Ein großes, beleidigtes Kind tritt nach
Als wären am letzten BundesligaSpieltag nicht schon genügend Männertränen vergossen worden, erreichte das heulende Elend auch noch die Nationalspieler. Genauer gesagt jene unter ihnen, die nicht mit zur WM dürfen. Aber es war ja zu erwarten gewesen. Der Bundestrainer kann schließlich nicht jeden mit nach Russland nehmen, der glaubt, einen Platz verdient zu haben. Da kämen schnell 100 Leute zusammen. Später müsste er 77 wieder aussortieren, weil nur 23 die Reise antreten dürfen. Also hat Löw unter 27 Namen einen Strich gezogen. Vier davon am Ende der WM-Vorbereitung zu streichen, kann er sich gerade noch zumuten. Es denkt ja keiner an die schlaflosen Trainernächte. Das Mitgefühl räumen die Spieler ab.
Diese Woche war es Sandro Wagner. Der Bundestrainer hat ihn, anders als es Wagner selbst erwartet hatte, nicht für die WM berücksichtigt. Das hat den Stürmer derart getroffen, dass er im Kreise seiner Münchner Teamkollegen wie ein Schlosshund geheult hat. Hätte sich Deutschland nicht gerade den Erdogan-Kumpels Gündogan und Özil widmen müssen, die Menschen hätten mitgeheult. So aber blieb nur Erstaunen über Löws Entscheidung, Wagner zu übergehen. Es ist ja nicht so, dass der Bundestrainer eine besonders große Auswahl an WM-tauglichen Stürmern besitzt. Die deutschen Trümpfe stecken im Mittelfeld, vorne muss sich Löw mit Jokern behelfen, von denen einer der robuste Sandro Wagner hätte sein können.
Warum er es nicht wurde? Weil der 30-Jährige nicht nur als Stürmer auf dem Platz, sondern auch als Charakter jenseits davon viel Raum benötigt. Wagner redet auch dann, wenn er schweigen sollte. Einer, der sich für den besten deutschen Stürmer hält. Bescheidenheit oder gar Demut sind ihm fremd. Wenn einer wie er in viereinhalb WM-Wochen nicht zum Einsatz kommt, sind Atmosphäre und Teamgeist bedroht. Der Bundestrainer aber nominiert neben fußballerischer auch charakterliche Qualität. Dass es Wagner an Letzterem gebricht, hat er mit seinem Rücktritt bewiesen. Ein großes, beleidigtes Kind tritt nach. Kein Grund, ihm eine Träne hinterherzuweinen.