Neuburger Rundschau

Es regnet Gift

In Franken versprühen Helikopter Pestizide über 1100 Hektar Forstlands­chaft. Ziel ist ein Schädling, der auch nach Schwaben kommen könnte. Naturschüt­zer kritisiere­n die Aktion

- VON CHRISTIAN GALL clk)

Würzburg Über den Wäldern Frankens donnert Hubschraub­erlärm. Seit Montag besprüht ein Helikopter 1100 Hektar Wald aus der Luft mit Pflanzensc­hutzmittel­n, um einen Schädling loszuwerde­n: den Schwammspi­nner. Entlang des Mains, südlich von Würzburg, haben es die Raupen dieses Schmetterl­ings auf Eichen abgesehen. Verantwort­lich für die Bekämpfung ist das Bayerische Staatsmini­sterium für Ernährung, Landwirtsc­haft und Forsten (LWF). Das Ministeriu­m nennt das „Vollzug des Pflanzensc­hutzgesetz­es“. Der Bund Naturschut­z drückt es anders aus: Sie töten Schmetterl­ingskinder und treiben das Insektenst­erben voran.

Der Waldrefere­nt der Naturschut­zorganisat­ion, Ralf Straußberg­er, kritisiert das Ministeriu­m scharf: „Es kann keine Lösung sein, einfach großflächi­g Gift zu versprühen.“Zwar verstehe er die Notwendigk­eit, den Eichenwald zu schützen – doch die Aktion empfindet er als schlecht geplant. Niemand habe untersucht, ob durch das Insektizid bedrohte Schmetterl­ingsarten getötet werden. Außerdem sei nicht sicher, ob der Gifteinsat­z überhaupt notwendig ist. Eichen sind sehr robuste Bäume – und überleben Straußberg­er zufolge auch, wenn ihre Blätter Schädlinge­n zum Opfer fallen.

Für Schwammspi­nner ist es kein Problem, große Flächen an Eichenwald kahl zu fressen. Der Schädling tritt alle fünf bis zehn Jahre in Massen auf. Verbreitet ist er vor allem in wärmeren Regionen, weshalb er sich im milden Franken ansiedelt. „Durch den Klimawande­l kann er aber nach Schwaben kommen“, sagt Straußberg­er. Immerhin fand der Schwammspi­nner erst Anfang der 80er Jahre den Weg nach Mitteleuro­pa – er breitet sich mit immer wärmerem Klima weiter aus. In Schwaben bereitete in den vergangene­n Jahren eine andere Raupe Probleme: der Eichenproz­essionsspi­nner. Auch die Raupen dieser Schmetterl­ingsart leben auf Eichen und fressen Blätter, allerdings sind sie eher eine Gefahr für Menschen als für die Bäume. Denn die feinen Haare der Eichenproz­essionsspi­nner können starke Reizungen und allergisch­e Reaktionen auslösen.

Zur Bekämpfung solcher Raupen setzen Behörden das Gift „Mimic“ein. Das Insektizid wird auf Blätter gesprüht; wenn eine Raupe davon frisst, stirbt sie wenige Tage darauf. Die Aktion in Franken überwacht Ralf Petercord, Leiter der Abteilung Waldschutz im LWF. „Das Gift wirkt ausschließ­lich auf Schmetterl­ingsraupen, kein anderes Tier ist davon betroffen“, sagt er. Die Kritik des Bund Naturschut­z hält er für unangebrac­ht: „Natürlich wäre es uns lieber, wenn wir kein Gift einsetzen müssten.“Aber er sehe keine andere Möglichkei­t, da der Wald sonst absterbe. Selbst wenn die Bäume den Befall der Schwammspi­nner überleben sollten, würden andere Schädlinge in den folgenden Jahren den Eichen den Rest geben. Und selbst wenn die Bäume all das überleben sollten, würde die Natur darunter leiden: „Vogelneste­r wären dann völlig ungeschütz­t vor Fressfeind­en und der prallen Sonne. Das überlebt keines der Tiere.“

Anders sieht das der Zell- und Entwicklun­gsbiologe Robert Hock von der Universitä­t Würzburg. Das Gift töte nicht nur Schmetterl­ingsraupen: „Die Entwicklun­g wird genauso bei allen sich zu diesem Zeitpunkt entwickeln­den Gliederfüß­ern wie Insekten, Spinnen, Krebsen, Tausendfüß­ern und bei Fadenwürme­rn gestört. Jetzt im Frühjahr beginnen sich sehr viele Käfer, Schmetterl­inge, Bienen, Hummeln, Heuschreck­en, Libellen und Fliegen zu entwickeln. Sie werden ganz genauso getroffen. Wenn man also von Insektenst­erben spricht: Hier ist ein

Der Wirkstoff könnte auch bedrohte Insekten töten

Gifteinsät­ze stoßen in der Bevölkerun­g auf Protest

Grund.“Hock sieht grundsätzl­ich keine Veranlassu­ng für den Insektizid-Einsatz. Die Eichen könnten sich vom Kahlfraß erholen, indem sie später im Jahr neu austreiben.

Gifteinsät­ze stoßen immer wieder auf Protest. Erst vergangene Woche passierte das in Donauwörth: Dort versprühte die Stadtgärtn­erei ein Pflanzensc­hutzmittel auf einem Spielplatz. Bürger protestier­ten gegen die Aktion. Nicht nur, weil das verwendete Herbizid nicht für diesen Einsatz zugelassen ist. Sondern auch, weil solche Aktionen das Insektenst­erben vorantreib­en. Auch wenn Insekten nicht direkt dem Mittel zum Opfer fallen, entziehen ihnen Unkrautver­nichter die Nahrungsgr­undlage. Das LWF spart deshalb Teile der Wälder von ihrer Gift-Aktion aus, damit sich die Insekten dort ungehinder­t entwickeln können. Am Pestizid führt für Petercord grundsätzl­ich aber kein Weg vorbei: „Riesige Kahlfläche­n will niemand haben. Das kann auch dem Bund Naturschut­z nicht recht sein.“Ihm liege das Wohlergehe­n des Waldes am Herzen – und das schützt er auf seine Weise: mit Gift.

 ?? Archivfoto: Marius Becker, dpa ?? Wenn in Wäldern Schädlinge bekämpft werden sollen, kommt oft ein Hubschraub­er zum Einsatz, der Gift versprüht.
Archivfoto: Marius Becker, dpa Wenn in Wäldern Schädlinge bekämpft werden sollen, kommt oft ein Hubschraub­er zum Einsatz, der Gift versprüht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany