Es regnet Gift
In Franken versprühen Helikopter Pestizide über 1100 Hektar Forstlandschaft. Ziel ist ein Schädling, der auch nach Schwaben kommen könnte. Naturschützer kritisieren die Aktion
Würzburg Über den Wäldern Frankens donnert Hubschrauberlärm. Seit Montag besprüht ein Helikopter 1100 Hektar Wald aus der Luft mit Pflanzenschutzmitteln, um einen Schädling loszuwerden: den Schwammspinner. Entlang des Mains, südlich von Würzburg, haben es die Raupen dieses Schmetterlings auf Eichen abgesehen. Verantwortlich für die Bekämpfung ist das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (LWF). Das Ministerium nennt das „Vollzug des Pflanzenschutzgesetzes“. Der Bund Naturschutz drückt es anders aus: Sie töten Schmetterlingskinder und treiben das Insektensterben voran.
Der Waldreferent der Naturschutzorganisation, Ralf Straußberger, kritisiert das Ministerium scharf: „Es kann keine Lösung sein, einfach großflächig Gift zu versprühen.“Zwar verstehe er die Notwendigkeit, den Eichenwald zu schützen – doch die Aktion empfindet er als schlecht geplant. Niemand habe untersucht, ob durch das Insektizid bedrohte Schmetterlingsarten getötet werden. Außerdem sei nicht sicher, ob der Gifteinsatz überhaupt notwendig ist. Eichen sind sehr robuste Bäume – und überleben Straußberger zufolge auch, wenn ihre Blätter Schädlingen zum Opfer fallen.
Für Schwammspinner ist es kein Problem, große Flächen an Eichenwald kahl zu fressen. Der Schädling tritt alle fünf bis zehn Jahre in Massen auf. Verbreitet ist er vor allem in wärmeren Regionen, weshalb er sich im milden Franken ansiedelt. „Durch den Klimawandel kann er aber nach Schwaben kommen“, sagt Straußberger. Immerhin fand der Schwammspinner erst Anfang der 80er Jahre den Weg nach Mitteleuropa – er breitet sich mit immer wärmerem Klima weiter aus. In Schwaben bereitete in den vergangenen Jahren eine andere Raupe Probleme: der Eichenprozessionsspinner. Auch die Raupen dieser Schmetterlingsart leben auf Eichen und fressen Blätter, allerdings sind sie eher eine Gefahr für Menschen als für die Bäume. Denn die feinen Haare der Eichenprozessionsspinner können starke Reizungen und allergische Reaktionen auslösen.
Zur Bekämpfung solcher Raupen setzen Behörden das Gift „Mimic“ein. Das Insektizid wird auf Blätter gesprüht; wenn eine Raupe davon frisst, stirbt sie wenige Tage darauf. Die Aktion in Franken überwacht Ralf Petercord, Leiter der Abteilung Waldschutz im LWF. „Das Gift wirkt ausschließlich auf Schmetterlingsraupen, kein anderes Tier ist davon betroffen“, sagt er. Die Kritik des Bund Naturschutz hält er für unangebracht: „Natürlich wäre es uns lieber, wenn wir kein Gift einsetzen müssten.“Aber er sehe keine andere Möglichkeit, da der Wald sonst absterbe. Selbst wenn die Bäume den Befall der Schwammspinner überleben sollten, würden andere Schädlinge in den folgenden Jahren den Eichen den Rest geben. Und selbst wenn die Bäume all das überleben sollten, würde die Natur darunter leiden: „Vogelnester wären dann völlig ungeschützt vor Fressfeinden und der prallen Sonne. Das überlebt keines der Tiere.“
Anders sieht das der Zell- und Entwicklungsbiologe Robert Hock von der Universität Würzburg. Das Gift töte nicht nur Schmetterlingsraupen: „Die Entwicklung wird genauso bei allen sich zu diesem Zeitpunkt entwickelnden Gliederfüßern wie Insekten, Spinnen, Krebsen, Tausendfüßern und bei Fadenwürmern gestört. Jetzt im Frühjahr beginnen sich sehr viele Käfer, Schmetterlinge, Bienen, Hummeln, Heuschrecken, Libellen und Fliegen zu entwickeln. Sie werden ganz genauso getroffen. Wenn man also von Insektensterben spricht: Hier ist ein
Der Wirkstoff könnte auch bedrohte Insekten töten
Gifteinsätze stoßen in der Bevölkerung auf Protest
Grund.“Hock sieht grundsätzlich keine Veranlassung für den Insektizid-Einsatz. Die Eichen könnten sich vom Kahlfraß erholen, indem sie später im Jahr neu austreiben.
Gifteinsätze stoßen immer wieder auf Protest. Erst vergangene Woche passierte das in Donauwörth: Dort versprühte die Stadtgärtnerei ein Pflanzenschutzmittel auf einem Spielplatz. Bürger protestierten gegen die Aktion. Nicht nur, weil das verwendete Herbizid nicht für diesen Einsatz zugelassen ist. Sondern auch, weil solche Aktionen das Insektensterben vorantreiben. Auch wenn Insekten nicht direkt dem Mittel zum Opfer fallen, entziehen ihnen Unkrautvernichter die Nahrungsgrundlage. Das LWF spart deshalb Teile der Wälder von ihrer Gift-Aktion aus, damit sich die Insekten dort ungehindert entwickeln können. Am Pestizid führt für Petercord grundsätzlich aber kein Weg vorbei: „Riesige Kahlflächen will niemand haben. Das kann auch dem Bund Naturschutz nicht recht sein.“Ihm liege das Wohlergehen des Waldes am Herzen – und das schützt er auf seine Weise: mit Gift.