FDP Chef Lindner löst Rassismus Debatte aus
Der Vorsitzende tritt mit einer Anekdote ins Fettnäpfchen. Dabei lief es gut für ihn. Die FDP bekennt sich zu Russland-Sanktionen
Berlin Wer einen Parteitag unter dem englischen Motto „Innovation Nation“abhält, zielt nicht auf den kleinen Mann. FDP-Chef Christian Lindner versucht es dann doch – und landet prompt ein Eigentor. Es verdeutlicht das Dilemma einer Partei, die gleichzeitig AfD-Wähler für sich gewinnen will und auf Abgrenzung zu den Populisten setzt.
Lindner schildert eine Alltagsbeobachtung, die er später einem zugewanderten Bekannten zuschreibt: Da bestellt sich einer beim Bäcker „mit gebrochenem Deutsch ein Brötchen“– und die Leute in der Schlange wissen nicht, „ob das der hoch qualifizierte Entwickler künstlicher Intelligenz aus Indien ist oder eigentlich ein sich bei uns illegal aufhaltender, höchstens geduldeter Ausländer“, sagt er in seiner Rede am Samstag. Und das könne Angst auslösen.
Lindner löst damit vor allem eines aus: eine heftige Rassismus-Diskussion in sozialen Netzwerken. In seiner Rede soll das Szenario die Forderung nach einer gut organisierten Einwanderungspolitik untermauern. Doch das misslingt.
Am Sonntag versucht Lindner die Kontroverse um die „Bäcker“-Passage mit einer Videobotschaft einzufangen: „Wer in meinen Äußerungen Rassismus lesen will oder Rechtspopulismus, der ist doch etwas hysterisch unterwegs.“Grundlage seiner Äußerungen sei eine reale Situation, die ein zugewanderter Bekannter ihm geschildert habe, der in seiner Umgebung Ressentiments Ängste beobachte.
Dabei sollte dieser erste Bundesparteitag nach dem Scheitern der Verhandlungen mit CDU, CSU und Grünen doch vor allem eins: Aufbruchstimmung verbreiten. Das gescheiterte Jamaika-Bündnis vergessen machen. Und bis auf die „Bäcker“-Passage funktionierte das bei den rund 660 Delegierten auch gut. Christian Lindner gibt den Weltpolitiker, spannt einen Bogen um den Globus. Auf der Bühne der ehemaligen Posthalle in Berlin-Kreuzberg denkt der Parteivorsitzende, im eng geschnittenen Anzug mit schmaler roter Krawatte, gar nicht daran, sich noch einmal für das Jamaika-Aus zu rechtfertigen.
Lindner lässt sich stattdessen in seiner eineinhalbstündigen, umjubelten Rede kurz für den Wiedereinzug in den Bundestag feiern. „Auftrag ausgeführt“, sagt er knapp, dann schaltet er auf Zukunft. Und das bedeutet: Angriff. Vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kritisiert der FDP-Chef scharf. Angesichts der großen Krisen auf der Welt zeige Merkel zu wenig Führung. Der instabile Europa-Kurs von Union und SPD führe zu einer „Schockstarre“. Lindner fordert von Merkel eine Initiative für einen EU-Sondergipfel zu den drängenden aktuellen Fragen, insgesamt ein „Ja zu Europa“.
Das Verhältnis zu den USA befinde sich zwar durch das Gebaren von US-Präsident Donald Trump in einem „Stresstest“. Doch die USA seien nicht Trump, in der angespannten und Situation sei „nicht weniger, sondern mehr Dialog“notwendig. Der Einsatz für mehr Freihandel dürfe nicht nachlassen, fordert Lindner.
Die Lücke, die die USA in der internationalen Politik hinterlassen, habe Russland geschickt genutzt – ohne Moskau könne kaum eine Krise gelöst werden, sagt Lindner. Er weiß, er betritt jetzt vermintes Gelände. Denn dem Parteitag liegt ein Antrag von Vizechef Wolfgang Kubicki und dem Landesverband Thüringen vor, die eine „kritische Überprüfung“der Russland-Sanktionen der EU fordern. Lindner kontert: „Russland hat seinen Platz im Haus Europa – wenn es sich an die Hausordnung hält.“Deutschland habe kein Interesse an einer Konfrontation mit Russland, könne aber Völkerrechtsbrüche und Cyberangriffe nicht tolerieren.
Die überwältigende Mehrheit der Delegierten folgt seiner Argumentation – und schmettert den KubickiAntrag ab.