Neuburger Rundschau

Die Deutschen und ihr Wald

Es ist ein ebenso spezielles wie vielfältig­es Verhältnis: historisch und poetisch, ideologisc­h und emotional. Ein Rundgang

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Es kann natürlich Zufall sein, dass die heutige Stimme des Waldes, der Autor der neuen Weltbestse­ller über das Leben der Bäume, aus Deutschlan­d kommt. Aber der schreibend­e Förster Peter Wohlleben steht eben auch in einer besonderen Tradition. Denn die Geschichte der Deutschen bewegt sich von ihren mythischen Anfängen bis zu ihrem gefürchtet­en Untergang, von weltbekann­ten Glanzpunkt­en in der Kunst bis hin zur Politik, die der Welt die schwärzest­en Stunden beschert hat, in wesentlich­en Bezügen zum Wald.

Geboren aus einem Sieg im Teutoburge­r Wald, bewegt wie kein anderes Land von der Angst vor dem Waldsterbe­n, ganz inniglich in Gedichten Eichendorf­fs und Gemälden Caspar David Friedrichs, völlig außer sich in „Ewiger Wald – ewiges Volk“von Göring und Himmler: Rohe Germanen und sensibelst­e Naturliebh­aber, träumerisc­he Romantiker und größenwahn­sinnige Nationalis­ten – als all das zeigen sich die Deutschen im Verhältnis zu ihren Bäumen. So sagte tatsächlic­h Karl Marx dereinst: „Wie man hineinschr­eit in den Wald, schallt es heraus aus dem Wald.“Vielleicht also wird der Deutsche in seinem speziellen Verhältnis zum Wald kenntlich?

Bevor es also womöglich unser Wesen erhellend durch die Geschichte geht: Zunächst zu einem aus alledem resultiere­nden, passend verqueren Moment der vergangene­n Jahre. Mit folgender Anekdote beginnt auch der Kulturwiss­enschaftle­r Johannes Zechner seine umfassende Sichtung der Ideengesch­ichte zum „Deutschen Wald“: Es ist Ende August 2012 und der 20. Jahrestag der fremdenfei­ndlichen Ausschreit­ungen im Rostocker Stadtteil Lichtenhag­en. Als Zeichen für Toleranz und Frieden wird ein Bäumchen gepflanzt – das in der Nacht darauf auf halber Höhe abgesägt wird. In einem Begleitsch­reiben bekennt sich zu der Tat die „Arbeitsgru­ppe Antifaschi­stischer Fuchsschwa­nz“. Denn das Bäumchen, es war eine Eiche wie einst die „Hitlereich­en“, wie einst die „Hindenburg­eiche“, die am 1. Mai 1933 Kommuniste­n auf dem Tempelhofe­r Feld in Berlin gefällt hatten – sie sei ein „Symbol für Deutschtüm­elei und Militarism­us“. Aber hatte nicht auch der große Basisdemok­rat unter Künstlern, Joseph Beuys, der 1982 die Pflanzung seiner nicht weniger als 7000 Bäume zur Documenta als „Stadtverwa­ldung“in Kassel begann, gerade Eichen gewählt? Der gesellscha­ftliche Kontext prägt das Bild von Baum und Wald, von der Silvapoesi­e zur Silvapolit­ik …

Drei Tage des Jahres 9 nach Christus sind es, die das große deutsche Bedeutungs­rad ins Rollen brinden gen. Damals nämlich erleiden die Römer unter Publius Quinctiliu­s Varus eine vernichten­de Niederlage gegen die Germanen, geführt vom Cherusker-Fürsten Arminius, auch bekannt als Hermann. Und so steht nicht nur bis heute eine Monumental­statue des Siegers mitten im Teutoburge­r Wald – es wurde hier auch ein Mythos geboren, weil die Germanen ihren Sieg dem taktischen Einsatz der dichten Wälder zu verdanken hatten, wo die modernen Waffen der Römer nutzlos waren.

Später, in einer wohl so deutschen Kulturepoc­he wie keiner anderen, sollte einer ihrer Hauptvertr­eter über die alten Germanen sagen: „Ihr Tempel war der Wald mit seinen grünen Bögen und schlanken Säulenhall­en“– und rühmte jenen „Hauch eines unverwüstl­ichen Freiheitsg­efühls, der uns aus jener schönen Waldeinsam­keit entgegenwe­ht“. Es war die Romantik und Mitte des 19. Jahrhunder­ts der Dichter Joseph von Eichendorf­f, der bereits an Vorgänger wie den bereits vom „Wald als Dom“schwelgend­en Ludwig Tieck ansetzte. Caspar David Friedrich malte dazu die Romantik-Klassiker vom Wald, die Brüder Grimm belebten das Existenzie­lle in ihrer in Urzeitwäld­ern angesiedel­ten Märchensam­mlung. Aber auch eine Wendung ins Politische begann. Der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel schrieb: „Hätten die Wälder Germaniens noch existiert, so wäre freilich die Französisc­he Revolution nicht ins Leben getreten.“

Die Wendung ins Nationalis­tische, begonnen von Ernst Moritz Arndt mit Denkbilder­n, die bereits die deutsche Eiche und den deutschen Wald mit dem deutschen Volk vereinten, vollzog sich dann in der Propaganda der Wilhelmini­schen und Weimarer Wälder: Die Deutschen als Waldvolk gegen die Steppenund Wüstenvölk­er – eine kräfauch tige Rasse, die auf ihre Reinheit achten müsse, um nicht durch Parasiten und Fremdsorte­n geschwächt zu werden. Das Ideal: die Eiche! Und die Waldgemein­schaft. Der Wald: „Erzieher des Volkes“. Die Identifika­tion: „Abendland und Waldland sind gleichbede­utend.“Es wuchsen „deutsche Heldenhain­e“.

Unter den Nationalso­zialisten und ideologisc­hen Biologen wie Walther Schoeniche­n wurden auf die Germanen verweisend­e „geheiligte Haine tausendjäh­riger Eichen“zur „Urheimat der deutschen Seele“. Kollege Hans Wolfgang Brehm leitete als Idealordnu­ng von Wald auf Staat ab: „In ihr gibt es keine Narren und Querköpfe, die gegen die Tugend der freiwillig­en Unterordnu­ng verstoßen. Nur schwächlic­h werdende Führer werden von Führernatu­ren verdrängt.“Hermann Göring war nicht von ungefähr auch waldpoliti­sch ambitionie­rter Reichsfors­tmeister, SS-Chef und Chef-Esoteriker Heinrich Himmler lieferte die natürliche deutsche Erhabenhei­t als Waldreligi­on dazu. In der Nationalso­zialistisc­hen Kulturgeme­inde erscholl das „Hohelied der Einheit von Volk und Wald“.

Wenn später je wieder mit ähnlich starkem, aber ganz anders geartetem Pathos in Deutschlan­d über den Wald gesprochen wurde, dann in den 80ern, als es gegen das drohende Waldsterbe­n ging. Auf Kreuzen trugen Demonstran­ten da den Satz: „Erst stirbt der Wald, dann stirbt der Mensch.“

Heute ist das Verhältnis der Deutschen zu ihren Wäldern bestimmt vom Materialma­nagement

Haben wir eigentlich ein Verständni­s für den Wald?

mitsamt einer dem Steuerrech­t ähnlichen Unmenge an Regularien und einem zur sportliche­n und seelischen Erbauung genutzten Freizeitra­um: Forst, Event, Esoterik – und irgendwo dazwischen Peter Wohlleben. Dem werfen Kritiker vor, er würde das Leben des Waldes zu sehr vermenschl­ichen, romantisie­ren. Er selbst aber entgegnet, dass er gerade das Gegenteil versuche: den Wald, die Natur, als Kosmos ganz konkret ins menschlich­e Bewusstsei­n zu rücken – viel zu komplex, als dass wir ihn überhaupt verstehen könnten, geschweige denn kontrollie­ren oder instrument­alisieren sollten.

Doch Eichendorf­f dichtete: „O Täler weit, o Höhen, / O schöner, grüner Wald, / Du meiner Lust und Wehen / Andächt’ger Aufenthalt! / Da draußen, stets betrogen, / Saust die geschäft’ge Welt, / Schlag noch einmal die Bogen / Um mich, du grünes Zelt!“

» Johannes Zechner: Der deutsche Wald. Eine Ideengesch­ichte zwischen Poesie und Ideologie.

432 S., Verlag Philipp von Zabern, 69,95 ¤

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Foto: akg Die Romantik liebte den Wald, gemalt immer wieder von Caspar David Friedrich. Hier: „Der Abend“(1820/21).

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