Ein Staatsanwalt erzählt
Die Digitalisierung hat die Arbeit der Behörde in manchen Bereichen einfacher, in anderen aber auch aufwendiger gemacht. Im Interview spricht Nicolas Kaczynski über seinem Beruf
Im Interview erzählt Nicolas Kaczynski über die Herausforderungen der Digitalisierung bei seiner Arbeit – aber auch über die Chancen.
Polizisten, Angestellte in Justizvollzugsanstalten, Richter, (Staats-)Anwälte – sie alle beschäftigen sich tagtäglich mit dem Thema „Kriminalität“. Sie alle setzen sich für Sicherheit und Gerechtigkeit in unserem Land, an unserem Heimatort ein. Allerdings wird ihnen zunehmend weniger Respekt entgegengebracht. Und auch das subjektive Sicherheitsempfinden der Bevölkerung sinkt. Wir haben diese Behörden besucht und Menschen getroffen, die dort arbeiten. In der heutigen Folge sprechen wir mit Nicolas Kaczynski, stellvertretender Behördenleiter der Staatsanwaltschaft in Ingolstadt.
In den vergangenen Monaten sind in der Region mehrere schwere Verbrechen geschehen: In einem Schrebergarten nahe Gaimersheim wurde ein Mann erstochen, in einer Tiefgarage wurde ein Ingolstädter angeschossen und in Baar-Ebenhausen wurde ein Dreijähriger erstochen, vermutlich von seiner eigenen Mutter. In all diesen Fällen ermittelt die Staatsanwaltschaft. Mit welchen Fällen haben Sie es in Ihrer Behörde aber überwiegend zu tun?
Kaczynski: Im vergangenen Jahr hatten wir es mit knapp 20 000 Verfahren mit insgesamt 21400 Beschuldigten zu tun. Dazu kommen an die 7000 Verfahren, bei denen gegen Unbekannt ermittelt wird. Zuständig sind wir für die gesamte Region 10. In den überwiegenden Fällen handelt es sich um allgemeine Straftaten wie Ladendiebstahl oder Verkehrsdelikte. Die „klassischen“Raubdelikte gehen zwar zurück, immer mehr haben es die Kollegen dagegen mit Straftaten unter Zuhilfenahme des Internets zu tun.
Vor 30 Jahren, als die Staatsanwaltschaft in Ingolstadt gegründet worden ist, war das noch kein Thema. Wie hat sich die Arbeit durch das Internet verändert?
Kaczynski: In den vergangenen Jahren hat es eine unheimliche Technisierung des Verbrechens gegeben. Zum einen gibt es viele Online-Betrugsdelikte wie nicht gelieferte, aber bezahlte, Waren. Andererseits gibt es das Darknet, in dem beispielsweise mittlerweile die überwiegende Anzahl der illegalen Waffengeschäfte und auch viele Drogengeschäfte abgewickelt werden. In vielen Fällen ist auch die Kommunikation verschlüsselt. Früher hat man ein Handytelefonat abgehört, jetzt ist es oft nicht einmal mehr möglich, aus technischer Sicht überhaupt an die Gespräche heranzukommen. Und dann müssen wir natürlich auch die verfassungsrechtlichen Vorgaben beachten. Und die Menge an auszu- Daten ist mittlerweile vielfach schier unüberschaubar geworden. Nur ein Beispiel: Die Polizei schnappt einen jungen Mann bei einem kleinen Drogengeschäft mit Marihuana im Klenzepark. Auf seinem Handy befinden sich allein 10 000 Nachrichten. Da müssen wir uns im Einzelfall die Frage stellen: Ist es sinnvoll, sie alle auszuwerten, ohne zu wissen, ob überhaupt Relevantes dabei ist? Aber wenn härtere Drogen oder größere Mengen Rauschgift im Spiel sind, machen wir das natürlich, auch, wenn es unheimlich zeitintensiv ist und viele Kräfte bindet. Aber wir wollen eine gute Arbeit machen und so objektiv wie nur möglich ermitteln.
Welche Schwerpunkte in der Ermittlungsarbeit gibt es noch?
Kaczynski: Seit in der Region viele Flüchtlinge leben, ist die Arbeit für uns natürlich auch mehr geworden. Das sind nicht nur ausländerrechtliche Delikte, die eben nur von Ausländern begangenen werden können. Aber wo mehr Menschen leben, steigen auch unabhängig von der Herkunft der Beschuldigten die Fallzahlen. Ein Strafverfahren ist mitunter sehr aufwendig, beispielsweise wenn mehrere Dolmetscher nötig sind. Dann dauert eine Verhandlung statt einer manchmal vier Stunden.
An den Audi-Razzien der vergangenen Monate waren Sie aber nicht beteiligt.
Kaczynski: Ja, da stimmt. Für Wirtschaftsund Steuerstrafverfahren in unserer Region ist die Staatsanwaltschaft München II zuständig. Um den Bereich der herausgehobenen Cyberkriminalität kümmert sich die Generalstaatsanwaltschaft in Bamberg zentral für ganz Bayern, für Staatsschutzverfahren und Terrorismusbekämpfung sind die Kollegen in München zuständig.
Welche Verfahren sind Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben? Kaczynski: Mir persönlich ist natürlich das Verfahren gegen Uli Hoeneß im Gedächtnis geblieben. Ich war damals Leiter der mit dem Verfahren betrauten Wirtschaftsabteilung in München. Für die Staatsanwaltschaft in Ingolstadt dürfte der Rupp-Prozess mit dem Wiederaufnahmeverfahren eines der bedeutendsten und auch komplexesten Verfahren gewesen sein. In Erinnerung bleiben natürlich auch Fälle wie der sogenannte Fleischwolfwertenden Mord. Ein Ingolstädter hatte damals seinen Lebensgefährten ermordet und versucht, die Leiche auf etwas unkonventionelle Art zu beseitigen.
Gerade in diesem Fall zeigt sich, dass Staatsanwälte manchmal auch ein dickes Fell brauchen.
Kaczynski: Das stimmt. Zu Obduktionen beispielsweise fahren sehr erfahrene Kollegen mit. Gerade aber auch bei Sexualdelikten müssen oft zahlreiche Bilder und Filme ausgewertet werden. Da sind viele Dinge dabei, die wirklich unschön und manchmal widerlich sind. Es gibt Kollegen, die sagen, sie möchten es nicht machen. Aber es finden sich immer wieder Kollegen, die diese Aufgaben meistern - das ist schlicht auch Typfrage.
Gibt es andererseits besonders beliebte Aufgaben bei der Staatsanwaltschaft? Kaczynski: Das kommt darauf an. So ist beispielsweise bei jedem Bundesliga-Heimspiel des FC Ingolstadt neben den Polizeikräften ein Staatsanwalt mit im Stadion, falls es zu strafbarem Verhalten kommen sollte. Wer sich für Fußball interessiert, der erfüllt diesen Zusatzdienst am Wochenende natürlich lieber als jemand, der mit Fußball nichts anfangen kann.
Staatsanwaltschaft und Polizei arbeiten ja sehr eng zusammen. Wie unterscheidet sich die Arbeit der beiden Behörden?
Kaczynski: Die Polizei ist im Regelfall für die operative Arbeit zuständig, zum Beispiel für die Befragung von Zeugen oder die Auswertung von Unterlagen. Die Staatsanwälte leiten die Ermittlungen, beantragen notwendige Beschlüsse beim Ermittlungsrichter und prüfen, ob und wann das Verfahren abgeschlossen werden kann und wie sich die Rechtslage darstellt. Anschließend entscheiden wir, ob die Beweise für eine Anklage ausreichend sind.
Wofür ist die Staatsanwaltschaft nicht zuständig?
Kaczynski: Wir sind zuständig für die Verfolgung von Straftaten. Wenn aber beispielsweise jemand seinen Nachbarn auf Schadenersatz verklagen will, weil dessen Hecke zu sehr in sein Grundstück reinwächst, dann hat die Staatsanwaltschaft damit nichts zu tun. Das ist Gegenstand eines Zivilverfahrens.