„Das Unrechtsbewusstsein hat abgenommen“
Als Dienstgruppenleiter koordiniert Wolfgang Sigl bei der PI Neuburg den Schichtbetrieb. In 25 Jahren als Polizist hat er viel erlebt. Sein positives Menschenbild hat darunter aber nicht gelitten
Polizisten, Angestellte in Justizvollzugsanstalten, Richter, (Staats-)Anwälte – sie alle beschäftigen sich tagtäglich mit dem Thema „Kriminalität“. Sie alle setzen sich für Sicherheit und Gerechtigkeit in unserem Land, an unserem Heimatort ein. Allerdings wird ihnen zunehmend weniger Respekt entgegengebracht. Und auch das subjektive Sicherheitsempfinden der Bevölkerung sinkt. Wir haben diese Behörden besucht und Menschen getroffen, die dort arbeiten. In der heutigen Folge sprechen wir mit Wolfgang Sigl von der Polizeiinspektion Neuburg.
Wenn die Polizei in den Schlagzeilen auftaucht, dann sind das meist negative Ereignisse, denn es geht ganz oft um Gesetzesübertretungen oder um Gewalt. Wie kommt man denn damit zurecht, wenn man im Job immer die Kartoffeln für alle anderen aus dem Feuer holen muss? Wolfgang Sigl: (Lacht) Also, erst mal sehe ich das keinesfalls so negativ. Ich zweifle nicht an den Menschen, denn als Polizei haben wir vielleicht mit zehn Prozent der Bevölkerung zu tun, die mit dem Recht ein Problem hat. Der Rest der Bürger verhält sich gesetzeskonform. Und in Bayern hat die Polizei nach wie vor einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft.
Bei Politikern auch? Fehlt Ihnen in der Praxis manchmal der Rückhalt seitens der Politik? In den Sonntagsreden wird immer die Innere Sicherheit beschworen ...
Wolfgang Sigl: Was dem einzelnen Polizeibeamten sicherlich etwas bringen würde, wäre, den Gesetzesrahmen mehr auszuschöpfen. Da sind die Justiz und die Gerichte gefragt. Das Strafmaß sollte zum Delikt passen, das wirkt sich auch auf das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung aus.
Was macht denn einen guten Polizisten aus?
Wolfgang Sigl: Ein guter Polizist ist stets konsequent, ohne dabei das nötige Fingerspitzengefühl vermissen zu lassen.
Und warum wird man Polizist? Wolfgang Sigl: Also ich komme aus einem bürgerlich-konservativen Elternhaus. Ich hatte niemals Probleme mit Hierarchien, ich konnte mich ein- und unterordnen. Sicher hat auch eine Rolle gespielt, so einen
sinnvollen Beitrag für diese Gesellschaft leisten zu können.
Würden Sie den Beruf also nochmals ergreifen?
Wolfgang Sigl: Der Polizeiberuf ist nach wie vor interessant, er stellt einen vor viele Herausforderungen. Man muss sportlich fit sein, auch noch im Alter; man braucht geistige Flexibilität, denn man muss sich von einer Minute auf die andere auf neue Situationen einstellen; interkulturelle Kompetenz, wie das heute so schön heißt, ist auch gefragt. Die jungen Kollegen werden eigens darin geschult. Schließlich steht man für gewisse Werte, die eine Gesellschaft ausmachen. Man dient also praktisch einem höheren Zweck... Jetzt bin ich Ihrer Frage ausgewichen, gell?
25 Jahre sind eine lange Zeit im Job. Was hat sich den augenfällig geändert in diesen Jahren?
Wolfgang Sigl: Die Einsatzzeiten sind heute ganz anders, heißt länger. Mit dem Wegfall der Sperrzeit hat sich das verlagert, vor allem an den Wochenenden, bis weit in die Nacht hinein. Das Spektrum reicht von der banalen Ruhestörung bis zur Schlägerei unter Betrunkenen. Sind für diese „Freizeitdelikte“in der Mehrzahl jüngere Leute verantwortlich?
Ein gewisses Klientel zeigt ein gewisses Verhalten. Das war auch schon früher so. Die Leute sind nicht unbedingt jünger, aber schwieriger. Prinzipiell ist es in Ordnung, einzelne Maßnahmen der Polizei zu hinterfragen. Wir lassen uns auch darauf ein, aber um 4.30 Uhr nicht mehr auf endlose Diskussionen mit Leuten, die sichtlich alkoholisiert sind. Früher ist es auch mal vorgekommen, dass einer, der sich total daneben benommen hat, am nächsten Tag auf die Dienststelle gekomauch men ist, um sich bei dem Beamten persönlich zu entschuldigen. Das gibt es heute nicht mehr. Das Unrechtsbewusstsein der Menschen hat deutlich abgenommen.
Was macht die Realität mit den Polizeibeamten?
Wolfgang Sigl: Nun ja, eine hohe Frustrationsgrenze sollte man schon haben. Dank darf man keinen für seinen Einsatz erwarten. Wir arbeiten das in unseren Dienstgruppenbesprechungen auf. Heute bringt die Gesellschaft ganz allgemein den Vertretern des öffentlichen Gemeinwesens, also auch der Polizei, weniger Respekt entgegen.
Das war früher anders?
Wolfgang Sigl: Auf jeden Fall. Ich kann mich an ein Erlebnis erinnern, das ich als Grundschüler mit einem Polizisten hatte und nie vergessen habe. In Eichstätt war damals der kürzeste Zubringer auf dem Weg zum Freibad ein Fußweg. Ich bin da mit dem Radl entlang, als mir plötzlich ein Polizist entgegentrat. Der hat mich ausgeschimpft und mir gedroht, er nähme mir meinen Wimpel weg, den ich bei der Fahrradprüfung bekommen hatte. Für mich war das fast ein traumatisches Erlebnis (schmunzelt). Diese Art von Respekt gibt es heute nicht mehr. Wenn mir Jugendliche begegnen, die freihändig fahren oder auf dem Gehweg, die nehmen mich zwar wahr, aber sie ignorieren das und ändern ihr Verhalten nicht. Da musst du schon aktiv werden.
In Ihrer Karriere haben sie viele Einsätze erlebt. Ist Ihnen einer besonders im Gedächtnis geblieben?
Wolfgang Sigl: Ja, im letzten Herbst der schlimme Unfall auf der B 16 mit den beiden Zuckerrübenlastern.
Der junge Mann hat das als Hobby gemacht, er wollte Zugmaschinen fahren. So was ist schlimm, das vergisst man nicht.
Wenn man in der Arbeit mit menschlichen Katastrophen konfrontiert wird, und der dunklen Seite der Gesellschaft, wie schöpft man dann in der Freizeit wieder Kraft?
Wolfgang Sigl: Ich gehe gerne in den Wald. Ich hab’ ein paar Tagwerk und erst gestern war ich wieder draußen bei der Waldarbeit. Dabei kann ich prima abschalten. Und dann verbringe ich natürlich gerne Zeit mit der Familie und für Sport bleibt auch noch ein bisserl Zeit.