Neuburger Rundschau

„Ich fürchte eine gottlose Gesellscha­ft“

Heute wird in Trier ein Denkmal des Denkers enthüllt. Etwas daran jedoch stört Gregor Gysi. Der Linken-Politiker hält den deutschen Denker für missversta­nden – und geeignet für eine demokratis­che Utopie

- Proletarie­r euch? aller Länder, vereinigt Interview: Wolfgang Schütz

Heute wird zum Jubiläum in Trier eine umstritten­e monumental­e Marx-Statue enthüllt. Sie, Herr Gysi, haben sicher nichts gegen die Ehrung. Aber ärgert es Sie nicht, dass die Statue als Geschenk aus China kommt? Aus dem nominell kommunisti­schen, tatsächlic­h aber diktatoris­chen China?

Gysi: Ein Problem, sicher. Ich war vor eineinhalb Jahren in China und habe ihnen gesagt: Ihr macht doch hier eine kapitalist­ische Marktwirts­chaft. Und da haben sie zu mir gesagt: Wir haben Marx begriffen. Er habe gesagt, für die Industrial­isierung sei der Kapitalism­us zuständig. Deshalb müssen wir jetzt industrial­isieren mit kapitalist­ischer Marktwirts­chaft – und danach kann es anders zugehen…Aber Marx meinte ja nie, dass das diktatoris­ch organisier­t werden soll! Wir müssen Marx zweimal befreien: Einmal von seinem Missbrauch im Staatssozi­alismus. Er war ja ein Befreiungs­ideologe! Und zweitens konnte er seine Arbeit nur in London leisten, weil Deutschlan­d viel zu intolerant war. Hier wurde er verbannt. Ich möchte, dass wir ein gutes Verhältnis zu einem großen Sohn unseres Volkes, zu einem Weltdenker entwickeln. Dazu hätte auch gehört, dass wir selbst ein Denkmal gebaut hätten und es uns nun nicht gerade von China schenken lassen.

Was sollte er uns denn heute als Befreiungs­denker noch zu sagen haben? Gysi: Er hat in seinem wichtigste­n Werk, „Das Kapital“, die kapitalist­ische Produktion­sweise hervorrage­nd analysiert, auch die Krisen, die notwendig in Erscheinun­g treten und die wir heute ja auch erleben. Auch die Tendenz zur Monopolisi­erung. Deshalb haben wir in Deutschlan­d ein Kartellamt, eine Monopolkom­mission – weltweit ist die Verhinderu­ng von Monopolen nicht gelungen. Für die Zukunft lernen wir von Marx nicht so viel. Er hat zwar im „Kommunisti­schen Manifest“mit Engels etwas Wichtiges aufgeschri­eben: dass die Freiheit des Einzelnen die Voraussetz­ung für die Freiheit aller ist …

… und nicht andersrum.

Gysi: Genau. Die DDR hat das immer umgekehrt zitiert, was falsch war. Und deshalb sage ich ja auch denen, die geschädigt worden sind durch den Staatssozi­alismus: Sie müssen eigentlich auch für die Befreiung von Karl Marx streiten. Denn er wollte genau etwas anderes als das, was ihnen passiert ist. Ein Unbehagen am ungebremst­en Kapitalism­us ist heute ja durchaus verbreitet. Aber der Zug der Zeit geht nicht nach links, sondern nach rechts. Gysi: Das hat erstens damit zu tun, dass der Staatssozi­alismus gescheiter­t ist. Die Linken hatten eine Chance, die sie nicht genutzt haben, dadurch sind sie tief in den Keller geraten. Und das Zweite ist, dass wir jetzt eine Internatio­nalisierun­g haben, die den Leuten unheimlich ist. Das führt dazu, dass wir jetzt den Versuch der Renational­isierung erleben. Wie im nationalen Egoismus des Herrn Trump versuchen viele, Nutznießer des globalen Handels zu werden. Das führt zu einem unsägliche­n Wettbewerb, bei dem Länder die Steuern herunterse­tzen, um die Konzerne zu sich zu locken – alles zu Lasten der Bevölkerun­gen. Das verärgert viele Menschen. Deshalb haben die Rechten im Augenblick so gute Chancen. Die Linke muss jetzt die Stärke entwickeln, zum Gegenüber der Rechten zu werden. Dann würde auch die Mitte erkennen, dass sie ohne die Linke die Rechte nicht überwinden kann.

Aber wenn Sie Marx zitieren, dass er Internatio­nalismus im Interesse der „unterworfe­nen Klassen“weltweit fordert, werden darunter viele verstehen, dass wir die Armut der Welt und noch mehr Migration zu schultern haben. Gysi: Die Linke kann sich diesbezügl­ich nicht aufweichen lassen. Natürlich: Die ganze Menschheit hat in Deutschlan­d keinen Platz. Also müssen wir wirksam die Fluchtursa­chen bekämpfen. Der Kapitalism­us kann eine effiziente Wirtschaft, eine Top-Wissenscha­ft und -Forschung hervorbrin­gen, auch eine TopKunst und -Kultur. Und er kann, aber muss nicht demokratis­ch sein, das darf man alles nicht unterschät­zen. Aber er kann Kriege nicht verhindern, erstens, weil es immer um den Zugang zu Ressourcen geht, und zweitens, weil an Kriegen zu viel verdient wird, auch in Deutsch- land. Und er kann soziale Gerechtigk­eit nicht herstellen, er tendiert immer dazu, den Reichtum in wenigen Händen zu konzentrie­ren und die Armut zu verbreiten. Warum etwa müssen wir Lebensmitt­el so billig nach Afrika exportiere­n, dass die afrikanisc­hen Lebensmitt­el immer teurer sind und dort keine eigene Landwirtsc­haft entstehen kann? Das alles müssen wir überwinden. Gysi: Antisemiti­smus, Rassismus und Ausländerf­eindlichke­it waren immer schon Instrument­e der Herrschend­en. Warum sollte ein armer deutscher Bauer einen armen französisc­hen Bauern totschlage­n? Die Könige haben die Menschen gegeneinan­der aufgehetzt. Damit sie nicht auf die Idee kamen, dass sie auch ihre Könige ablösen könnten. Das Neue an Marx war auch, dass er sagte: Lasst euch nicht gegeneinan­der aufhetzen. Und die meisten werden doch auch heute erkennen: Nicht der Franzose ist mein Problem oder die Syrerin oder sonst jemand, sondern wir müssen bestimmte ökonomisch­e Verhältnis­se verändern.

Aber wie? Sie schreiben von der Utopie einer Gesellscha­ft, die alle Produktion­sentscheid­ungen gemeinsam trifft. Das könnte für manche nach Planwirtsc­haft klingen.

Gysi: Aber es gab in der DDR eben nie eine gemeinscha­ftliche Verständig­ung, es wurde alles zentral entschiede­n! Im Kapitalism­us gibt es die gemeinsame Verständig­ung auch nicht. Wenn man mehr Verantwort­ung aufs Volk übertrüge, würde das auch zu einer anderen Bildungspo­litik verpflicht­en. Denn Bildung ist Voraussetz­ung, um vernünftig­e Entscheidu­ngen treffen zu können. Auch die Reichen müssen verstehen: Wenn sie jetzt nicht für mehr Gerechtigk­eit sorgen, fliegt ihnen alles eines Tages um die Ohren. Ich will die Macht der großen Konzerne und großen Banken überwinden, weil sie nichts Gutes bringt für die Menschheit. Wir brauchen darum wieder das Primat der Politik. Aber das ist nur gerechtfer­tigt durch demokratis­che Strukturen, ansonsten wäre es nur ein Primat eines Diktators. Wir müssen mit der von mir gewünschte­n Gesamtheit anders umgehen.

Halten Sie da Umsteuern für möglich? Gysi: Vor 1989 hätte ich nein gesagt: Jetzt sage ich: ja! Weil ich gesehen habe, wie ein ganzes System untergegan­gen ist. Und auch im ungesteuer­ten Kapitalism­us kann der Punkt kommen, wo es einfach zu viel wird. Ich setze auf die Jugend. Die ist in der Mehrheit anders, doppelt so europäisch wie meine Generation, sie könnte andere Maßstäbe setzen. Sie müsste allerdings rebellisch­er werden. Und letztlich: Woran soll ich sonst glauben, wenn nicht an die Vernunft des Menschen?

Sie wären sich wohl in vielem einig mit Papst Franziskus. Sind Kommunismu­s und Christentu­m also Parallelen, die sich in der Unendlichk­eit treffen? Gysi: Schon. Ich habe ja mal im Scherz behauptet, Jesus Christus wäre heute bei den Linken. Aber der würde sich ja nie in die inneren Machtkämpf­e einer Partei begeben, das wäre für ihn das Letzte. Aber ein Linker wäre er ganz bestimmt. Ich glaube nicht an Gott, aber ich fürchte eine gottlose Gesellscha­ft, weil sie moralfrei wäre.

 ??  ?? Marx mit Hammer, er selbst mit Sichel: Karikatur aus Gregor Gysis aktuellem Buch „Marx & wir“(Aufbau Verlag, 160 S., 18 ¤).
Marx mit Hammer, er selbst mit Sichel: Karikatur aus Gregor Gysis aktuellem Buch „Marx & wir“(Aufbau Verlag, 160 S., 18 ¤).

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