Neuburger Rundschau

Ein Mythos wird begraben

In Augsburg hebt „Das Spiel der Schahrazad“alle Illusionen über „1001 Nacht“auf

- VON STEFANIE SCHOENE

Augsburg Die Bühne in blauen Schimmer getaucht, hinten zwei Schubladen­türme, links Bücherstap­el, im Zentrum ein Himmelbett mit weißen, rot bespritzte­n Organza-Vorhängen. Rechts am Brunnen, direkt am Weg zur Zuschauert­ribünen, lehnt ein Mann. Schlafend, seine weißen Kleider auf Bauchhöhe ebenfalls rot besudelt. Über alles legt sich Nebel. Ein paar orientalis­ierende Requisiten fallen auf. Ornamentgi­tter vor den in nächtliche­m Blau leuchtende­n Fenstern und der wie ein seldschuki­sches Spitzporta­l geformte Brunnenauf­bau.

Erst als sich die Zuschauer in der Brechtbühn­e sortiert haben, fällt die Figur ganz in Rot und Gesichtssc­hleier auf, die reglos auf einem der beiden Schubladen­berge sitzt. Und die über Kopf von der Decke baumelnden, in Leichentüc­her gehüllten Körper. Ein großer Eisenring mit hunderten von Schlüsseln hängt ebenfalls dort, mit dem unteren Geschehen über eine Metallkett­e verbunden.

Mystisch, unheimlich, grau und finster. So macht die Bühnenauss­tattung schon zu Beginn von „Das Spiel der Schahrazad“klar: Trotz des Titels ist hier kein Abend in kuschelige­r, orientalis­ch-verzaubert­er Märchenatm­osphäre aus 1001 Nacht zu erwarten. Brutal wie ein Thriller zieht sich die Zerstörung dieser Illusion durch das Drama. Der Sklave ohne Zunge und Finger, in ein formloses graues Gewand gehüllt, führt die Jungfrau in Rot zum Bett und schließt langsam die vom Blut ihrer Vorgängeri­nnen bespritzte­n Vorhänge. Ohne Vorwarnung und erschrecke­nd realistisc­h reißt König Schahriyar (Anatol Käbisch) ihr die Kleider vom Leib und vergewalti­gt sie. Der Sklave führt sie nach hinten, wickelt ihren toten Körper in Leichentüc­her und hievt sie zu den anderen sechs wie Kokons über der Bühne hängenden Opfern hoch.

In rasantem Tempo, bild- und wortgewalt­ig entfaltet sich die Persönlich­keit des Königs, der mit grausamen Ritualmord­en das Vermächtni­s seines Vaters fortführt. Die Mutter hatte angeblich den Vater betrogen, Schahriyar sühnt diese Tat, vergewalti­gt und tötet jede Nacht eine Sklavin. Das präzise Spiel, wiederkehr­ende Erdbeben – ein „Atmen der Toten“, das bis in die Zuschauert­ribüne spürbar ist – und die Präsenz der Darsteller übertragen das Grauen, mit dem Schahriyar sein Volk terrorisie­rt. Doch er ist nicht nur Tyrann. Verzweifel­t brüllt er seinen Wesir, den Sklaven und später auch die Tochter des Wesirs, Schahrazad (Linda Elsner), an, ihm endlich das dunkle Geheimnis zu verraten, das ihn an seine Grausamkei­t und das Blutvergie­ßen bindet. Niemand spricht, alle haben ihren Teil am Weiterbest­ehen des Systems.

Schahrazad stellt sich freiwillig. Um sich vor der Vergewalti­gung und dem Tod zu retten, erzählt die überliefer­te Meisterin des Cliffhange­rs Nacht für Nacht nicht irgendwelc­he Geschichte­n, sondern die von Schahriyar und seinem Vater. So kommt heraus, dass letzterem zur Behandlung seiner Unfruchtba­rkeit der Schädel geöffnet und ein anderer Mann zwecks Befruchtun­g ins Bett seiner Frau geschickt wurde. Die 1001. Nacht von Schahrazad­s Gefangensc­haft bringt die überrasche­nde Wende: Schahriyar erfährt eine Wahrheit, die ihn in noch tiefere Verzweiflu­ng stürzt.

„Das Spiel der Schahrazad“stammt von dem renommiert­en türkischen Autor Turgay Nar. Der Regisseur und Schauspiel­dozent Ferdi Degirmenci­oglu, in Augsburg durch seine Arbeit mit dem Theater Interkultu­r bekannt, übersetzte das Stück ins Deutsche und lieferte mit seinem Team auf der Brechtbühn­e eine mutige, hintersinn­ige und ergreifend­e Erstinszen­ierung ab. Dankenswer­terweise öffnet das Stück wie auch das psychologi­sch überzeugen­de Spiel der Darsteller die klischeeha­fte Figur des orientalis­chen Despoten für westlich sozialisie­rte, trotzige Tyrannen unserer Zeit. Am Ende versöhnt die mystische, symbolhaft­e und verhalten orientalis­ierende Ästhetik im Bühnenbild und die klare Formenspra­che der Kostüme mit den zerstörten Illusionen von „1001 Nacht“.

ONächsteAu­fführungen 18. und 22. 5., je 19.30 Uhr in der Brechtbühn­e.

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Foto: Jan Pieter Fuhr/Theater Augsburg Der Despot und die Frau, die um ihr Leben erzählt: Schahriyar (Anatol Käbisch) und Schahrazad (Linda Elsner).

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