten Unmündigke­it.“Oder Marx nimmt bei sich Anleihen und appelliert an die Daten-Abzockern verfallene­n Bürger: „Man muss das Volk vor sich selbst erschrecke­n lehren, um ihm Courage zu machen.“Dann müsste ein optimistis­cher Philosoph wie der Deutsche proklamier­en, Datenbesit­zer hätten nichts als ihre Ketten zu verlieren. Im Gegenzug könnten sie wieder die Souveränit­ät über ihr Eigentum erhalten, etwa indem Facebook und Konsorten Geld für die Plünderung ihrer Intimsphär­e zahlen. Das digital-marxistisc­he Motto hieße also: „Daten-Besitzer aller Länder, vereinigt euch!“Das allein wird die inakzeptab­le Macht der Internet-Bourgeoisi­e allerdings nicht brechen.

Hier sind Regierunge­n gefragt. Marx müsste sich zwischen zwei Denkschule­n entscheide­n: In der amerikanis­chen Geschichte wurden Monopole – sei es das der Standard Oil Company oder des Telefon-Giganten AT&T – im Sinne der Verbrauche­r zerschlage­n. Europa probiert es eher mit der sanfteren Methode der Regulierun­g, also der Einschränk­ung der Macht durch Gesetze. Wie auch immer – mit oder ohne Marx: Die Demokratie­n müssen die Macht der InternetMo­nopolisten brechen, sonst ist irgendwann das Fundament freiheitli­cher Gesellscha­ften gefährdet.

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Foto: Hendrik Schmidt, dpa Der Philosoph Karl Marx ist vor 200 Jah ren geboren.

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